Ich bin ein Berliner
Das Jahr 1977 war für beide deutsche Länder
politisch brisant: Ausreise- und Selbstmordwelle im Osten, RAF-Terror
im Westen. In diesem bedeutsamen Jahr haben sie das Licht der Welt
erblickt: 18 Berlinerinnen und Berliner, mit oder ohne
Migrationshintergrund, hineingeboren in eine geteilte Stadt in einem
geteilten Land. In der autobiographischen Dokumentation 30 Jahre Berlin
erzählen sie aus ihrem Leben. Ob Mauerfall oder Krawalle am 1.
Mai, die kleinen und großen historischen Ereignisse vor der
eigenen Haustür. Thematisch ist fast alles vertreten, was das
Leben in Berlin ausmachen kann: Drogen, autonome Szene,
Häuserbesetzungen, offener und versteckter Rassismus, fehlende
Elternliebe und Kinderheim, psychische Krankheit, verhinderte und
erfolgreiche Karrieren. Nur die Stasi-Debatte und Berichte über
Bespitzelungen in der eigenen Familie fehlen. Besonders beeindruckend
ist die Vita der türkischen „Gastarbeiterkinder". Der
passionierte Kreuzberger Adnan hat es trotz vieler Hürden aus der
Integrationsklasse zum Akademiker gebracht. Ergün schaffte den
Karrieresprung vom Berliner Fußballverein Türkiyemspor in
die erste Bundesliga der Türkei. Die Kosmopolitin Arzu arbeitet
für die Vereinten Nationen in New York und will später im
Wedding Schüler mit Migrationshintergrund bei der Integration in
soziale Netzwerke unterstützen.
Brigitte aus Mitte erlebte nach der Wende einen
„Kolonialisierungsschock". Skeptisch betrachtet sie die
Veränderungen an den Orten ihrer Kindheit.
Neben der bewegten Vergangenheit beleuchtet die
Dokumentation auch Probleme der Berliner Gegenwart: Arzu hat einen
Top-Job in den USA, weil Posten für Akademiker in der deutschen
Hauptstadt leider Mangelware sind. Auch die Kriminalkommissarin Susanne
hat ihre beruflichen Grenzen erkannt: „Mit der Beförderung
klappt es nicht mehr, seitdem es so wenige Stellen in Berlin gibt." Ihr
kritischer Blick fällt auch auf unerfreuliche Tendenzen im Beruf:
„Wir leben in einem Rechtsstaat. Ich zumindest. Bei den anderen
ist es manchmal nicht so".
Völlig unterschiedliche Lebensläufe also, und
alle zusammen ergeben das große Puzzle „Leben im
alltäglichen Berlin". Vor allen Dingen ist das Buch aber auch eine
Liebeserklärung an die Stadt an der Spree. Andrea Winter
Sonja John: 30 Jahre Berlin. 18 echte Berliner des
Jahrgangs 1977 erzählen aus ihrer Geschichte. pidi verlag 2007.
9,95 Euro.