Ausgabe 06 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Venusschleim und Planwirtschaft

Auch bei der DEFA wurden Science-Fiction-Filme gedreht

In der Wüste Gobi wird eine Nachricht von der Venus gefunden, eine geheimnisvolle Spule, die einen Plan zur Vernichtung der Menschheit enthält. Daraufhin wird eine Kosmonauten-Crew losgeschickt, um das zu verhindern. Was sie auf dem Planeten allerdings vorfinden, ist – nichts. Außer einem radioaktiven Wald und Zeugnissen einer versunkenen Kultur, die sich offenbar selbst atomar ausgelöscht hat. Nur krakelige Körperschatten zeugen noch von ihrer einstigen Existenz. Ein schöner Plot für einen B-Science-Fiction-Streifen aus Hollywood.

Aber die Kosmonauten passen nicht dazu. Kein Wunder, denn das ist die Handlung des ersten Science-Fiction-Films der DEFA aus dem Jahr 1959. Allerdings stimmt die Genrebezeichnung nicht, man sagte „utopisch". Danach folgten innerhalb von 25 Jahren vier weitere utopische Filmversuche. Aber warum machte die DEFA das? Die Antwort ist ganz einfach: Weil das sozialistische Volk sich im Kino auch mal amüsieren und nicht immer nur Arbeiterhelden bewundern wollte.

Als erster wurde Kurt Maetzig in einer Koproduktion mit Polen beauftragt, eine Vorlage von Stanislaw Lem zu verfilmen, eben Der schweigende Stern. Neben dem Anspruch, auf technischem Niveau mit den westlichen Produktionen gleichzuziehen, war die allgemeine Aussage natürlich eine andere. Man wollte eine friedlich koexistierende zukünftige Menschheit zeigen, in der alle Völker gleichberechtigt miteinander leben. So starten mit dem Raumschiff „Kosmokrator" ein Russe, ein Chinese, ein Deutscher, ein Amerikaner, ein Afrikaner und eine Japanerin, um den Erdball zu retten. Anders als beim Klassenfeind wird viel geredet über Frieden, die Verantwortung der Wissenschaft und dezidiert das Hiroshima-Trauma. Ganz im Zeitgeist der 50er glaubt man an das Gute im Menschen und daran, daß die Wissenschaft schon alles richten werde. Die technische Ausstattung ist nicht viel schlechter als bei westlichen Produktionen: Ein schickes futuristisches Raumschiff wurde gebastelt und der radioaktive Wald der Venus braucht sich auch nicht zu verstecken, was zur Folge hatte, daß der Film 1962 gekürzt auch als First Spaceship on Venus in US-Kinos kam.

Zehn Jahre später gab es einen weiteren utopischen Film: Signale ­ ein Weltraumabenteuer. Wie der Titel vermuten läßt, sollte nun mehr Action in die Handlung zu kommen. Das Raumschiff Ikaros verschwindet, und eine Crew wird entsandt, um es wiederzufinden, was auch gelingt. Diesmal ist das Kollektiv nicht nur als heldenhafte, mehrköpfige Weltrettungsmaschine unterwegs. Die Mitglieder der internationalen Besatzung haben ein Privatleben, necken sich, machen schwerelose Mätzchen, ein bißchen wie auf der Enterprise. Nur die Ausstattung ist eher auf Orion-Niveau, aber in ORWO-COLOR.

Zwei Jahre später wollte man mit 70-Millimetertechnik für den Film Eolomea punkten, wo es um die Kontaktaufnahme mit fremden Wesen und wiederum die Fortschrittlichkeit der Technik geht. Selbst die DEFA-Starbesetzung und die schicke Ausstattung können den Film jedoch nicht retten, wie auch die DDR-Kritik anmerkte.

Der letzte richtig utopische, sprich ausschließlich in der Zukunft angesiedelte DEFA-Film entstand 1976 und ist vom heutigen Standpunkt aus echter Trash: Auf dem Planeten Zymro wird ein Hilferuf vom Planeten TEM 4 empfangen. Man macht sich dorthin auf und stellt zunächst fest, daß niemand gerufen haben kann, weil es den Temern so gut geht. Die sind aber in Wirklichkeit ganz fies und haben die Besatzung per Laserstrahl „mental blockiert", so daß sie ihre ursprüngliche Aufgabe vergessen. Denn eigentlich sitzen die Temer nur auf dem Planeten, um die Urbevölkerung der Turi, die den Hilferuf aussandten, zu versklaven und auszubeuten. Zur Rettung stirbt ein Crewmitglied den ritterlichen Heldentod, und die Raumschiffkommandantin (!) muß auf dem Planeten bleiben. Mal was anderes, aber nicht schön. Die Ausstattung riecht noch nach 30 Jahren nach Pappe.

Der unwiderruflich letzte utopische DEFA-Film war Besuch bei van Gogh aus dem Jahr 1985. Hier reisen Menschen aus dem 22. zurück ins 19. Jahrhundert, um beim Maler selbst billig Originale zu erwerben, die sie in ihrer Zeit teuer verscherbeln wollen, allerdings zum Wohle der Wissenschaft. Man braucht das Geld, um ein Mittel gegen eine unheilbare Krankheit zu finden. Hauptsächlich spielt der Film jedoch im 19. Jahrhundert, das mit seinem Bohème-Leben wesentlich interessanter ist als das sterile 22.

Der Versuch, eine eigene Interpretation des Genres zu schaffen, war hiermit endgültig gescheitert. Das große Dilemma des utopischen DEFA-Films war, daß er den wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu feiern hatte, ohne selbst davon betroffen zu sein, denn die rustikalen Produktionsbedingungen in Babelsberg ließen Tricks auf hohem, internationalen Niveau kaum zu. Für den fiesen, radioaktiven Venusschleim in Der schweigende Stern wurde beispielsweise fast die gesamte Jahresproduktion des Landes an Leim verbraucht. Überdies gerieten die Geschichten zu blutleer, denn wenn man eine konfliktlose, harmonische Gesellschaft zeigen soll, kann nicht viel passieren, jedenfalls nicht das, was einen guten Science-Fiction-Film ausmacht. Utopie und Planwirtschaft passen einfach nicht zusammen.

Ingrid Beerbaum

 
 
 
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