Ausgabe 04 - 2007 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Noch steht das Raumschiff

Das Abgeordnetenhaus entscheidet über die Zukunft des ICC

Foto: ausblenden.de

Vor ein paar Jahren brachten die „Berliner Seiten"der FAZ eine launige Artikelserie zum Thema „Abriß West", in der die Redaktion Gebäude vorstellte, die das Stadtbild Berlins angeblich nachhaltig beeinträchtigten. Nach dem Abriß Ost, so die Begründung, müßten auch andere Bausünden beseitigt werden, allein um der Gerechtigkeit willen. Was seinerzeit eher scherzhaft gemeint war, scheint nun ernst zu werden, denn gewisse Kreise denken darüber nach, das ICC am Funkturm niederzulegen. Silbrig-schimmernd liegt das „Raumschiff" zwischen den Autobahntrassen und -zubringern da, als könne nichts auf dieser Welt ihm etwas anhaben. Doch wie lange noch?

Recht bald, als Wirtschaftssenator Wolf (Linkspartei.PDS) 2002 ins Amt gekommen war, sandte er Signale aus, daß er sich den „Abriß des ICC vorstellen" könne. Wolf suchte sich einen Experten, und 2005 legte der Architekt Meinhard von Gerkan ein Gutachten vor, in dem er genau das empfahl, über das Wolf schon phantasiert hatte: das Gebäude aus Kostengründen abzureißen und einen Neubau an die Stelle der Deutschlandhalle zu setzen. Zugegeben: Mit dem Vorschlag konnte sich einer der beiden Geschäftsführer der Messe-Gesellschaft, Raimund Hosch, zuerst nicht anfreunden, weil er die Ansicht vertrat, ein Abriß des ICC sei teurer als die Sanierung. Aber die Marschrichtung, in die der Senator steuerte, war vorgegeben.

Allerdings wollten die Kritiker nie ganz verstummen. Die Baukammer Berlin monierte Anfang 2006, daß „keine seriösen und objektiv nachweisbaren bautechnischen oder betriebswirtschaftlichen Gründe gegeben sind, die einen Abriß des ICC begründen." Und die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Lisa Paus, forderte kürzlich knapp: „Die Sanierung des ICC ist einem Neubau vorzuziehen." Gestärkt können sich beide durch ein Gutachten fühlen, das der Leiter des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Rolf Kreibich, den Abgeordneten im Februar zuleitete. Kreibich hält das ICC durchaus für sanierungsbedürftig ­ wie alle großen Gebäude dieses Alters. Doch die baulichen Mängel lie-ßen sich „mit einem minimalen Kostenaufwand energetisch und hinsichtlich der Nutzungsstruktur" verbessern.

Ist der Abriß und Neubau nun billiger als eine Sanierung? Die Frage ist schwer zu beurteilen, denn die „Machbarkeitsstudie" von Gerkans hat einen kleinen Schönheitsfehler: Sie wird vom Senat geheimgehalten. Lediglich die Abgeordneten dürfen im Datenraum des Parlaments Einblick nehmen. Was sie dort zu lesen bekommen, scheint aber nicht besonders überzeugend zu sein. So hat der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Frank Jahnke, den Eindruck gewonnen, daß die Kosten eines Abrisses durch von Gerkan „naiv gerechnet" und seine Annahmen dem Gegenstand nicht angemessen seien. Insgesamt würden „Äpfel mit Birnen" verglichen. Es sei unfair gegen das ICC gerechnet worden.

Die Zahlen sprechen indes für das ICC, das im internationalen Kongreßgeschäft überaus erfolgreich agiert. Mit einigem Stolz verweist die Messegesellschaft darauf, daß 2006 insgesamt 796 Tagungen und Shows durchgeführt worden seien (2005: 704), zu denen 266000 Besucher gezählt worden seien, von denen 41 Prozent von auswärts angereist seien. Damit hätten täglich durchschnittlich mehr als zwei Veranstaltungen mit über 700 Teilnehmern pro Tag im Jahr 2006 stattgefunden. Und die Ausgaben der auswärtigen Kongreßteilnehmer hätten der Stadt einen zusätzlichen Kaufkraftzufluß von über 91 Millionen Euro gebracht. Man sieht: Das ICC ist beliebt, auch 2007 werden wieder Großkongresse stattfinden, angeblich ist es auf Jahre hinaus ausgebucht. Erst 2005 erhielt es wieder einen Preis als „bestes Kongreßzentrum der Welt".

Derartige Erfolgsmeldungen fechten die Abbruch-Unternehmer vom Schlage von Gerkans nicht an. Er ist erklärtermaßen kein Freund des ICC und findet, daß es „an der falschen Stelle mit dem falschen Ausdruck" stehe und „alles andere als ein Konferenzzentrum" sei. Damit aber befindet er sich, Kreibich zufolge, in einem „unaufhebbaren Interessenkonflikt". Schließlich habe von Gerkan bereits Pläne für einen Neubau auf dem Gelände der Deutschland-halle vorgelegt.

Betriebswirtschaftliche Rechnungen anzustellen wie die Abriß-Befürworter, halten die Kritiker für verfehlt. Man müsse die Angelegenheit aus volkswirtschaftlicher Sicht beurteilen. So weist der SPD-Linke Hans Georg Lorenz darauf hin, daß allein der Umstand, daß die Messe Zuschüsse erhält, wenig über ihre Bedeutung und Leistungsfähigkeit und ihren Nutzen für den Eigentümer, hier: das Land Berlin, aussagt. Die Interessen der Messegesellschaft und der Stadt sind zunächst nicht immer kongruent: An internationalen Messen und Kongressen verdient die Messe nichts, weil sie lediglich die Infrastruktur zur Verfügung stellt. Gewinnträchtig sind dagegen vor allem lokale Messen, die von der Gesellschaft selbst organisiert werden und sich durch Standgebühren und Eintritte rechnen. Die Stadt hingegen verdient vor allem an den internationalen Großereignissen, bei denen jeder Teilnehmer viele Hundert Euro an das Hotel-, Gaststätten- und Taxigewerbe zahlt. Die Regionalmessen dagegen bringen der örtlichen Wirtschaft wenig.

Ein weiterer Punkt, der moniert wird, der aber nicht zur Diskussion zu stehen scheint, ist die Leistung des Messe-Managements: Kreibich ätzt in seiner Stellungnahme, daß die Messegesellschaft etwas Besseres verdient hätte als Hosch und seinen Co-Geschäftsführer Christian Göke: Wenn man „ein wesentlich qualifizierteres Management" als das gegenwärtige einsetzen würde, müsse es doch möglich sein, das ICC „in die schwarzen Zahlen" zu führen.

Ein ICC, das gut in Schuß und wettbewerbsfähig ist, aber abgerissen werden soll; ein Gutachter, der gerne einen Neubau realisieren möchte; ein Gutachten, das geheim bleibt ­ die Frage, ob tatsächlich gute Gründe für den Abriß des ICC sprechen, erscheint unter diesen Umständen eher nebensächlich. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, daß es sich, wenn es nach dem Senat und der Messegesellschaft ginge, um eine ausschließlich politische Entscheidung handeln würde. Aber dann stellt sich die Frage, wer vom Abriß (oder Stillegung) profitiert und wer verliert, um so schärfer. Der Verdacht ist nicht weit hergeholt, daß Berlin mal wieder als Verlierer dastehen könnte. Das Abgeordnetenhaus will noch vor der Sommerpause sein Votum abgeben. 

Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 04 - 2007 © scheinschlag 2007