Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Mampe halb&halb

Ein Buch über diverse Berliner Getränkeversorgungseinrichtungen

Da ist es nun also: Das Berliner Kneipenbuch. Von den beiden Lyrikern Björn Kuhligk und Tom Schulz herausgegeben, versammelt es Texte von 53 Berliner Autoren über ihre Stammtränken, unter ihnen Ingo Schulze, Françoise Cactus, Annett Gröschner, Arnold Stadler. Man meint, das sei das Buch, auf das man schon lange gewartet hat und ist nach der Lektüre, nun ja, einigermaßen enttäuscht. Es ist ein seltsames Buch; vielleicht läßt es sich am ehesten vergleichen mit Mampe halb&halb, diesem sogenannten Urberliner Getränk: Ich habe nie verstanden, warum man so etwas zusammenrührt und – sich dann auch noch hinter die Binde kippt.

Zuerst: Kneipen sind Kneipen, nichts anderes. Ein italienisches Restaurant, wie von Katja Oskamp beschrieben, gehört bestimmt nicht zu dieser Spezies und „ein Laden für Mädchen mit Geschmack und Jungen und Männer, die Mädchen mit Geschmack mögen", so René Hamann über seine Lieblingsausgabestelle für Milchkaffee und Kuchen, auch nicht. Kneipe, das impliziert Besäufnisse der etwas schlichteren, rustikaleren Art mittels Bier bzw. Schnaps pur. Piña Colada, Chianti, Espresso ­ gibt's dort nicht. Nun ist es ja jedem Schreiberling unbenommen, in welchen Lokalen er sich welchem Rausch auch immer hingibt; aber was haben Geschichten über solche Örtlichkeiten in einem Werk zu suchen, das sich ausdrücklich als Kneipenbuch bezeichnet?

Zudem liegen über die Hälfte der beschriebenen Lokale in Prenzlauer Berg bzw. Kreuzberg, Spandau kommt nicht vor, ebenso wenig Lichtenberg. Auch das hat seine Gründe ­ die meisten Schriftsteller wohnen eben in den Szenebezirken ­, bloß wäre ein Blick in die Randbezirke doch gerade interessant gewesen. (Ausgerechnet Prenzlauer Berg, wo es kaum noch richtige Kneipen gibt!)

Und es gibt keine einheitliche Linie bei der Behandlung des Themas, wer erwartet, daß er hier stringente Schilderungen der Örtlichkeiten vorgesetzt bekommt, sieht sich getäuscht. Der Klappentext behauptet, das Buch sei „informativ, anschaulich, unterhaltsam, lite-rarisch", das ist zwar nicht ganz falsch, aber eben auch nicht richtig: Die Texte sind mal informativ, mal literarisch usw. und nicht selten vollkommen verquer (man könnte immerhin vermuten, sie wurden im Vollsuff geschrieben). Mampe halb&halb eben.

Aber genug, schließlich findet man sie ja doch noch: Miniaturen über die Lokalitäten, die des Titels Kneipe würdig sind: Willy Bresch, Zur Molle, Hubble Gubble. In „Geschlossene Gesellschaft oder Schweinewelt ist draußen", dem ans Ende des Bandes gestellten Beitrag von Johannes Jansen und Erik Steffen, wird mit dem Porträt des Goldenen Hahns am Heinrichplatz einer wohl langsam untergehenden Kultur ein Denkmal gesetzt. Gleichwohl heißt es da: „Hier stirbt sich's gelassener." Und: „Wer das Licht des Tages nicht aushält, der sitzt hier und zwinkert, denn das Leben ist immer noch nicht tragisch genug." Darauf ein Schultheiss ­ pur.

Roland Abbiate

Björn Kuhligk/Tom Schulz (Hg.): Das Berliner Kneipenbuch. Berliner Autoren und ihre Kneipen. Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2006. 9,95 Euro

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