Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Abenteuer in der Klassengesellschaft und im Wirtshaus

Endlich liegen Texte aus dem Nachlaß von Gunter Falk vor

Die steirische Landeshauptstadt Graz, entlegen am südlichen Rand des deutschen Sprachraums, wurde lange Zeit als „heimliche Literaturhauptstadt" gehandelt. Dafür verantwortlich war vor allem Alfred Kolleritsch mit seiner Zeitschrift manuskripte. Früher als andere druckte er Texte von Oswald Wiener, Autoren wie Peter Handke oder Barbara Frischmuth zählten zu seinen Grazer Kreisen. Der bedeutendste Autor aus diesem Umfeld aber, Gunter Falk, ist heute beinahe vergessen. Und das liegt nicht nur am frühen Tod des Quertreibers im Jahre 1983.

Während Kolleritsch immer nur ein schwacher konservativer Lyriker war, der allein wegen seiner herausgehobenen Position als Literaturbetriebs-Zampano auch als Autor Karriere machen konnte, begannen „Grazer" Autoren wie Peter Handke oder Gert Jonke mit sprachkritisch-experimentellen Ansätzen, um dann aber sehr schnell zu einem marktkompatibleren Schreiben umzuschwenken. Ganz anders Falk, der diesen Ansätzen treu blieb und dessen schmales Œuvre ausschließlich aus Kurzprosa und Gedichten besteht. Was ihn von den Kollegen in Graz auch unterschied, ist die theoretische Fundierung seines Schreibens. Falk lehrte als Soziologe an der Grazer Universität und rezipierte Foucault und Bourdieu bereits, als „die Franzosen" noch keine intellektuelle Mode waren. Gunter Falk litt an seiner Außenseiterposition und flüchtete sich in den Alkohol. Der Suff hat ihn mit 40 Jahren das Leben gekostet. In einem „kinderlied" reimte er: „von dem regen / in die traufen: / saufen / saufen / saufen".

Manches bei Falk, der seine Texte gerne mit rauchiger Stimme zu Jazz-Improvisationen deklamierte, klingt pathetisch-auftrumpfend, immer wieder stolpert man über ironiefreie machistische Gesten wie: „in diesem / jahrhundert / bist du / ziemlich allein / in deiner not". In dem Gedicht „graz landeshauptstadt" heißt es: „ich begrüße / als insasse / lebenslängliche / tote". Aber man findet auch Spielerisches, Anklänge an konkrete Poesie, gewitzte Kurzprosa, in der häufig die autobiographisch getönte Figur Franz auftaucht. „Franz, der arbeiter von der traurigen materie oder Abenteuer in einer klassengesellschaft" ist ein Text überschrieben, der mit den Worten beginnt: „Franz, der früher viel studiert hat, beschloß also, zu entgleisen." Und dann immer wieder dieser rauhbeinige lonesome cowboy, der Trinker: „sei doch ein held/so steh doch deinen mann/und wenn schon nicht im krieg/dann wenigstens beim saufen". Wenn Gunter Falk am besten ist, dann ist er so etwas wie ein Beat-Poet mit Formbewußtsein, dann paart sich Experiment mit existentiellem Tiefgang, wie sonst wohl nur bei seinem Freund, dem ebenfalls früh verstorbenen Reinhard Priessnitz.

Zu Lebzeiten Gunter Falks erschienen im Verlag von Klaus Ramm die Bände Die Würfel in manchen Sätzen (1977) und Die dunkle Seite des Würfels (1983), die alle Texte aus den Jahren 1977-1983 bzw. 1961-1977 in „zur Chronologie umgekehrter Reihenfolge" versammelten. Diese zwei Bücher bilden nun die ersten beiden Abschnitte der neuen, vorläufigen Gesamtausgabe, ergänzt um Texte aus dem Nachlaß und verstreute Veröffentlichungen. Es ist ein großer Verdienst des Ritter Verlags, mehr als 20 Jahre nach dem Tod des Autors endlich diese Texte aus dem Nachlaß zugänglich zu machen. Freilich hätte man sich etwas mehr Sorgfalt bei dieser Edition gewünscht. Herausgeber Günter Eichberger relativiert den Untertitel „alle Texte" in einer editorischen Notiz flugs zu „fast alle", ohne seine Auswahlkriterien und Quellen offenzulegen. Drei Essays, sozusagen als Zugabe, zeigen Falk als scharfsinnigen Kritiker des Literaturbetriebs und lassen einen weiteren Band mit essayistischen Arbeiten wünschenswert erscheinen.

Florian Neuner

Gunter Falk: Lauf wenn du kannst. Alle Texte. Ritter Verlag, Klagenfurt 2006. 23,90 Euro.

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