Ausgabe 07 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Im Hinterhof der „Rütli"-Debatte

Besuch im Neuköllner Jugendclub „Manege"

Es ist ruhig im Reuterkiez, wie überall in Berlin zur Ferienzeit. Hin und wieder rollen Autos gemächlich über das Kopfsteinpflaster der Weserstraße. An der Ecke zur Rütlistraße wachen zwei riesige Frösche aus Pappmaché darüber, daß keine Autos in die Straße fahren. Denn die Rütlistraße ist eine „fusion street", wie ein Schild verrät – eine autofreie Straße für die Jugendlichen.

Hier liegt ­ natürlich! ­ die Rütli-Schule, die im März den Blätterwald zum Rauschen brachte. Und gegenüber dieser „schlimmsten Berliner Schule" (BZ) befindet sich, mit schreiend rot gestrichener und auffällig gestalteter Fassade, der Jugendclub „Manege". Mitten im problematischen Reuterkiez mit hohem Migrantenanteil und hoher Arbeitslosenquote, speziell unter Jugendlichen, wo es etwas Besonderes ist, eine Perspektive zu haben, und etwas Normales, von Transferleistungen zu leben. Auch in der Manege ist es ruhig. Ein paar Kinder toben, ansonsten scheint wenig los zu sein ­ es sind ja auch Ferien. Vielleicht die richtige Zeit, um diesen Ort zu besuchen, um den es in den letzten Monaten alles andere als ruhig war. Und sich abseits aller Aufregung den Hinterhof der „Rütli"-Debatte zu betrachten.

Mich begrüßt Wolfgang Janzer, ein freundlicher Mann mit langen weißen Haaren und rauschendem Bart. Er ist zusammen mit Martha Galvis de Janzer seit 2002 Leiter des Jugendclubs. Damals übernahmen sie mit ihrem Verein „Fusion Intercultural Projects Berlin e.V." das Haus, in dem vorher ein kommunal getragener Jugendclub untergebracht war. Ihr Engagement für die Einrichtung hatte aber schon früher begonnen. 1996 gegründet, war Fusion Ideengeber und Mitinitiator des Karnevals der Kulturen. 1998 begann der Verein, Kunstprojekte in der Manege auszurichten: riesige Figuren wie die beiden Frösche bauen, die Fassade gestalten, am Karneval der Kulturen teilnehmen ­ die Liste ist lang. Das Engagement endete vorerst im Jahre 2001, als es zum Konflikt mit der Leitung des Hauses kam. Es war ein Streit um die pädagogische Ausrichtung des Zentrums entstanden, erzählt Janzer. „Unsere Ansätze vertrugen sich einfach nicht." Die künstlerische Herangehensweise des Vereins war immer wieder mit der staatlichen Pädagogik kollidiert, die an ihrem Ende angelangt war, so Janzer. Man habe dort die Jugendlichen nur noch „verwahrt" und die Ruhestörer mit Hausverboten ausgesperrt, statt sie einzubinden. Ein Jahr später stieg Fusion als freier Träger des Jugendhauses bei der Manege wieder ein.

„Outsorcing" nennt Yann Eric Döhner das, was damals passierte. Er ist Mitarbeiter der Manege, seit 2003 mit im Boot und unter anderem für die Veranstaltungsorganisation zuständig. Döhner läßt Galgenhumor erkennen. Als die städtischen Sozialarbeiter mit ihrem Latein am Ende gewesen seien, habe sich der Bezirk Neukölln zurückgezogen und Fusion die Trägerschaft des Hauses übertragen. Nicht, ohne dabei noch kräftig zu sparen: Mit 75000 Euro im Jahr bekommt die Manege gerade mal ein Fünftel eines vergleichbaren staatlich getragenen Jugendzentrums, so Döhner. Trotz des dünnen Budgets sei es aber gelungen, die Manege zu einem offeneren, lebendigeren Haus zu machen. Anstatt die Jugendlichen zu verwahren oder auszusperren, versuche man, die schwierige Situation der Jungen und Mädchen des Quartiers zu respektieren und sie mithilfe von Projekten zu erreichen. Und das funktioniere, wenn auch nur in kleinsten Schritten. Man sei natürlich nicht in der Lage, ihre Situation grundlegend zu verändern. Aber Breakdance-Workshops, Gestaltungsprojekte oder das Tonstudio im Haus würden angenommen und gäben den Jugendlichen Beschäftigungsmöglichkeiten und Selbstbewußtsein.

Und die Rütli-Sache? Die Sache mit den Medien? Das seien zwei unglaublich stressige Wochen gewesen, erzählt Döhner. Zu Hunderten seien die Journalisten und Fernsehleute dagewesen, hätten auch das Jugendzentrum gestürmt. In der ersten Woche habe man offensiv versucht, positive Pressearbeit zu machen, habe alle Fragen beantwortet, die Reporter unermüdlich durchs Viertel geführt. Doch als das Team gesehen habe, daß Aussagen verfälscht wiedergegeben und die bereitwillige Hilfe nur dazu verwendet worden sei, um das Bild der Schule noch drastischer zu zeichnen, habe man sich zurückgezogen. Ob die Medienresonanz etwas an der Situation der Manege verändert habe, will ich noch wissen. Vielleicht eine Aufstockung des Budgets? Vielleicht eine bessere Betreuung seitens des Bezirks? Döhner überlegt kurz. Nein, eigentlich sei nichts passiert, sagt er und zeigt wieder ein wenig Galgenhumor. Der Troß der Medienleute und der hemdsärmeligen Politiker ist wohl weitergezogen.

Als mich Döhner zur Tür begleitet, hat sich die Manege belebt. Eine koreanisch-arabische Geburtstagsfeier ist im Gang. Man vermiete manchmal die Räumlichkeiten des Hauses, um ein wenig zusätzliches Geld einzunehmen. Ich gehe auf der Rütlistraße zurück zur Ecke Weserstraße, da, wo die riesigen Frösche stehen, und drehe mich noch mal um. Rechts ist die Manege. Sie scheint aus dieser Perspektive schon ein wenig auf verlorenem Posten zu stehen.

Marco Gütle

www.fusionstreet.com

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