Ausgabe 06 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

„Die Revolution ist aufs Neue zu erfinden ­ das ist alles"

Guy Debord reloaded und gegen seine Liebhaber verteidigt

Wer sich heute auf dem weiten Feld zwischen Politik und Ästhetik den Anstrich von kämpferischer Radikalität geben will, für den gibt es kaum attraktivere Optionen, als sich auf die Situationistische Internationale (SI) und ihre Leitfigur Guy Debord zu beziehen. War doch die SI, die von 1957 bis 1972 bestand und aus der die meisten Mitglieder bereits vor ihrer Selbstauflösung ausgeschlossen wurden, die vermutlich letzte authentische Avantgarde-Bewegung, die aus einer radikalen ästhetischen Dissidenz zu einer radikalen Politik vorstieß. Mit der Kunst hatte diese Avantgarde am Ende wirklich und glaubhaft Schluß gemacht, künstlerische Betätigung war ein Ausschlußgrund. Legendär sind nicht nur die zwölf Ausgaben der Zeitschrift Internationale Situationniste, sondern auch die Rolle, die die Situationisten im Pariser Mai '68 gespielt haben, als sie, wie Debord es einmal ausdrückte, Öl dorthin trugen, wo Feuer war. Dem „sympathischen Hang zu destruktiver Kritik", von dem Stephan Grigat spricht, kann man sich in der Tat schwer entziehen.

Nun ist dieser letzten Avantgarde gewiß nicht mit dem hämischen Totschlagargument beizukommen, sie sei jetzt, 40 Jahre später, doch noch mitten im Kulturbetrieb gelandet. Denn auch wenn Debord kurz vor seinem Tod mit dem französischen Renommierverlag Gallimard seinen Frieden geschlossen hat ­ die Situationisten haben ihr Möglichstes getan, dem Kunst- wie dem Wissenschaftsdiskurs Anschlüsse zu verunmöglichen. Und wenn es in den letzten Jahren doch zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Situationisten vor allem im Kunstbereich gekommen ist, dann konnte das nur geschehen, indem man sie verkürzend als Künstler zu kanonisieren suchte. Höchste Zeit also, Guy Debord und die Seinen gegen ihre neuen Liebhaber zu verteidigen. Das haben Stephan Grigat, Johannes Grenzfurthner und Günther Friesinger mit einer Wiener Tagung im Januar letzten Jahres unternommen, die jetzt in ein Buch gemündet ist. Einigkeit, so die Herausgeber, habe darin bestanden, daß es gegen kulturindustrielle Vereinnahmungsversuche darum gehe, „Debord und die SI in ihrem revolutionären Anspruch ernst zu nehmen". Und das tun die meisten Autoren des Bandes auch mit Verve und Engagement.

Die Situationisten, so das Autorenkollektiv Biene Baumeister Zwi Negator, paßten weder in die Schublade der „(post-)modernistischen ,Künstler-Avantgarde', angereichert mit Politik, noch in die ,des Marxismus' oder gar ,Anarchismus', angereichert mit Kunst". Während sich ein revolutionärer Anspruch, ja politische Handlungsoptionen überhaupt, im Dickicht der postmodernen und poststrukturalistischen Theoriebildung verlieren, agieren und argumentieren die Situationisten strikt parteilich und lassen sich auch nicht einreden, daß es keine Klassen und kein Proletariat mehr gebe. Nach dem Motto „Proletarisiert sind immer die anderen!", darauf weisen Biene Baumeister Zwi Negator hin, vermeidet es der prekarisierte, postmoderne Intellektuelle, seiner Lebenssituation ins Auge zu sehen. Die Situationisten waren da illusionsloser: „Existenzbedingungen kann man nicht widerlegen ­ man kann sich nur von ihnen befreien."

Guy Debord formulierte in seinem theoretischen Hauptwerk Die Gesellschaft des Spektakels unmißverständlich: „Der Dadaismus wollte die Kunst wegschaffen, ohne sie zu verwirklichen; und der Surrealismus wollte die Kunst verwirklichen, ohne sie wegzuschaffen. Die seitdem von den Situationisten erarbeitete kritische Position hat gezeigt, daß die Wegschaffung und die Verwirklichung der Kunst die unzertrennlichen Aspekte ein und derselben Aufhebung der Kunst sind." Eiko Grimberg macht in seinem Beitrag deutlich, daß es Debord mit der Aufhebung der Kunst wirklich ernst war ­ bereits 1952, als er den radikalen Film Hurlement pour de Sade zeigte, der mit 24 Minuten Schwarzfilm ohne Text endet. Debord, so Grimberg, gehe weiter als die historischen Avantgarden, die ja gerne und häufig das Ende von irgend etwas verkündet haben: „Der Film an sich ist nicht wichtig, er dient vor allem der Konstruktion einer Situation." Das Publikum war 1952 jedenfalls aufgebracht. Wenn die SI, etwa bei der Gestaltung ihrer Zeitschrift und in ihren Texten, ästhetische Strategien dennoch nicht verschmähte, dann deshalb, weil die Machtfrage sich eben auch auf der Ebene von Zeichen und Bildern stellt: „Jede revolutionäre Praxis hat das Bedürfnis nach einem neuen semantischen Feld und der Bestätigung einer neuen Wahrheit gefühlt."

Der Band Spektakel ­ Kunst ­ Gesellschaft bietet eine Fülle von Anregungen, fordert Diskussion und Widerspruch heraus. Fast alle Beiträge sind lesenswert, gänzlich verzichtbar ist lediglich der von Alexander Emanuely, der ­ eingebettet in eine alberne Rahmenhandlung ­ die Biographien von Carl Einstein und Arthur Cravan nacherzählt. Bernd Beier schlägt eine aktuelle Brücke zur Bewegung der französischen Kulturprekären, deren Scheitern er etwas zu detailreich schildert. Und Biene Baumeister Zwi Negator bieten mit ihrem einleitenden Beitrag eine veritable Einführung in den Situationismus. Wenn sie der SI aber vorrechnen, „von der Shoah nichts wissen zu wollen", dann markiert das eine „anti-deutsche" Schlagseite, die das Buch durch einige Autoren aus dem Jungle World-Umfeld hat. Man kann darüber streiten, ob der Theorie der Situationisten dadurch Stichhaltiges hinzugefügt wird, wenn man mystifizierend von der Katastrophe spricht, „mit der Deutschland die Gattungsgeschichte zerriß" ­ aber das ist in einer aktualisierend-kontrovers sein wollenden Publikation ja kein Schaden. Ärgerlich wird es freilich, wenn Stephan Grigat sich nicht entblödet, von der „Notwendigkeit des militärischen Sturzes der trikontinental-faschistischen Baath-Diktatur im Irak" zu schwadronieren und auch gleich seine Zustimmung zu einer Intervention im Iran andeutet. Wer der anti-deutschen Publizistik sonst aus guten Gründen aus dem Weg geht, sollte dieses Buch aber dennoch nicht versäumen.

Florian Neuner

Stephan Grigat, Johannes Grenzfurthner und Günther Friesinger (Hg.): Spektakel – Kunst – Gesellschaft. Guy Debord und die Situationistische Internationale. Verbrecher Verlag, Berlin 2006, 14 Euro

 
 
 
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