Ausgabe 08 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Keine Politik des kleineren Übels, die in erster Linie zu Übel führt"

Ein Gespräch mit Lucy Redler über ihre Erwartungen an die WASG und die Zukunft der Linken

Die kurze Geschichte der WASG nimmt sich ­ zumindest die des Berliner Landesverbandes ­ aus wie die des kleinen gallischen Dorfes, das von Römerlagern umzingelt ist, aber beharrlich Widerstand leistet. Der Landesverband widersetzte sich der Order „von oben", der Fusion mit der PDS zur Linkspartei zuzustimmen und trat gegen die Linkspartei.PDS an. Der Einzug ins Abgeordnetenhaus ist der WASG zwar nicht gelungen, aber nach der Wahl ist vor der Wahl.

Mit welchen Motiven und Erwartungen sind Sie zur WASG gekommen ?

Spätestens durch die rot-grüne Bundesregierung ist klargeworden, daß die SPD keine linke Partei mehr ist und nicht mehr die Interessen von Arbeitern oder Erwerbslosen vertritt. Auch die Grünen haben spätestens mit der Beteiligung am Krieg gegen Serbien ihre grundlegenden Prinzipien aufgegeben. Und die PDS war für viele Linke aufgrund ihrer Beteiligung an Regierungen und dem Mittragen von Sozialkürzungen keine politische Alternative. Es war also Zeit für eine linke Kraft, es war noch Platz für eine Partei, die sich in erster Linie als Ausdruck der außerparlamentarischen Bewegung versteht. In dem Sinne fand ich das Konzept der WASG als Sammlungsbewegung überzeugend.

Eine Partei hatte es aber sein sollen? Das Parlament war also letztlich die Bezugsgröße für Ihr politisches Engagement?

Nicht das Parlament, sondern der Gedanke einer neuen Partei, in der sich Leute zusammenschließen, die sich wie ich als Sozialisten verstehen oder sich ganz neu politisieren, die z.B. aus der Anti-Hartz-Bewegung kommen. Ich glaube, daß es die Aufgabe einer linken Partei ist, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse insgesamt zu verändern. Inerster Linie durch die Stärkung des außerparlamentarischen Widerstands. Doch auch durch die Opposition im Parlament kann den vom Sozialabbau betroffenen Menschen endlich wieder eine Stimme gegeben werden und die parlamentarische Position kann genutzt werden, um den außerparlamentarischen Widerstand zu verstärken.

Hat Sie der Konflikt um die Fusion in Berlin bestärkt?

Der Konflikt in Berlin war stellvertretend für zentrale Fragen, die sich innerhalb der Linken in der Zukunft stellen werden. Hier ging es um die Gretchenfrage: Soll sich die Linke an Regierungen beteiligen und eine sogenannte Politik des kleineren Übels betreiben, die in erster Linie zu einem Übel führt? Oder soll die neue Partei in erster Linie auf der Seite der Menschen stehen, die vom Sozialabbau betroffen sind, und dadurch einen Beitrag leisten, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse insgesamt zu ändern?

Der WASG ist nicht ins Abgeordnetenhaus gekommen. Ist sie gescheitert? Woran könnte es gelegen haben?

Das Wahlergebnis ist sehr respektabel für eine Partei, die zum ersten Mal angetreten ist. Wir haben über 40000 Zweitstimmen bekommen und sind in sieben BVVn eingezogen. Deshalb denke ich nicht, daß wir gescheitert sind. Wir haben im Wahlkampf auch immer gesagt, daß wir aus der Opposition heraus etwas verändern werden. Wir werden jetzt in erster Linie in der außerparlamentarischen Bewegung den Widerstand gegen die Kürzungspolitik in Berlin und Deutschland aufbauen.

Im täglichen Leben kommt man ja eher weiter, wenn man Kompromisse eingeht. Ich hatte den Eindruck, daß die kompromißlosen Aussagen der WASG unattraktiv gewirkt haben.

Ich glaube, daß vielen Linken und vielen Ostberlinern, die bisher die PDS gewählt haben, klargeworden ist, daß Kompromisse mit der SPD in Regierungsverantwortung nur zu weiteren Privatisierungen und Sozialabbau führen und den außerparlamentarischen Widerstand insgesamt schwächen. Wir standen im Wahlkampf vor der Herausforderung, die Leute davon zu überzeugen, daß wir anders sind. Viele Leute haben die Nase voll von den etablierten Parteien; leider konnten wir diese Stimmung nicht aufbrechen. Sie haben gesagt: Wer garantiert uns, daß ihr nicht so endet wie die Grünen oder die PDS, worin besteht der Unterschied? Wir konnten durch Kampagnen wie z.B. gegen Wohnungsprivatisierung oder durch Unterstützung der Charité-Kollegen ein Stück weit deutlich machen, daß wir anders sind. Natürlich konnten wir noch nicht den Beweis erbringen. Das müssen wir jetzt machen.

Und woher nehmen Sie die Zuversicht, nicht so zu enden wie die Grünen oder die PDS? Die Frage ist natürlich jetzt spekulativ, weil die WASG den Beweis nicht antreten muß ...

Ich glaube, daß wir in Deutschland weiterhin in einer Klassengesellschaft leben, im Kapitalismus, und daß sich eine neue Linke ganz eindeutig positionieren muß, auf welcher Seite sie gesellschaftlich steht. Steht sie konsequent auf der Seite der Menschen, die von Sozialabbau betroffen ist, also der Seite der Erwerbslosen, der Angestellten, der Arbeiter, der Rentner? Oder sagt sie, sie macht eine Politik für alle und versucht den Ausgleich zwischen den verschiedenen Klassen und knickt dabei immer wieder ein? Um zu verhindern, daß sie sich an das bürgerliche Establishment anpaßt, ist das weitere Engagement in gewerkschaftlichen und außerparlamentarischen Initiativen, Kampagnen, Protesten entscheidend. Die Stärke einer linken Partei im Parlament hängt immer vom gesellschaftlichen Kräfteverhältnis und der Stärke der außerparlamentarischen Bewegung ab. Außerdem ist es wichtig, daß eine linke Partei in Stadtteilversammlungen immer wieder Rechenschaft über ihre Parlamentsarbeit ablegt und daß Abgeordnete durchschnittlich nicht mehr verdienen als die Menschen, die sie vertreten wollen.

Ziel der Fusion von PDS und WASG war ja gewesen, eine starke Linke herzustellen. Manche sagen jetzt, dieses Ziel wäre gescheitert, weil die WASG Berlin ein Spaltpilz war. Ist die Linke durch die WASG jetzt geschwächt?

Was die Linke geschwächt hat, war die Politik der Privatisierungen und des Sozialabbaus, die die PDS in der Regierung mit der SPD umgesetzt hat. Die PDS hat sonntags vom Sozialismus gesprochen und montags Sozialabbau betrieben. Dafür hat sie ja am Wahltag auch die Quittung bekommen und die Hälfte der absoluten Stimmen verloren. Dieses Ergebnis hat deutlich gemacht, daß die neue linke Partei nicht auf der politischen Programmatik der Linkspartei.PDS in Berlin gegründet werden kann. Es gibt Haltelinien: kein Sozialabbau, keine Privatisierung und keinen Stellenabbau in Regierungsbeteiligung.

Sie sprachen eben von Klassengesellschaft. Ich habe Schwierigkeiten, z.B. die Arbeiterklasse zu identifizieren. Wo ist denn der Adressat für linke Politik geblieben?

Ich verstehe unter Arbeiterklasse all diejenigen, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Das sind also nicht nur die Industriearbeiter, sondern auch das Pflegepersonal an der Charité, oder die Erwerbslosen, die momentan eine Nullstundenwoche haben. Unsere sogenannten Adressaten sind ganz einfach alle Menschen, die von der weiteren Umverteilung von unten nach oben betroffen sind.

Welche Bündnisse wird die WASG jetzt eingehen, um linke Politik umzusetzen?

Im Moment ist der wichtigste Termin der 21. Oktober, an dem der DGB zu Protesten gegen Sozialabbau, für einen Mindestlohn und gegen die Heraufsetzung des Renteneinstiegsalters aufruft. Ein anderer wichtiger Punkt ist im Moment die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen an der Charité. Wir waren, seitdem der Streik läuft, jeden Tag an allen Standorten präsent und haben unsere Unterstützung deutlich gemacht. Ich war selbst diese Woche bei Bosch-Siemens-Hausgeräte, wo es um die Schließung des Werks geht. Nächste Woche werden wir sicherlich auch den Streik konkret unterstützen, indem wir Streikposten stellen. Dazu sind wir auch bei antifaschistischen Mobilisierungen aktiv, klinken uns beim Bürgerbündnis gegen Privatisierung ein und so weiter.

Interview: Benno Kirsch

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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