Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Künstler zur Zwischenmiete

Wie ein Spekulant seine Fehlinvestition verwaltet

„Endlich mal eine gute Idee", meint Philipp von Recklinghausen, der einen ziemlich preiswerten Arbeitsraum für seine Fotowerkstatt in der Alten Jakobstraße in Kreuzberg gefunden hat: Für 2,50 Euro pro Quadratmeter bekommt man in Berlin sonst nirgendwo Gewerberäume.

Der Vermieter, Klaus Steilmann, hatte das in den achtziger Jahren sanierte Haus 1992 zu Spekulationszwecken gekauft und gehofft, es bei steigenden Preisen auf dem Berliner Immobilienmarkt gewinnbringend wieder verkaufen zu können. Doch seitdem hat er vergebens einen Käufer gesucht. Die Interessenten, die in dieser Gegend eine Immobilie suchten, bevorzugten, so hat von Recklinghausen vom Hausmeister erfahren, eher leere Grundstücke, die sie dann selbst bebauen könnten. In der Nähe der Mauer, wo die Alte Jakobstraße liegt, nicht weit vom Axel-Springer-Haus entfernt, gab es und gibt es noch eine Menge leerstehender Grundstücke. So fanden sich bisher für das alte, noch nicht modernisierte Haus keine Interessenten. Ein Kunstgriff sollte es nun ermöglichen, daß zumindest die laufenden Kosten des Hauses gedeckt würden, bis für das Spekulantentum in dieser Gegend wieder bessere Zeiten anbrechen. Also beschloß der Vermieter, wenigstens die ersten zwei Etagen des fünfstöckigen Hauses zu diesem niedrigen Preis als Gewerberäume zu vermieten.

Diese Nachricht scheint sich wie ein Lauffeuer unter den Künstlern Berlins verbreitet zu haben. Jedenfalls war, wie Hausmeister Richard Plonka erklärt, innerhalb eines Monats das ganze Haus bis unter das Dach an Künstler vermietet. Der Verwalter wollte sich seltsamerweise nicht dazu äußern, wie er darauf kam, ausgerechnet an Künstler zu vermieten. So ließ sich niemand finden, der darüber Auskunft gab, ob die ausschließliche Vermietung an Künstler eine Marketingstrategie war oder reiner Zufall.

Doch von Recklinghausen, als Künstler auf der Suche nach bezahlbaren Gewerberäumen, ist begeistert: „Das ist eine große Chance, Leerstand produktiv zu nutzen. Und für die Künstler ist das bei den derzeit üblichen Berliner Gewerbemieten ein wahres Geschenk." In der Max-Beer-Straße in Mitte, in der von Recklinghausen bisher seine Gewerberäume hatte, mußte er 8 Euro pro Quadratmeter an die WBM zahlen. Und bei einem privaten Vermieter in der Alten Schönhauser Straße, auch in Mitte, kostete der Quadratmeter zwischen 10 und 20 Euro. Als Fotograf kann von Recklinghausen von seiner Arbeit ganz gut leben, doch wer will nicht die nötigen laufenden Kosten auf ein erträgliches Maß reduzieren? Allerdings beklagt er, daß es keine Mindestlaufzeit für die Mietverträge gebe. Sie seien jederzeit mit einer Dreimonatsfrist wieder kündbar, sollte sich ein kaufwilliger Interessent für das Haus finden. Diese Regelung verhindere, daß die Künstler in die Verbesserung der Räumlichkeiten investierten. Zu hoch sei die Unsicherheit, bald wieder hinauszufliegen und dann alle Investitionen in den Sand gesetzt zu haben.

Das Modell, Leerstand trotz Spekulationswillen produktiv zu nutzen, sollte Schule machen, stehen in Berlin doch viele Gewerberäume leer. Wie das Beispiel zeigt, liegt dies weniger am Bedarf als an den Mietpreisen.

Inett Kleinmichel

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 07 - 2006 © scheinschlag 2006