Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
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Von der himmlischen Rechtfertigung der Knabenliebe

Traumwelten und Fluchtpunkte: Das Schwule Museum entführt in homoerotische Paradiese

20 Jahre besteht das Schwule Museum nun schon und ist noch immer einmalig in seiner Art. Nachdem man im Dezember 2004 die Ausstellungsfläche erweitern und eine Dauerausstellung einrichten konnte, steht man nun vor einem weiteren bedeutsamen Schritt: dem Ankauf der Sammlung Sternweiler. Die Sammlung des Kunsthistorikers Andreas Sternweiler ist eine der größten über schwule Kultur und Geschichte weltweit und wäre in dem Kreuzberger Museum sicher bestens aufgehoben. Die Kulturstiftung der Länder zahlt, das Museum kann Geld aus Vermächtnissen dazulegen, der Rest soll noch aus Spenden aufgebracht werden.

Einen ersten Einblick in die Sammlung bietet jetzt die aktuelle Ausstellung Paradiese, die einen weiten Bogen von 1500 bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts spannt und zeigt, wie schwule Männer sich im Laufe der Jahrhunderte mit Hilfe von Kitsch und Kunst in Gegenwelten zu einem Alltag phantasierten, in dem sie ihren Neigungen nur heimlich oder auch gar nicht nachgehen konnten: mit antiken Szenen wie dem Raub des Ganymed oder nackten Fischern in der Blauen Grotte auf Capri. Daraus ergibt sich ein kulturgeschichtliches Panorama schwulen Lebens und Begehrens über mehrere Jahrhunderte, und auf diese Weise kommt auch die Stärke der Sammlung zum Tragen, die nur punktuell mit herausragender künstlerischer Qualität besticht.

Projektionsfläche Nr. 1 war über lange Zeit hinweg natürlich die Antike, wurden doch fast allen Göttern auch homosexuelle Liebschaften nachgesagt, und hatte doch Zeus, der Göttervater höchstselbst, den schönen Knaben Ganymed entführt. Apollo soll nicht weniger als 16 Affairen mit Jünglingen gehabt haben, und auch von Kaiser Hadrian ist eine schwule Beziehung überliefert. In der Renaissance konnte das nun schlecht ausgeblendet werden, und schwule Künstler hatten ihre Legitimation für „einschlägige" Motive. Ein Bild mit dem Titel „Vier Männer am Pranger in England" von 1805 zeigt aber auch, in welcher Gefahr sich Homosexuelle noch lange befanden. Es mußte, so gut es ging, sublimiert werden.

Großen Raum nimmt in der Ausstellung die Zeit der Jahrhundertwende und der Weimarer Republik ein, denn damals war Berlin die unangefochtene schwule Hauptstadt. Man mußte nicht mehr unbedingt nach Italien gehen, wohin im 19. Jahrhundert Künstler wie Hans von Marées geflüchtet waren, um freizügiger leben zu können. An einigen Akademien wirkten schwule Künstler wie Arthur Bär oder Paul Höcker. Marcus Behmer, bekannt mit Stefan George und Magnus Hirschfeld, thematisierte Homosexualität in seinen Zeichnungen in einer bislang kaum gekannten Breite. Exemplarisch ist aber auch der Fall von Sascha Schneider, der seit 1904 an der Weimarer Kunstschule unterrichtete, seine Stellung aber aufgeben mußte, als er von seinem Ex-Freund erpreßt wurde. Schneider ließ sich allerdings nicht einschüchtern und ging künstlerisch in die Offensive. „Mich interessiert ausschließlich der männliche Körper", schrieb er 1912 und hatte bereits so etwas wie ein schwules Selbstbewußtsein entwickelt: „Mein Standpunkt ist außerhalb des Normalen. Diese meine mir angeborene Naturanlage ist nicht zu bekämpfen und zu unterdrücken. Wozu auch?"

Nach dem vernichtenden Rückschlag, den der Nationalsozialismus für die schwule Emanzipationsbewegung bedeutete, dauerte es lange, bis man wieder an die Errungenschaften der Vorkriegszeit anknüpfen konnte. Die in diesen Jahren bestimmende abstrakte Malerei bot zudem wenig Raum für die Sublimierung homoerotischer Phantasien. Und heute, wo in einer durch und durch sexualisierten Bilderflut alles erlaubt ist, müssen sich schwule Künstler keine Strategien mehr überlegen, wie sie ihr Begehren in ihre Kunst einbringen können.

Peter Stirner

„Paradiese – Schätze aus der Sammlung Sternweiler", noch bis zum 18. September im Schwulen Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg, So, Mo sowie Mi bis Fr 14 bis 18 Uhr, Sa 14 bis 19 Uhr

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