Ausgabe 10 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Es ist wirklich unglaublich,
wie beim Bankenskandal ein Vergehen auf das nächste folgte"

Foto: Knut Hildebrandt

Jochen Bäumel über die Abgründe der Korruption und die Zuversicht, daß es besser wird

Berlin kann gar nicht stolz auf seine lange Geschichte der Korruption zurückblicken. Der Skandale gab es viele, das Gedächtnis der Öffentlichkeit war offensichtlich kurz. Transparency International (TI) ist eine Nichtregierungsorganisation, die auf Korruption aufmerksam macht und auf diese Weise Politik und Verwaltung ein wenig auf die demokratischen, weil transparenten Sprünge hilft. Jochen Bäumel ist Mitglied des Vorstandes von TI.

MTI hat auf seiner Homepage Sonderseiten zu Berlin eingerichtet, auf denen die Anti-Korruptionsanstrengungen des Landes dokumentiert werden. Warum?

Das hat nichts damit zu tun, daß Berlin besonders korrupt wäre. Wir haben in Berlin einfach eine starke Gruppe, die wissen wollte, was in ihrer Stadt passiert. Deshalb haben wir die Situation analysiert und das Ergebnis öffentlich gemacht.

Auf der anderen Seite sind die großen Skandale, die Berlin über die Jahre gesehen hat, ziemlich einmalig. Da war 1974/75 der Skandal um den Steglitzer Kreisel mit Sigrid Kreßmann-Zschach, 1976 die Affäre um die Berliner Porzellanmanufaktur. 1978 ging es mit dem Garski-Skandal weiter, bei dem es um Bauvorhaben in arabischen Ländern ging. Da war schon etwas von leichtem Größenwahn zu erkennen. Dann kam 1986 die Antes-Affäre, ein astreiner Korruptionsskandal, der sich aber über Jahre hinweg entwickelt hatte. Und schließlich stürzte der Diepgen-Senat über den Bankenskandal, der von der Tempodrom-Affäre gefolgt wurde. In Berlin hat es ein Klima gegeben wie unter einer Käseglocke, das hat die Korruption gefördert.

Man muß aber auch sehen, daß es nach dem Bankenskandal eine ganze Reihe von Anstrengungen des Abgeordnetenhauses und des Senats gegeben hat, damit so etwas nicht mehr passiert. Man hat Gesetze verändert, die Aufsichts- und Berichtspflichten verschärft und so weiter.

Also alles in Butter ...

Nein, denn manchmal scheint es so zu sein, als würde der politische Wille für eine ernsthafte Bekämpfung nicht ausreichen. Wie ist es sonst zu erklären, daß nur 19 Prozent aller Auftragsvergaben gemäß der Landeshaushaltsordnung ausgeschrieben werden und 81 Prozent nicht? Das kann doch nicht sein! Der politische Wille, hier etwas zu ändern, fehlt. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, daß der Staatssekretär und die Abteilungsleiter gegen die Anweisung ihres Senators oder ihrer Senatorin handeln. Hier herrscht ein bestimmtes Laissez-faire, bei dem vorgegeben wird, daß die einheimische Bauindustrie geschützt werden muß. Hier sehe ich einen grundsätzlichen Mangel, und mir ist es ein Rätsel, warum der Senat das so billigt.

Sie haben jetzt zwei Dinge erwähnt: das korruptive Klima und die Anstrengungen, die der Senat unternommen hat. Wenn man etwas ändern will, dann ist das doch gut.

Für die vielen unverständlichen Dinge, die in Berlin passiert sind, gab es drei Gründe. Erstens lebten die Berliner auch in den 90er Jahren noch wie unter einer Käseglocke. Zweitens war nach der Wiedervereinigung so etwas wie Größenwahn ausgebrochen: Man glaubte, daß die Stadt bald fünf Millionen Einwohner zählen würde. Vor diesem Hintergrund hat es auch die Kreditzusagen im Wohnungsbau gegeben, die Fonds, mit denen sich die Spitzenmanager bereichern konnten. Was allerdings rechtmäßig war. Doch was hat diejenigen, die solche Fonds aufgelegt haben, getrieben? Ich weiß es nicht. Aber es ist wirklich unglaublich, wie beim Bankenskandal ein Vergehen auf das nächste folgte. Daß so etwas in dieser Summierung möglich ist, hätte ich vorher nicht für möglich gehalten. Das war, drittens, nur im Rahmen der großen Koalition aus SPD und CDU möglich. Die haben zugelassen, daß Vorstände von Banken und andere Spitzenmanager gegen das Kreditwesengesetz verstoßen haben und verurteilt werden konnten, ohne daß sie ihre Strafen zahlen mußten. Der Aufsichtsrat hat dafür gesorgt, daß die Bank eingesprungen ist. Und Senatorin Annette Fugmann-Hesing hat das zugelassen. Sie saß gleichzeitig im Aufsichtsrat.

Interessant wird es doch, wenn Politiker aus ihrem Amt ausscheiden und später auf der anderen Seite wieder auftauchen. Sie beschäftigen sich dann von mehreren Positionen aus mit derselben Sache. Ist es zu weit gegriffen, diese Konstellation Korruption zu nennen?

Ja, das ist zu weit gegriffen. Aber genau wegen derartigen Konstellationen bin ich dafür, Karenzzeiten einzuführen. Das Gesetz sagt: Wenn ein Beamter aus dem Dienst ausscheidet und in eine Firma wechselt, bei der es eine Interessenkollision geben könnte, dann kann die Dienststelle diese Tätigkeit für vier, fünf Jahre verweigern ­ aber nur dann, wenn Versorgungsbezüge bezahlt werden. Wenn das nicht der Fall ist, kann der Beamte nach seinem Ausscheiden machen, was er will. Deshalb sollte es auf jeden Fall eine Möglichkeit geben, so etwas zu verbieten, auch für Regierungsmitglieder.

Das Parlament dient ja der Kontrolle der Regierung. Mir ist aber kein Fall bekannt, wo das Parlament seine Kontrollfunktion ernsthaft ausgeübt hätte.

Das würde ich so nicht sehen. In der Vergangenheit haben die Grünen Anträge gestellt und Gesetzesvorschläge gemacht. Aber man ist denen nicht nachgekommen. Der Untersuchungsausschuß zum Bankenskandal wollte z.B. einen Fachmann einstellen, der sich mit Banken und Wirtschaft auskennt. Das hat Parlamentspräsident Walter Momper einfach abgelehnt. Er konnte das.

Die Mitglieder des Abgeordnetenhauses sind Teilzeitparlamentarier mit entsprechend geringeren Diäten. Wäre es hilfreich, ein Vollzeitparlament einzurichten und die Diäten zu erhöhen, um das Selbstbewußtsein der Abgeordneten zu erhöhen und die Korruptionsanfälligkeit zu senken?

Nein, dadurch gewinnen die Abgeordneten nicht mehr Selbstbewußtsein. Ich will auch nicht darüber richten, ob sie angemessen bezahlt werden oder nicht. Allerdings haben sie bestimmte Pflichten, die sie z.B. in einem Unterausschuß wahrnehmen können, der entsprechende Kontrollbefugnisse hat. Außerdem hat man zu diesem Zweck ja die Berliner Verfassung geändert. Hinter dem Aktiengesetz verstecken und keine Auskunft geben, das kann die Regierung bei Beteiligungsunternehmen nicht mehr.

Die Frage nach den Karenzzeiten war für TI einer der „Wahlprüfsteine". SPD und CDU waren dagegen. Da wären wir doch wieder beim Klima und den Konsequenzen, die man aus Korruptionsskandalen zieht.

Das war typisch. Es hat den Fall Bielka gegeben, er war Finanzstaatssekretär und im Aufsichtsrat einer Wohnungsbaugesellschaft. Als Aufsichtsrat hat er der Erhöhung der Vorstandsgehälter um 48 Prozent zugestimmt, und etwas später ist er in den Vorstand dieser Gesellschaft gewechselt, war also Nutznießer dieser Erhöhung. Das war der Anlaß dafür, daß Grüne fünf und FDP zehn Jahre Karenzzeit verlangt haben. Diese beiden Parteien stehen auch heute noch dazu, aber die SPD will gar nichts davon wissen, weil sie meint, das Know-how der Betreffenden müsse weiterhin zur Verfügung stehen, und die CDU hat auch erhebliche Einwände. Das ist zwar abenteuerlich, aber sie haben durch die verschiedenen Skandale offensichtlich nicht genügend gelernt.

Der Bezirk Spandau wird von TI gelobt, weil dort Korruptionsbekämpfung anders betrieben wird als anderswo. Was machen die Spandauer denn richtig?

Einen kompletten Überblick habe ich nicht, aber ich weiß, daß die Spandauer nicht die einzigen sind. Sie haben einen Preis für transparentes Handeln bekommen. Nachdem sie schlechte Erfahrungen mit Korruption gemacht haben, haben sie überlegt, was sie anders machen können. Jetzt haben sie z.B. eine Vergabejuristin und einen Ombudsmann, der außerhalb der Behörde jedoch so gut wie unbekannt ist. Das sollten sie noch ändern.

Und bei den anderen Bezirken würde ich mir wünschen, daß es überhaupt Korruptionsprävention gibt. Es reicht nicht aus, die Mitarbeiter einen Zettel unterschreiben zu lassen, auf dem steht, daß sie Korruption zu ächten hätten. Wenn die Bezirke Korruption bekämpfen wollen, dann müssen sie bei den Bezirksverordneten anfangen.

Ein wichtiger Bestandteil zur Korruptionsbekämpfung ist, daß die Bezirksverordneten offenlegen müssen, welchen Organisationen sie angehören. Aber kann das überhaupt ausreichen?

Bezirksverordnete gelten als Mandatsträger. Sie sind also Bundes- und Landtagsabgeordneten gleichgestellt. Diese Gleichstellung bedeutet, daß sie, z.B. was Vorteilsnahme angeht, anders behandelt werden als Beamte. Abgeordnete werden nur dann bestraft, wenn sie Belohnungen für ein bestimmtes Wahlverhalten gewähren. Ansonsten ist das, was man bei Beamten Anfüttern und Vorteilsnahme nennt, bei Abgeordneten nicht strafbar. Da muß es auf jeden Fall eine Änderung geben. Aber das muß der Bundesgesetzgeber regeln, eine BVV kann das nicht.

Ich wäre deshalb schon zufrieden, wenn die Bezirksverordneten ihre institutionellen Beziehungen und finanziellen Engagements offenlegen würden, so wie das auch bei den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses der Fall ist. Das wäre ein großer Schritt.

Wenn man sich die Vergangenheit Berlins ansieht, darf man dann optimistisch sein oder lieber nicht?

Ich bin optimistisch! Das Klima hat sich verändert, es weht ein frischer Wind. Die Parteien haben gemerkt, daß man mit Mauscheleien nicht weiterkommt. Für den Bau des neuen Flughafens hat man einen sogenannten Integrity Pact, ein von Transparency entwickeltes Vertragssystem, geschlossen, nach dem auch die vertraglichen Vergaben nochmal kontrolliert werden. Das würde ich als Erkenntnisfortschritt aus dem Scheitern des Diepgen-Senats werten. Inzwischen ist die Korruptionsbekämpfung durch den jetzigen Senat sogar vorbildlich in Deutschland. So, wie es in der Vergangenheit war, wird es wohl nicht weitergehen. Man kann Korruption zwar nie ganz ausschließen, aber man kann durch Transparenz und offenen Umgang damit sehr viel mehr erreichen, als wenn man sie unter den Tisch kehrt.

Interview: Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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