Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ressource Müll

A.R.M. ­ Kunst als Hilfe zur Selbsthilfe und Konsumkritik

Wie paßt das alles zusammen? „Die Wirtschaft" lamentiert bei jeder Gelegenheit über den mangelnden Konsum in Deutschland und hält sich gleichzeitig seit Jahren Regierungen, die alles dafür tun, daß sich daran nichts ändern wird: mit der Anhebung der Mehrwertsteuer, mit den Hartz-Gesetzen, mit denen den Ärmsten noch der letzte Cent aus der Tasche gezogen wird. Gleichzeitig stapelt sich in den Straßen der Konsummüll, die Verwertungszyklen werden immer kürzer. Und hier setzt die Künstlerin Barbara Caveng an: Wem kein Geld zum Konsumieren, etwa zum Möbelkauf, zugestanden wird, der muß sich eben anders helfen, muß alternative Ökonomien entwickeln, quer zu den Verwertungszyklen, wie sie sich „die Wirtschaft" vorstellt.

Viele Künstler sind das Leben mit wenig Geld gewohnt. Wer selbstbestimmt seine künstlerische Arbeit vorantreiben will, hat auch wenig Wahl. Er hat zwar seine materielle Not, kriegt deshalb aber wenigstens noch keine psychische Krise, gehört es doch gewissermaßen zum Rollenbild des Künstlers, „anders" zu sein, sich anders zu kleiden, Konsum zu verweigern etc. Im Gegensatz zum Normalbürger, dessen Selbstwertgefühl in einer kapitalistisch deformierten Gesellschaft an den Konsummöglichkeiten hängt, die ihm in Zeiten von Hartz IV genommen werden ­ und am fehlenden Arbeitsplatz, woran er ja auch selbst schuld ist, wie die Politiker unisono erklären. Könnten die Künstler da nicht den Normalbürgern mit ihren Erfahrungen im Prekären weiterhelfen, mit ihrem entspannteren und kreativeren Umgang?

Die 1963 in Zürich geborene, heute in Berlin lebende Barbara Caveng meint ja. Als sie letztes Jahr mit Phase I ihres Projekts A.R.M. (all recycled material) an die Öffentlichkeit trat, begann den bürgerlichen Medien gerade zu dämmern, daß von Hartz IV nicht nur die „Sozialschmarotzer" betroffen sein könnten, denen man das ja gönnt. In der Zeit hob das große Heulen und Zähneklappern an, als man ehemals besserverdienende Ehepaare in Reihenhäusern ausfindig machte, die plötzlich auch vor dem Nichts standen. Die Resonanz auf A.R.M. war groß, führte Caveng schnell an die Grenze dessen, was Kunst zu leisten imstande ist. Denn Kunst kann zwar Ideen formulieren, den vom sozialen Kahlschlag von Schröder, Merkel & Co. erzeugten Malaisen kann sie natürlich nicht wirksam begegnen.

Barbara Caveng baute unter ihrem Label A.R.M. Möbel aus dem Müll, den sie tagtäglich vor ihrer Haustür in Prenzlauer Berg fand, richtete damit sogar eine komplette Zwei-Zimmer-Musterwohnung in der Angermünder Straße ein, die noch immer besichtigt und angemietet werden kann. Erstaunlich ist zunächst, was alles auf der Straße landet, einfach abgestellt wird. Caveng führt das auf eine Überforderung der Menschen durch die immer kürzer werdenden Zyklen von Verwertung und Entwertung zurück. Sie wissen buchstäblich nicht, wie sie das ganze Zeug wieder loswerden sollen, das ihnen von der Industrie aufgenötigt wird, stellen den Konsummüll dann einfach nachts auf die Straße. Am meisten findet sie in Ostberlin, in gutbürgerlichen Bezirken wie Zehlendorf kann man sich die Suche sparen. Erstaunlich auch, wie geschickt sie aus dem Müll Kapital schlägt, mit wertlosen Materialien Ergebnisse erzielt, die in jedem Designladen Furore machen würden. Nun war es aber nicht Cavengs Intention, sich ihre Arbeit auf dem Kunstmarkt vergolden zu lassen. Mit ihrem „performativen Gesellschaftsprojekt" wollte sie beispielhaft vorführen, wie man durch Konsumverweigerung seine Lebensqualität steigern kann und mit kostenlosen Rohstoffen zu viel befriedigenderen Ergebnissen kommt, anstatt mit dem knappen Geld billigen Schrott zu kaufen ­ genügend Zeit und handwerkliche Geschicklichkeit vorausgesetzt.

Das Medienecho war groß, und bald meldeten sich bei Barbara Caveng Hartz IV-Betroffene, die an ihren Möbeln interessiert waren, dafür aber keinen ­ wie auch immer moderaten ­ „Kunstpreis" bezahlen konnten. Eine sinnvolle Fortführung des Projekts wäre es nun gewesen, Workshops zu veranstalten, in denen das Knowhow weitergegeben wird. Aber das hätte nur ein Team leisten können, für Caveng war das eine Überforderung. Und so war es nur folgerichtig, daß sie in der Phase II auf einer mehr symbolischen Ebene ansetzte. Im Gleimtunnel hatte sie das Schrankbett „T.R.A.U.M." geborgen (s. Abb.), das bei einer Ausstellung im Martin-Gropius-Bau als „Angebot zum Schlafen" aufgestellt und zehn Tage lang von einem Obdachlosen beschlafen wurde.

Eine noch weitere Reduktion bedeutet der Mülleimer und Hocker „M.Ü.L.L." (mehr überlebenslust): Auf leeren Farbeimern ist eine Sitzfläche aus Holz montiert – ein mobiler und vielfältig verwendbarer Gegenstand, Herstellungskosten 1 Euro. Caveng hat das Sitzmöbel schon mal in einem Sozialamt in der Nähe von Stuttgart aufgestellt – eine hochsymbolische Angelegenheit wiederum. Dieser Hocker steht auch im Mittelpunkt einer Bildserie, die in einer Ausstellung in der Galerie Blickensdorff zu sehen ist, die jetzt Phase III von A.R.M. markiert: „alles im eimer". Von dem profanen, in seiner funktionellen Form aber auch einfach „schönen" Objekt spricht Barbara Caveng geradezu poetisch als einer „Prothese für menschliche Zerbrechlichkeit". Am liebsten wäre ihr aber, sie würde Nachahmer finden bei ihrem konsequenten Recycling.

Florian Neuner

„A.R.M. all recycled material Phase III – alles im eimer" von 10. März bis 15. April in der Galerie Blickensdorff, Auguststraße 65, Mitte, Dienstag bis Freitag von 14 bis 19 Uhr, sonnabends von 12 bis 17 Uhr, www.a-r-m.net

Fotos: Christian Reister

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