Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Einlagern für die Nachwelt

In riesigen Depots des Technikmuseums schlummern 200 Jahre Technikgeschichte

In Berlin gibt es ja bekanntlich für nahezu alles ein Museum, so auch einige technisch-naturwissenschaftliche. Das größte und wichtigste davon ist das Deutsche Technikmuseum Berlin (DTMB). Es ging 1982 aus dem Museum für Verkehr und Technik hervor, das an die Tradition der Berliner Technikmuseen anknüpfen wollte. Heute hat das DTMB weit mehr zu bieten als nur Verkehr. Die Technikgeschichte der letzten 200 Jahre wird in Ausstellungen über Computertechnik, Textiltechnik, Haushaltsgeräte und vieles mehr ausführlich dokumentiert.

Wie alle Museen hat auch das DTMB mehrere Depots, in denen es seine Sammlungen aufbewahrt. Allerdings sieht es dort ganz anders aus, als in den Depots von Kunstmuseen oder denen des Deutschen Historischen Museums. Im größten Depot des Technikmuseums, dessen Standort natürlich geheim bleiben soll, lagern nicht Gemälde, Urkunden oder Uniformen, sondern ganze Flugzeuge, Lokomotiven und Autos. Deshalb hat das DTMB alte Fabrikhallen mit einer Lagerfläche von 20000 m2 angemietet.

Das Sammeln und Konservieren von technischen Artefakten ist neben deren Präsentation die wichtigste Aufgabe des Museums. Gesammelt wird, wie Depotleiter Dietmar Ruppert sagt, nicht für die Gegenwart, sondern „für die Nachwelt".

Und tatsächlich vermittelt nichts den Alltag in einer Berliner Mietskaserne um 1900 so anschaulich wie Gegenstände des täglichen Bedarfs. Von Hygieneeinrichtungen bis Fortbewegungsmittel, die Gegenstände, mit denen sich die Menschen in der Vergangenheit umgaben, lassen deren Lebenswelt greifbar werden.

Im Depot treffen die unterschiedlichsten Dinge aufeinander: Vom Fön bis zur Rakete ist nahezu jede vorstellbare technische Neuerung der jüngeren Vergangenheit vorhanden. Und ständig kommen neue dazu, denn das Technikmuseum sammelt kontinuierlich weiter.

Der logistische Aufwand ist dabei immens: Wenn ein neues Objekt ins Depot kommt, muß es von Dietmar Ruppert und seinem Team zunächst so restauriert werden, daß es eingelagert werden kann. Mehrere Werkstätten stehen dafür zur Verfügung. Die Restaurierungsarbeiten können sich, zum Beispiel bei einem Militärflugzeug, das seit 1940 unter Wasser gelegen hat, über Jahre hinziehen. Währenddessen muß das Objekt inventarisiert werden. Es wird vermessen und fotografiert und dann in einer Datenbank eingetragen. 40000 Objekte und deren Standorte im Depot sind bis jetzt in dieser Datenbank erfaßt. Vor allem die Angabe des Standortes muß präzise und stets aktuell sein, denn die Objekte werden permanent hin und her verschoben.

Eigentlich ist das Depot voll. Wenn ein neues Objekt hinzukommt, müssen die Depotarbeiter mit ihren Gabelstaplern Tetris spielen und versuchen, entsprechend viel Platz zu schaffen. Dabei ist Improvisation und Kreativität gefragt. Viele der Regale und Lagerbehälter haben Ruppert und sein Team selbst entworfen und hergestellt. Zum Beispiel hat jedes Auto im Depot einen eigenen Stoffüberzug, der von einem dort beschäftigten Sattler maßgeschneidert wurde. Was keine Räder hat, bekommt ein fahrbares Untergestell.

Eine gute Verpackung und Einlagerung kann aber die Pflege der Objekte nicht ersetzen. Die ärgsten Feinde des Depotleiters sind nicht nur Staub oder Luftfeuchtigkeit, sondern auch Motten, die sich durch Stoffe fressen, und natürlich der so genannte „Museumskäfer", dem echtes antikes Holz am besten schmeckt.

Das ist Rupperts ewiger Kampf gegen den Zahn der Zeit. Wenn er ihn gewinnt, rettet er die technischen Zeitzeugen nicht nur vor dem Verfall, sondern auch vor dem Vergessen. Ob unserer Zeit solche gewissenhafte Bewahrer zu wünschen sind und ob das bei der Kurzlebigkeit heutiger technischer Geräte überhaupt leistbar wäre, ist fraglich. MP3-Player und Fotohandys gibt es im Depot des Technikmuseums auf jeden Fall noch nicht.

Moritz Feichtinger

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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