Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Auf der Suche nach dem Leck

Die WBM-Krise löst eine Debatte über die öffentliche Wohnungswirtschaft aus

Die Ankündigung der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), noch in diesem Jahr bis zu 15200 Wohnungen ihres Bestandes zu verkaufen, hat im Abgeordnetenhaus einen handfesten politischen Krach um die Zukunft der öffentlichen Wohnungswirtschaft in Berlin ausgelöst. Im Herbst letzten Jahres war bekannt geworden, daß dem landeseigenen Wohnungsunternehmen aufgrund mangelnder Liquidität im März die Insolvenz drohe, da die Einnahmen die Ausgaben nicht deckten. Dies hatten die beiden vom Finanzsenator neu bestellten Geschäftsführer dem Senat mitgeteilt. Für 2005 bezifferte die WBM den Jahresverlust auf 59 Millionen Euro; die Schulden der WBM liegen bei ca. 1,2 Milliarden Euro – das allerdings schon seit Ende der Neunziger. Der WBM gehören insgesamt ca. 27000 Wohnungen, sie bewirtschaftet aber fast doppelt so viele; etliche Objekte sind in Fonds gebunden und somit nicht veräußerbar.

War noch vor ein paar Monaten von einem bis 2008 gestreckten Sanierungsprozeß und dem Verkauf von 10000 Wohnungen die Rede, hat sich die Geschäftsführung nun zu einem noch drastischeren Sanierungskurs entschlossen: Mit dem En-Gros-Verkauf von Wohnungen sowie 600 Gewerbeeinheiten und der Reduzierung der Mitarbeiterzahl von derzeit 720 um 300 noch in diesem Jahr sollen die Schulden kurzfristig halbiert werden.

An der Vorstellung des Konzepts im Abgeordnetenhaus entzündete sich ein heftiger Streit: Während die SPD-Senatoren für Stadtentwicklung bzw. Finanzen, Ingeborg Junge-Reyer und Thilo Sarrazin, die Verkaufspläne als notwendig verteidigten (und damit auf Konfrontation sogar zur eigenen Fraktion gingen), warfen CDU und FDP dem Senat vor, seine Kontrollfunktion bei den landeseigenen Unternehmen vernachlässigt zu haben. Das Land Berlin ist durch die Staatssekretäre für Stadtentwicklung (Hans Stimmann, SPD) und für Finanzen (bis Ende 2005 Hubert Schulte) im Aufsichtsrat vertreten. Bereits im Sommer 2004 soll nach einem Bericht der Welt dem Aufsichtsrat die finanzielle Schieflage des Konzerns bekannt gewesen sein.

Sauer ist aber nicht nur die Opposition, sondern auch der SPD-Koalitionspartner: So klagt Linkspartei-Chef Stefan Liebich über mangelnde Information und Alleingänge durch die SPD. Mit ihrer Forderung nach einem Gesamtkonzept für die kommunale Wohnungswirtschaft, wie eigentlich im Koalitionsvertrag festgeschrieben und wie es auch die Opposition einfordert, hat sich die Linkspartei offenbar bislang gegen die SPD nicht durchsetzen können. Michail Nelken, baupolitischer Sprecher der Linkspartei, kritisiert die Sichtweise von WBM und Finanzsenator vehement ­ kurzfristige Großverkäufe entsprängen bänkerischer Logik, die jedoch wohnungswirtschaftlichen Erfordernissen nicht gerecht werde. Eine solche Liquiditätslücke sei sinnvoller durch einen Mix von Maßnahmen wie Umschuldung, Zinsstundung, Darlehenserlaß durch das Land Berlin und maßvolle Verkäufe von Streubesitz zu erzielen. Das Unternehmen und die Wohnungsbestände müßten auf jeden Fall erhalten bleiben.

Doch die Vorstellungen über die politische Kontrolle und Steuerung der landeseigenen Unternehmen scheinen immer mehr auseinanderzudriften: Sarrazin jedenfalls hält diesen Ansatz in Berlin für gescheitert und strebt die Trennung von Politik und Unternehmen an.

De facto ist das (mal abgesehen von der SPD) offenbar sowieso schon der Fall. Aufgrund mangelnder Informationen stochern die Abgeordneten beispielsweise immer noch im Nebel, was die konkreten Ursachen der WBM-Krise betrifft: Geprüfte Bilanzen etwa liegen ihnen gar nicht vor ­ die Wohnungsunternehmen sind formaljuristisch eigenständig. „Wir wissen nicht genau, wo das Leck ist", bekennt ein Abgeordneter. So können sie nur auf eigene Faust recherchieren oder lediglich mutmaßen, zu welchen Teilen die WBM-Krise auf persönliches Mißmanagement, politische Vorgaben oder daraus resultierende riskante Notgeschäfte zurückzuführen ist: Denn in den Neunzigern hatte die damalige CDU-SPD-Koalition die kommunalen Wohnungsunternehmen zu zahlreichen In-sich-Verkäufen gedrungen und damit Geld aus den Unternehmen gezogen. Meist mußte ein finanziell stärkeres Unternehmen ein angeschlagenes übernehmen, die Verkäufe wurden vom Land Berlin als Einnahmen für die marode Haushaltskasse verbucht ­ zwischen 1991 und 2001 flossen so ca. 2 bis 3 Milliarden Euro. Nach zahlreichen In-sich-Geschäften und Privatisierungen blieben von ehemals 22 kommunalen Unternehmen sechs übrig, die inzwischen einen Gesamtschuldenberg von ca. 9 Milliarden Euro verbuchen. Kämen neben der WBM weitere Gesellschaften ins Trudeln, stünde das Land Berlin vor einer finanziellen Katastrophe.

Nicht genug des Ärgers über den Regierungspartner, mußte die Linkspartei nun auch noch einen CDU-Antrag zur Kenntnis nehmen, den sie selbst geschrieben haben könnte, wäre sie noch in der Opposition und nicht an der Regierung beteiligt: Die CDU, zu Zeiten der großen Verkäufe in den Neunzigern Koalitionspartner der SPD und damit ebenfalls nicht ganz unbeteiligt, fordert nun nicht weniger als ein wohnungswirtschaftliches Gesamtkonzept für Berlin, die Konzentration auf das Kerngeschäft des „Sozialen Wohnens", den sofortigen Stop aller Wohnungs- oder Unternehmensverkäufe und klare Vorgaben des Senats zu Größe, Verteilung und Qualität des öffentlichen Wohnungsbestandes. Veräußerungen sollten allenfalls im Rahmen von Mieterprivatisierungen erfolgen. Wohnungs- und Mietenpolitik sei „auch Sozialpolitik" und „gerade in der Mieterstadt Berlin von hohem gesellschaftlichen Stellenwert".

Wie katastrophal sich die Privatisierungspolitik für die Mieter und die Stadt Berlin auswirkt, beschreibt indes der Berliner Mieterverein in seinem soeben erschienenen Schwarzbuch Privatisierung. Darin werden u.a. Konsequenzen aufgeführt, die sich für Mieter der GSW ergaben, nachdem diese samt ihren 65000 Wohnungen 2004 vom Land Berlin an ein Investment-Konsortium verkauft worden war. Die derzeitigen Verkäufe seien nur die Spitze einer Privatisierungswelle, ausgelöst durch Analystenmeldungen, die den deutschen Wohnungsbestand als stark unterbewertet im europäischen Maßstab bezeichnen, warnt der Mieterverein vor einem unkontrollierbaren Spekulationsfeld.

Was die politische Kontrolle betrifft, sind zumindest im Falle der WBM die Messen gesungen: Der Aufsichtsrat hat dem Sanierungskonzept der WBM längst zugestimmt. Und bei Bestandsverkäufen bedürfen die formaljuristisch eigenständigen Wohnungsunternehmen keiner Zustimmung des Parlaments.

Ulrike Steglich

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 02 - 2006 © scheinschlag 2006