Wenn im Wedding der SmöB
Mit der Polizei auf Streife durch einen sogenannten Problemkiez
Polizeiobermeister Thomas Weigelt ist ein SmöB.
Also ein „Sachbearbeiter mit örtlichem Bezug". Mit ihm bin
ich am Weddinger Sparrplatz verabredet. Ich wage mich mitten hinein in
das Zentrum dieser ehemaligen Hochburg der Kleinkriminalität. Der
Platz strahlt die Atmosphäre einer deutschen Kleinstadt aus; ein
paar Kinder kicken auf dem Bolzplatz, ein paar Langeweiler hängen
herum und auf einem großen, neu gestalteten Spielplatz wird
reichlich und unter viel Geschrei getobt. Ein Barde schmettert
grölend in meine Richtung: „Ich zahle keine Hundesteuer, ich
zahle keine Hundähhsteuaaah!" Nicht sehr melodisch der Vortrag,
aber immerhin ein Bekenntnis. Das ist einer der Momente, in denen der
Wedding seine Typen unaufgefordert und unzensiert serviert.
„Schreib ja alles ordentlich auf!" ruft der Sänger noch in
meine Richtung. „Mache ich!" War das vielleicht der erste
Kleinkriminelle? Das ist doch nicht recht, daß einer seine
Steuern nicht bezahlt, oder?
Als Weigelt erscheint, machen wir uns auf den Weg. Die
erste Station ist ein Sozialbau an der Lynarstraße. Beim Eintritt
in den Innenhof lugt vom Balkon im dritten Stock ein Jugendlicher.
„Sucht ihr mich, oder was?" ruft der von oben herab, als der
Polizist das Haus betritt. Ich bleibe draußen. „Bist du
denn kriminell, oder was?" antworte ich. Zwei Kumpels haben sich
derweil zu mir gesellt. Zünden sich erst einmal eine Fluppe an.
„ ... aber ich muß vor Gericht, weißt du", sagt der
eine, „da hat so einer einen anderen aus der Nachbarschaft per
Internet beleidigt, und der hat ihn dann mit einem Messer angestochen,
weißt du." „Also bist du ein Zeuge!"
„Nee, das auch nicht ..." Er verstummt, als Herr Weigelt
zurückkehrt. Der Polizist grüßt die Jugendlichen kurz,
lächelt wissend, enthält sich aber jeden Kommentars.
Weiter geht es am Nordufer entlang. Kein Gangster weit und breit. Die gefühlte Sicherheit ist weiterhin gut.
Eine einsame Aldi-Tüte weht über die
Straße und bleibt im Gehölz des neu angelegten
Grünstreifens und Wanderweges am Ufer des
Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanals hängen. „Gibt es denn
dort unten am Kanal Probleme?" „Gar keine, der Weg wird von
den Anwohnern reichlich als Naherholungsweg genutzt, und allein
dadurch, daß dort Öffentlichkeit geschaffen wurde, passiert
nichts", antwortet Herr Weigelt. Über den sogenannten Pekinger
Platz, dessen prominentestes architektonisches Detail ein restauriertes
Café Achteck ist, geht es in Richtung des neu angelegten
Sprengelparks. Wir gehen einfach mal querfeldein. Außer zwei
emsig mit der Bewässerung des Parks beschäftigten
Gartenarbeitern ist da nichts los. Es erfolgt eine kurze
Begrüßung mit Handschlag, man kennt sich.
„Wie kriminell ist der Kiez?", frage ich.
„Es gab und gibt Einbrüche, häusliche Gewalt, auch
einige schwerere Delikte, aber mittlerweile liegt der Bereich weit
unter dem Durchschnitt, es gibt hier nicht so viel Kriminalität",
antwortet Weigelt. „Zum Alltäglichen gehören eher
ärgerliche Ordnungswidrigkeiten. Schrottautos sind manchmal ein
Problem. Manchmal ruhestörender Lärm. Mehr eigentlich nicht."
Plötzlich taucht ein junger Mann, Herr K., auf.
„'N Tag auch, ich bin der Hausmeister aus der Lynar, Sie wissen
schon, der Vorfall mit dem Vandalismus, die haben da ja Lackdosen und
Farben an die Wand geknallt. Haben einen Schlüssel nicht
zurückgegeben und sind noch mal in die Wohnung, nachdem die
renoviert war." „Wir sind dran. Wenn erneut etwas ist,
hingucken und uns Bescheid geben." Der Hauswart bedankt sich und zieht
erfreut davon.
Auf einmal in der Triftstraße, ich erschrecke.
Mitten auf dem Gehsteig liegt ein großer Hund. Mir ist unwohl.
„Aufgepaßt", sagt Herr Weigelt, „der bellt jetzt
zweimal und dann ist gut, der kennt mich schon." So wie prophezeit,
kommt's. Erstaunlich.
An der Kreuzung zur Samoastraße schreitet Herr
Weigelt zur Tat. Kontrolliert, daß ein von Altmetalldieben
entführter Gullydeckel erneuert wurde. Dann verhängt er
Ordnungswidrigkeitenstrafen. Fünf auf einen Streich. Fahrzeuge im
Kreuzungsbereich sind so geparkt, daß kein Gehbehinderter oder
Rollstuhlfahrer mehr die Straße überqueren könnte. Als
Konsequenz gibt es die bekannten „Knöllchen". Fast ist
unsere Runde durch die Nachbarschaft beendet. Schnell noch um die Ecke
und dann zurück ins Büro. In der Torfstraße
grüßen zwei Mitarbeiter eines Trödelladens im
Vorbeigehen freundlich. Auch hier herrscht wenig Befangenheit, die
beiden freuen sich, Herrn Weigelt zu sehen.
Und dann entdeckt Herr Weigelt noch zwei herrenlose,
gültige Kfz-Kennzeichen. Waren hier Diebe am Werk? Hatten die
Kennzeichen keine Lust mehr, an der Stoßstange zu hängen und
sind aus Langeweile oder Ermüdung abgefallen? Waren's Autoschieber
oder Benzindiebe? Über Funk fragt der Polizist in der Zentrale an,
ob es irgendwelche Erkenntnisse zu den gefundenen Nummernschildern
gibt. „Negativ", knattert eine weibliche Stimme aus dem
Gerät zurück. So ist das mit der Kriminalität im Kiez,
sie ist irgendwie verloren gegangen. Negativ?
Uwe Bressem