Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wenn im Wedding der SmöB

Mit der Polizei auf Streife durch einen sogenannten Problemkiez

Polizeiobermeister Thomas Weigelt ist ein SmöB. Also ein „Sachbearbeiter mit örtlichem Bezug". Mit ihm bin ich am Weddinger Sparrplatz verabredet. Ich wage mich mitten hinein in das Zentrum dieser ehemaligen Hochburg der Kleinkriminalität. Der Platz strahlt die Atmosphäre einer deutschen Kleinstadt aus; ein paar Kinder kicken auf dem Bolzplatz, ein paar Langeweiler hängen herum und auf einem großen, neu gestalteten Spielplatz wird reichlich und unter viel Geschrei getobt. Ein Barde schmettert grölend in meine Richtung: „Ich zahle keine Hundesteuer, ich zahle keine Hundähhsteuaaah!" Nicht sehr melodisch der Vortrag, aber immerhin ein Bekenntnis. Das ist einer der Momente, in denen der Wedding seine Typen unaufgefordert und unzensiert serviert. „Schreib ja alles ordentlich auf!" ruft der Sänger noch in meine Richtung. „Mache ich!" War das vielleicht der erste Kleinkriminelle? Das ist doch nicht recht, daß einer seine Steuern nicht bezahlt, oder?

Als Weigelt erscheint, machen wir uns auf den Weg. Die erste Station ist ein Sozialbau an der Lynarstraße. Beim Eintritt in den Innenhof lugt vom Balkon im dritten Stock ein Jugendlicher. „Sucht ihr mich, oder was?" ruft der von oben herab, als der Polizist das Haus betritt. Ich bleibe draußen. „Bist du denn kriminell, oder was?" antworte ich. Zwei Kumpels haben sich derweil zu mir gesellt. Zünden sich erst einmal eine Fluppe an. „ ... aber ich muß vor Gericht, weißt du", sagt der eine, „da hat so einer einen anderen aus der Nachbarschaft per Internet beleidigt, und der hat ihn dann mit einem Messer angestochen, weißt du." ­ „Also bist du ein Zeuge!" ­ „Nee, das auch nicht ..." Er verstummt, als Herr Weigelt zurückkehrt. Der Polizist grüßt die Jugendlichen kurz, lächelt wissend, enthält sich aber jeden Kommentars.

Weiter geht es am Nordufer entlang. Kein Gangster weit und breit. Die gefühlte Sicherheit ist weiterhin gut.

Eine einsame Aldi-Tüte weht über die Straße und bleibt im Gehölz des neu angelegten Grünstreifens und Wanderweges am Ufer des Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanals hängen. „Gibt es denn dort unten am Kanal Probleme?" ­ „Gar keine, der Weg wird von den Anwohnern reichlich als Naherholungsweg genutzt, und allein dadurch, daß dort Öffentlichkeit geschaffen wurde, passiert nichts", antwortet Herr Weigelt. Über den sogenannten Pekinger Platz, dessen prominentestes architektonisches Detail ein restauriertes Café Achteck ist, geht es in Richtung des neu angelegten Sprengelparks. Wir gehen einfach mal querfeldein. Außer zwei emsig mit der Bewässerung des Parks beschäftigten Gartenarbeitern ist da nichts los. Es erfolgt eine kurze Begrüßung mit Handschlag, man kennt sich.

„Wie kriminell ist der Kiez?", frage ich. „Es gab und gibt Einbrüche, häusliche Gewalt, auch einige schwerere Delikte, aber mittlerweile liegt der Bereich weit unter dem Durchschnitt, es gibt hier nicht so viel Kriminalität", antwortet Weigelt. „Zum Alltäglichen gehören eher ärgerliche Ordnungswidrigkeiten. Schrottautos sind manchmal ein Problem. Manchmal ruhestörender Lärm. Mehr eigentlich nicht."

Plötzlich taucht ein junger Mann, Herr K., auf. „'N Tag auch, ich bin der Hausmeister aus der Lynar, Sie wissen schon, der Vorfall mit dem Vandalismus, die haben da ja Lackdosen und Farben an die Wand geknallt. Haben einen Schlüssel nicht zurückgegeben und sind noch mal in die Wohnung, nachdem die renoviert war." ­ „Wir sind dran. Wenn erneut etwas ist, hingucken und uns Bescheid geben." Der Hauswart bedankt sich und zieht erfreut davon.

Auf einmal in der Triftstraße, ich erschrecke. Mitten auf dem Gehsteig liegt ein großer Hund. Mir ist unwohl. „Aufgepaßt", sagt Herr Weigelt, „der bellt jetzt zweimal und dann ist gut, der kennt mich schon." So wie prophezeit, kommt's. Erstaunlich.

An der Kreuzung zur Samoastraße schreitet Herr Weigelt zur Tat. Kontrolliert, daß ein von Altmetalldieben entführter Gullydeckel erneuert wurde. Dann verhängt er Ordnungswidrigkeitenstrafen. Fünf auf einen Streich. Fahrzeuge im Kreuzungsbereich sind so geparkt, daß kein Gehbehinderter oder Rollstuhlfahrer mehr die Straße überqueren könnte. Als Konsequenz gibt es die bekannten „Knöllchen". Fast ist unsere Runde durch die Nachbarschaft beendet. Schnell noch um die Ecke und dann zurück ins Büro. In der Torfstraße grüßen zwei Mitarbeiter eines Trödelladens im Vorbeigehen freundlich. Auch hier herrscht wenig Befangenheit, die beiden freuen sich, Herrn Weigelt zu sehen.

Und dann entdeckt Herr Weigelt noch zwei herrenlose, gültige Kfz-Kennzeichen. Waren hier Diebe am Werk? Hatten die Kennzeichen keine Lust mehr, an der Stoßstange zu hängen und sind aus Langeweile oder Ermüdung abgefallen? Waren's Autoschieber oder Benzindiebe? Über Funk fragt der Polizist in der Zentrale an, ob es irgendwelche Erkenntnisse zu den gefundenen Nummernschildern gibt. „Negativ", knattert eine weibliche Stimme aus dem Gerät zurück. So ist das mit der Kriminalität im Kiez, sie ist irgendwie verloren gegangen. Negativ?

Uwe Bressem

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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