Ausgabe 06 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Von der Mitte bis zum Rand

Berliner U-Bahnlinien (III): die U 5

Die Bahn steht schon bereit, als ich am Alexanderplatz die Treppen zur U5 nach Hönow hinabsteige. Auf dem gegenüberliegenden Gleis wartet eine Zugmaschine mit mehreren offenen Hängern, darauf aufgereiht wie die Hühner erwartungsfrohe Abenteurer mit gelben Plastikhelmen auf dem Kopf: die BVG-Tunneltour – ein reichlich alberner Anblick.

Ganz hinten in der Bahn ein Pulk minderjähriger Punks, sie sitzen, liegen auf dem Boden, lärmen, lachen angeheitert, ganz ohne das eigentlich obligatorische Bier. Gleichzeitig läuft über das U-Bahn-Fernsehen die Meldung, daß Schlagersänger „Reinhard Fendrich (51) nach seinem Drogenskandal wahrscheinlich ohne Anklage davonkommt". Nach kurzem Slalom durch das Lager der Punks setze ich mich zu einer Gruppe spanisch schnatternder Touristen. Zwei Punks rennen durch die Bahn, vor und zurück, angefeuert von ihren euphorisierten Kumpels. Die anderen Fahrgäste scheint's nicht zu stören. Die Bahn fährt los.

Auf der ersten Etappe der Fahrt verändert sich das Publikum kaum, Aufsehen erregt allerdings eine voluminöse Schwarze mit farbenfrohem Ghana-Shirt und Ghana-Kopftuch, die in der Schillingstraße zusteigt. Die Punks johlen fröhlich, die Touristen scheinen übereinander zu frotzeln ­ ein unbeschwertes Geplapper um mich herum. Am Frankfurter Tor verlassen die Punks die Bahn, werden abgelöst durch Trainingsjackenträger und eine Mittdreißigerin samt Kinderwagen.

In Lichtenberg steigt auch der Touristentrupp aus, es wird ruhig. Zwei Mädchen setzen sich neben mich, sie führen Mädchengespräche: „Der is ja ganz nett, aber der zieht so voll komische Klamotten an." Und mir gegenüber hat sich ein Leseclub plaziert, zwei ältere Damen, ein Mann, die in dickleibigen Schwarten lesen, wie abgesprochen befinden sich alle genau in der Buchmitte. Daneben eine junge Frau, die hochinteressiert im BVG-Journal plus_06 blättert. Weiter hinten im Wagen prügeln zwei Jungs mit ihren Schlüsselbunden aufeinander ein, unterbrechen das Spiel nur hin und wieder, um dann doch mal „Scheiße, tut das weh!" zu sagen oder an der fast leeren Flasche Korn zu nippeln.

Nach dem Tierpark geht's raus aus dem Untergrund: Die U-Bahn wird zur verkappten S-Bahn, rauscht durchs Grüne, vorbei an Fabrikgebäuden, Kleingartenkolonien, dem unvermeidlichen neuerrichteten Einkaufs-Center, Plattenbauten; die Sonne scheint den Fahrgästen ins Gesicht.

Auf dem Bahnhof Biesdorf-Süd wedelt einer unserer positiven Patrioten mit zwei Deutschlandfahnen wie ein Lotse herum. Eine Vietnamesin steigt mit ihrem schreienden Gör auf dem Arm aus, den Kinderwagen führt sie mit der anderen Hand, an der Treppe nimmt ihr ein kahlgeschorener Bodybuilder den Wagen ab und trägt ihn runter. Drinnen sagt eine Frau zu ihrer Nachbarin: „Das brauche ich für meine Seele!" ­ und meint das tägliche Telefonieren.

Die Station Wuhletal ist ein Umsteigebahnhof, ein Gewusel, viele gehen raus, viele kommen rein: Jugendliche, die an ihrem Handy herumfummeln, Zeitungsleser im sogenannten besten Alter, ein in die Jahre gekommener, mürrisch dreinblickender Anzugträger, Omas mit prallgefüllten Einkaufstüten ­ eine irgendwie kleinstädtisch anmutende Gesellschaft auf dem Weg nach Hause. An den folgenden Haltestellen leert sich der Zug nach und nach. Ab Hellersdorf genießen nur noch ein paar wenige mit mir den Blick auf die vorüberfliegende von der Platte durchsetzte Grünlandschaft. Auf der Sitzreihe gegenüber liegt einsam der BVG-Bestseller plus_06.

Die Zieleinfahrt in Hönow wird ausgeleuchtet von einem großartigen Sonnenuntergang. Mit mir steigen etwa zehn, zwölf Leute aus, unter ihnen vier Asiaten, die offensichtlich, aber auch überraschenderweise Touristen sind. Von der U-Bahnstation sind es nur ein paar Schritte bis zur Stadtgrenze, nicht weit bis zum Dorf Hönow. Ein Pappschild wirbt für ein Lokal dort: „Der Hofbudiker" verspricht für Mittwoch „Lady Day mit Cocktails, Men Strip Show, ..." und für Freitag „Ostalgie-Essen".

Roland Abbiate

 
 
 
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