Ausgabe 05 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Das Milo-Prinzip

Ein Interview mit Michail Nelken über die Ergebnisse des Untersuchungsberichts zum Bankenskandal

Michail Nelken ist PDS-Abgeordneter und war Fraktionssprecher im Untersuchungsausschuß zum Berliner Bankenskandal.

Sie schreiben, der eigentliche Skandal sei das System der Bankgesellschaft gewesen. Gab es einen Geburtsfehler in der Konstruktion?

Das war kein Geburtsfehler, sondern Absicht. Nach dem Mauerfall hatte die Westberliner Politik die Idee, öffentlich-rechtliche mit privatwirtschaftlichen Banken zusammenführen, um mit dem Kapital der Landesbank Berlin (LBB) die Berliner Bank ­ damals noch eine eigenständige Aktiengesellschaft ­ in die Lage zu versetzen, bei dem neuen Geschäft in Ostdeutschland mitzuspielen, ohne daß das Land als Eigentümer selbst Geld bewegen mußte. Die zweite Idee war, über die LBB aufgrund ihres öffentlich-rechtlichen Status günstig Kapital aufnehmen und als Kredite an andere Banken weiterreichen zu können. Zudem wollte sich das Land nach dem Wegfall der Berlinförderung eine Einnahmequelle schaffen und auch für die Bauwirtschaft die vertrauten Finanzierungsbedingungen erhalten.

Was kennzeichnete das System Bankgesellschaft?

Die Überlagerung öffentlicher und privater Interessen und das Westberliner Beziehungsgeflecht zwischen Wirtschaft und Politik, das sich bis in die 90er Jahre fortsetzte. Nach der Wende ging es um die Überlebensfähigkeit von Unternehmen und die Handlungsfähigkeit der politischen Klasse. Projekte wie die Wasserstadt Oberhavel gingen nur über Fördermittelkonstruktionen und die Bank ­ einen anderen Finanzier hätten sie ja nicht gefunden. Die Bauträger waren die altbekannten.

In diesem Geflecht gab es keine Kontrolle und keinen unabhängigen Markt. Gleichzeitig führte es zu den aus Westberliner Zeiten bekannten Kreisläufen, an deren Ende immer der Staat stand, der alles wegsubventionierte. Sie mußten sich also über die Wirtschaftlichkeit ihrer Projekte nie Gedanken machen.

Der Untersuchungsausschuß konzentrierte sich vor allem auf die berüchtigten Fonds. Dabei gab es die ersten Immobilien-Wertberichtigungen bereits Mitte der 90er ...

Als der Skandal aufkam, war die öffentliche Debatte auf die vermeintlich ursächlichen Fonds fixiert. Der Bericht macht jedoch deutlich, daß die größten Verluste der Bank nicht aus dem Fondsgeschäft resultieren. Die können noch kommen ­ die Garantien laufen ja über 20, 30 Jahre.

Die großen Ausfälle entstanden bis 2000 bei der normalen gewerblichen Immobilienfinanzierung ­ also der Kreditvergabe an Bauträger, die bauen und anschließend weiterverkaufen. Deren Ursachen sind jedoch nie wirklich untersucht worden.

In der ersten Hälfte der 90er wurden unzählige Vorhaben in Berlin und den neuen Bundesländern finanziert, die dann nicht funktionierten. Da aber die Bankapparate nun mal aufgebaut waren, suchte man nach neuen Geschäftsfeldern und setzte auf den Dienstleistungsbereich ­ eben jene Fonds.

Einerseits hat die Landespolitik Geld aus der Bank herausgezogen, um Haushaltslöcher zu stopfen, andererseits hat die Bank ihre Risiken über die LBB beim Land abgeladen.

Die Landesbank war so gut mit Kapital ausgestattet, daß sich da anfangs wohl niemand Gedanken gemacht hat. Und in solchem politisch-wirtschaftlichen Milieu sind bestimmte Wahrnehmungen faktisch ausgeschlossen. Hätte jemand von den Verantwortlichen gesagt, das rechnet sich nicht, hätte er ja auch sagen müssen: Was machen wir stattdessen?

Kann man von einem Finanzsenator nicht erwarten, daß er genau das kann: rechnen?

Nee. Der damalige CDU-Finanzsenator Elmar Pieroth konnte es jedenfalls nicht. Außerdem stellt sich das für einen Finanzsenator ja anders dar: Der hat eine Bankenbeteiligung ­ nämlich Landesvermögen. Er nimmt die Bank als Anteilseigner wahr und möchte Dividende sehen. Nun ist er aber auch Aufsichtsratsmitglied der Bank, und damals traute sich keiner zu sagen: Wir können derzeit keine Dividende ausschütten. 1996 wurden deshalb stille Reserven der Landesbank gehoben ­ um Dividende an das Land Berlin zu zahlen, aber auch, um das Ansehen am Kapitalmarkt und den Aktienkurs zu retten.

Ein Grundproblem war also die Überlagerung unterschiedlichster Interessen?

Wenn so viele Gruppen beteiligt sind, ergeben sich merkwürdige, für das Gesamtkonstrukt wenig sinnvolle Kompromisse. Es gab beispielsweise keine gemeinsame Konzernsteuerung, sondern die beiden Hauptbanken agierten mit ihren Vorständen weiter wie bisher: eine seltsame, konkurrierende Doppelstruktur. In den Aufsichtsräten saßen neben Politikern auch Wirtschaftsgrößen, jeder hatte Eigeninteressen, so daß es nie zur Formulierung eines Unternehmensinteresses kam.

Und wann immer ein Problem auftrat, suchte man die Flucht nach vorn. Das ist typisch für Berlin: Es werden Einnahmen verbucht, die nicht wirklich da sind, sondern Anleihen auf die Zukunft. So verfuhr auch die Politik: beispielsweise bei den In-sich-Verkäufen der Wohnungsbaugesellschaften.

Wann und wie hätte man umsteuern können und müssen?

Man hätte den Konzern gleich zu Beginn konsolidieren müssen. Die Geschäfte waren zwar zusammengelegt worden, aber die Banken blieben dieselben. Es gab
einen riesigen Personalüberhang, neue Dienstgebäude wurden gebaut, für neue Geschäftsfelder wie das Kapitalmarktgeschäft wiederum neues Personal geholt. Die Ausgaben stiegen ständig, die Erträge aber nur scheinbar: Denn viele Erträge waren nur Einmaleinnahmen. Deshalb war der Drang zum Neugeschäft so groß.

Doch als 1996 die beiden damaligen Bankvorstände verkündeten, daß sie 2000 Leute abbauen wollten, gab es einen lauten Aufschrei. Und die Belegschaftsvertreter beharrten darauf, daß man das Problem ­ das sie ja auch sahen ­ durch Expansion deckte, statt die Kosten und Erträge in ein sinnvolles Verhältnis zu bringen.

Prompt wurden die Vorstände abberufen ...

Weil das niemand hören wollte, auch die Politik nicht. Gleichzeitig lief die Berlinförderung aus. Und die schwarz-rote Koalition hatte zwecks Haushaltssanierung die Parole „Vermögensaktivierung" ausgegeben. Finanzsenatorin Fugmann-Heesing machte damit auch nichts anderes, als künftige Einnahmen zu verkaufen. Und warum sollten die Politiker in den Bankaufsichtsräten monieren, was sie selber taten? Es war einfach niemand da, der den Bankkonzern unter Kontrolle bringen wollte.

Die Immobilienfonds waren so attraktiv, weil die Risiken von der Landesbank ­ und damit vom Land ­ übernommen wurden.

Das Land Berlin ist dabei nicht gefragt worden.

Hätten das die Aufsichtsräte nicht trotzdem sehen müssen?

Tja. Es stand in jedem Geschäftsbericht. Natürlich hätte man es sehen können. Am Anfang dachte man wohl, es gäbe so eine wundersame Geldvermehrung. Und das wurde auch öffentlich als Erfolgsstory gehandelt: Wir können gar nicht so viele Fonds auflegen, wie wir Anteile verkaufen können. Eine Bank verdient gut am Vertrieb. Sie beschafft das Anlegerkapital, die Provision war hoch. Und wenn die Immobilie werthaltig ist und die Erträge die Kredite bedienen, passiert ja auch nichts.

Aber Ende der 90er war doch der Zusammenbruch des Immobilienmarktes nicht mehr zu übersehen ...

Wer eine Immobilie entwickeln will, überlegt normalerweise, welche Erträge damit zu erzielen sind, wie teuer sie sein darf, er rechnet also von der Immobilie nach oben. Beim Fondsgeschäft wurde das völlig auf den Kopf gestellt: Sie finanzierten keine Immobilien, sondern vertrieben ein Finanzdienstleistungsprodukt, nämlich den Fondsanteil. Und dafür suchten sie das Futter ­ die ganze Zeit. Die Bankgesellschaft beschloß also, daß sie Fonds für x Milliarden auflegen wollte, und rechnete danach aus, wieviel Anlegerkapital und Immobilien sie dafür brauchte.

Als Finanzier mußte sich die Bank dabei keine Sorgen machen: Denn die vorgerechneten Mieteinnahmen stimmten immer – die waren ja garantiert. Der Garant wiederum war eine 100prozentige Tochter der Landesbank und damit zahlungsfähig. Am Ende hafteten sie mit dem eigenen Geschäft für die Ausfälle – als normaler Banker hätte man das gar nicht abschließen dürfen. In diesem System war schon strukturell-organisatorisch jede Verantwortung aufgehoben.

Was müßte Ihrer Meinung nach die politische Konsequenz sein?

Daß ein öffentlich-rechtliches Unternehmen keine Risikogeschäfte machen darf. Ein privates Unternehmen arbeitet mit dem Vermögen privater Eigentümer, und die werden schon auf die Geschäftsführer achten. Ein landeseigenes Unternehmen arbeitet mit dem öffentlichen Vermögen des Steuerzahlers. Wer zocken will, soll es tun ­ aber auf eigenes Risiko.

Wenn die öffentliche Hand ein Geldinstitut hat, sollte es der Daseinsvorsorge des Gemeinwesens dienen. Bis zur Konzerngründung hat die Landesbank ja auch keine Gewinne ausgeschüttet ­ erst danach kam das Land an die Kasse.

Die öffentliche Hand sollte ihre Ausgaben über Abgaben und Steuern finanzieren, nicht aus Unternehmensgewinnen. Und wenn das Land Unternehmen hat, sollen diese zwar wirtschaftlich arbeiten, damit sie nicht die Haushaltskasse plündern, aber vor allem ihre Aufgabe erfüllen. Warum sollte ein öffentliches Geldinstitut an der Londoner Börse zocken?

Hier hat das Land die Bankenkasse geplündert ­ und die Bank die Landeskasse.

Die Verquickung funktionierte in beide Richtungen. Die ARWOBAU beispielsweise war ein hochdefizitäres Unternehmen, dennoch mußte die Bank es kaufen und dem Land dafür Geld zahlen. Als der Senat die Gewinnansprüche des Landes aus seiner Beteiligung an der Landesbank an die Bankgesellschaft verkaufte, sagte Fugmann-Heesing, daß sie als Finanzsenatorin an einem hohen Preis interessiert sei, aber als Aufsichtsratsmitglied der Bankgesellschaft an einem niedrigen.

Öffentlich wird der Skandal aber meist personalisiert.

Es gibt die Trivialvariante ­ Landowsky und Seilschaften hätten sich persönlich bereichert ­ und das Gegenteil: Wo Strukturen schuld sind, gibt es keine individuelle Schuld. Aber die Strukturen sind ja von Menschen gemacht.

Die entscheidenden Fehler gab es von Anfang an. Als die Sparkasse und die Berliner Bank nach dem Mauerfall zu einem „richtigen Finanzinstitut" fusioniert werden sollten, wollte die CDU keine halbe Staatsbank, sondern die Berliner Bank mit ihrer Erfahrung als Muttergesellschaft. Da gab es politischen Widerstand von den Grünen und der PDS mit dem Subtext: Jetzt wird unsere schöne öffentliche Sparkasse ­ die viel zu viel Personal im Verhältnis zu ihrem Geschäft hatte ­ den Privaten zum Fraß vorgeworfen. Auch die Gewerkschaften hatten Angst, daß jetzt die Neoliberalen kommen und die Ruhe stören. Sie witterten da eine Gefahr, blickten dabei aber in die falsche Richtung. Natürlich wa-ren sie nicht schuld am Ergebnis, aber sie waren auch eine Kraft in dem Getriebe.

Landowsky hat die Bank nicht ruiniert. Er hatte anfangs sogar wenig Einfluß. Aber er repräsentierte das System, war eine zentrale Figur des bauwirtschaftlich-politischen Komplexes und hat über die Hypothekenbank viele Projekte finanziert. Und er stieg nach der ersten Krise zum Vorstand des Konzern-Immobilienbereichs auf, als das Fondsgeschäft rasant nach oben gefahren wurde. Einigen befreundeten Bauträgern verschaffte er sicher auch direkt Hilfe, aber entscheidender war, daß er dem riskanten Immobiliengeschäft ohne Kontrolle freien Lauf gab.

Ihr Fazit?

Die eigentlichen Ursachen waren die Interessensüberlagerungen, mangelnde Qualifikation und der fehlende Wille umzusteuern. Der Kaiser ist nackt ­ das muß man ja erstmal aussprechen.

Es gab völlig sinnlose Konstruktionen, die mich an Joseph Hellers Roman Der IKS-Haken erinnern. An Milo, den Kantinenchef, der Eier über mehrere Zwischenstationen mit Preisaufschlag immer wieder an sich selbst verkaufte und am Ende an die Kantine: Dieses „Milo-System" war bei der Immobilienholding IBG perfektioniert, in der die Unternehmen der Fondsproduktionskette zusammengeschlossen waren und in deren Aufsichtsrat je zwei Chefs aus jeder Bank saßen. In dem Moment, wo sie Ankäufe als Aufsichtsratsmitglieder und Bankchefs bewilligten, waren sie Käufer und Kreditnehmer ­ aber gleichzeitig waren sie auch die Kreditgeber. Wie sollte da eine Kontrolle stattfinden?

Dieses völlig irrwitzige System basierte auf der Idee, man könne die ganze Wertschöpfungskette in den Konzern holen und den Markt ausschalten: Wir finanzieren Projekte nicht nur, sondern entwickeln sie auch. Und da sie ihr eigener Abnehmer waren – Immobilienkäufer und Weiterverkäufer an die Fonds zugleich –, konnten sie die Preise hochschaukeln, die dann auf den Fonds lasteten. Was denen aber nichts ausmachte, denn die Mieteinnahmen waren ja wiederum durch die LBB garantiert. Das ist das Prinzip Milo.

Interview: Ulrike Steglich

 
 
 
Ausgabe 06 - 2006 © scheinschlag 2006