Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Meistgescholten, meistgeschmäht

Plötzlich merkt Berlin, was es an Thomas Flierl hatte

Soviel Konsens hat man im politischen Berlin selten erlebt. Quer durch die Milieus stieß die Entscheidung des Regierenden Bürgermeisters, das Amt des Kultursenators abzuschaffen und das Ressort wie einen ausgelutschten Kaugummi dem Bürgermeisteramt anzupappen, auf harsche Kritik: vom Kulturstaatsminister über die Opposition bis zur Kulturszene. Selbst der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) äußerte „Unverständnis": Das Modell sei zum Scheitern verurteilt, in Berlin sei das Kultur- so wichtig wie das Wirtschaftsressort. „Berlin ohne Kultursenator ist wie Kuwait ohne Ölminister."

Daß die Abschaffung des Amtes so hart kritisiert wird, hat vor allem mit der Arbeit des letzten Kultursenators zu tun ­ auch wenn viele das nicht zugeben wollen. Thomas Flierl, der nun nach fünf Jahren auf denkbar schäbige Art verabschiedet wurde, war einer der am kontroversesten diskutierten Senatoren und mußte viel mediale Kritik und Häme einstecken. Unter Berliner Verhältnissen spricht das durchaus für ihn. Kontroversen erzeugt nur, wer sein Amt ernst nimmt und etwas riskiert.

Berlin hatte nach der Wende nicht viel Glück gehabt mit seinen Ölministern. Ulrich Roloff-Momin (1991 bis 1996) blieb letztlich vor allem mit der Schließung des Schiller-Theaters im Gedächtnis. Danach mutierte das Ressort zum Schleudersitz: Peter „Zigeunerbaron" Radunski, der als Verfechter operettenhafter „Leuchtturmkultur" die Berliner Lage völlig verpeilte, sorgte mit gemütvoll-provinzieller Inkompetenz immerhin noch für erheiternde Lachnummern. Christa Thoben warf schon nach 100 Tagen das Handtuch, gefolgt von Christoph Stölzl, der nach einem Jahr zusammen mit dem gesamten Senat der großen Koalition im Zuge der Bankenaffäre zurücktreten mußte. Adrienne Goehler weilte nur wenige Monate im Amt. Dann kam die rot-rote Koalition und mit ihr der Kulturwissenschaftler Thomas Flierl, zuvor kulturpolitischer Sprecher der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus und von 1996 bis 2001 Baustadtrat in Mitte ­ ebenfalls ein politischer Schleudersitz. Hier durfte er bereits trainieren, für das Schwimmen gegen populistischen Mainstream ordentlich mediale Prügel einzustecken, etwa für seinen Kampf gegen die Privatisierung des öffentlichen Raums.

Als Kultursenator ist dem Intellektuellen, dessen Kenntnis sowohl der Hoch- als auch der Off-Kultur unbestritten ist, von seinen Kritikern alles Mögliche vorgeworfen und nachgesagt worden: Seine Herkunft und frühere SED-Mitgliedschaft, Ostfixiertheit, Mißtrauen, Technokratie, zuwenig Durchsetzungskraft, zuviel intellektuelle Debatte. Es gehört zu den Merkwürdigkeiten des Berliner Politikbetriebs, daß einem Kultursenator gerade die Bereitschaft zu kommunizieren (auch jenseits des Currywurstbudenlevels), zu verhandeln und zu vermitteln angekreidet wird. Flierl wurde angegriffen, als er die Opernstiftung ins Leben rief und dafür den wegen seiner Stasi-Kontakte umstrittenen Michael Schindhelm holte, als er für Studiengebühren plädierte gegen die eigene Partei, als er als einziger im Berliner Senat die Berliner Symphoniker erhalten wollte, als er die unsäglich kitschige Mauertoten-Inszenierung von Alexandra Hildebrandt am Checkpoint Charlie kritisierte, als er die kulturelle Zwischennutzung des Palastes der Republik unterstützte, die international mehr Würdigung fand als im kleinkariert-rachsüchtigen Berliner Sumpf. Auch für solche Eigensinnigkeiten ist er nun abgestraft worden. Aber was, bitte schön, soll man in Berlin mit einem Kultursenator anfangen, der nicht eigensinnig ist und nicht vehement für einen der wenigen Reichtümer und Zukunftsthemen der Stadt ­ nämlich Kultur und Wissenschaft ­ streitet?

Zum erbärmlichsten Eklat aber mutierte die geplante Berufung Christoph Heins ans Deutsche Theater durch Flierl: Das bösartige Bashing, das daraufhin insbesondere durch die konservativ-westdeutsch dominierten Feuilletons einsetzte, erinnerte fatal an den „deutsch-deutschen Literaturstreit" von 1990, der letztlich keiner war ­ sondern eher ein Euphemismus für eine etwas einseitige Schlammschlacht.

Gerade weil Flierl nicht eitel in der Landschaft herumstolzierte, wird unterschätzt, was er für die Berliner Kulturlandschaft geleistet hat. Und er hatte viele Versäumnisse seiner Vorgänger aufzuarbeiten. Er hat die Opernstiftung in Angriff genommen und zu deren Finanzierung die Übernahme der Akademie der Künste, der Festspiele und der Kinemathek am Potsdamer Platz durch den Bund ausgehandelt ­ ebenso wie den neuen Hauptstadtkulturvertrag. Der Neubau für die renommierte, aber von den Lokalmatadoren sträflich ignorierte Berlinische Galerie und die Sicherung der Theater- und Konzertlandschaft mit vielbeachteten Neuberufungen sind Flierl zu verdanken. Ebenso die Fortexistenz von Off-Einrichtungen wie dem Haus Schwarzenberg oder dem ORWO-Haus. Flierl hat den Kulturhaushalt gegen permanente Kürzungsattacken relativ erfolgreich verteidigt und das bis dahin schier Undenkbare fertiggebracht: ein Mauergedenkkonzept, das quer durch alle Fraktionen im Bundestag mitgetragen wird und dennoch nicht beliebig oder populistisch ist. In der Hauptstadt, deren gedankenlose Tabula-rasa-Geschichtspolitik in den letzten Jahren vor allem im Ausland mit verständnislosem Kopfschütteln bedacht wurde, hätte das niemand mehr für möglich gehalten.

Womöglich war der meistgescholtene und -geschmähte Kultursenator, den Berlin seit der Wende hatte, auch der beste. Die Fehler, die Flierl beging ­ es waren nicht wenige ­, sprechen dabei nicht unbedingt gegen ihn. Fehler machen nur diejenigen, die überhaupt etwas wollen. Die Maßstäbe liegen jetzt hoch. Insofern darf man gespannt sein auf die Fehler des selbsternannten neuen Ölbeauftragten Wowereit.

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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