Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
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Enteignungsökonomie

Alternativen zum angeblich alternativlosen Ausverkauf des öffentlichen Eigentums

Die Spatzen pfeifen es schon lange von den Dächern: Das Land Berlin ist pleite. Vor dem Mauerfall wurden beide Hälften üppig subventioniert, dann folgte der Größenwahn, und nun herrscht Katerstimmung. Als Ausweg preist die Landesregierung die Privatisierung öffentlichen Eigentums, die helfen soll, die Löcher im Haushalt zu stopfen. Gegen diese Politik gibt es gute Argumente, doch dringen die Kritiker gegen den Chor der Befürworter kaum durch. Um sich argumentativ gegen den Mainstream aufzustellen, hatte die Berliner Mietergemeinschaft im Februar zu einer Tagung geladen, auf der 200 Teilnehmer entsprechende Strategien erörterten.

Eröffnet wurde die Konferenz von Christian Zeller (Universität Bern), der eine marxistische Theorie des Kapitalismus präsentierte. Er versuchte die Frage zu klären, ob der Kapitalismus heute anders funktioniert als vor 30 Jahren. Die Politik der Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung sei Folge des Strebens des Kapitals, die seit den siebziger Jahren sinkende Profitrate zu erhöhen, was in den neunziger Jahren auch gelungen sei. Es sei daher angemessen, die „Eigentumsfrage" von links neu zu stellen, denn das Kapital habe das ohnehin bereits durch neue Formen der Aneignung von Arbeitskraft und Ideen getan. Eine „emanzipatorische Strategie" müsse dabei so international vorgehen wie das Kapital selbst und über die Formen der Daseinsfürsorge neu und grundsätzlich nachdenken.

Nach Zellers theoretischem Referat konnte sich die Tagung den praktischen Problemen zuwenden: der Wohnungs-, Gesundheits- und Wasserprivatisierung. Am Beispiel der Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe beschrieb Alexis Passadakis (attac) sehr anschaulich das korrupte Berliner Politgeflecht aus Ministern, Beratern und Investoren: Hier gebe es einen regen personellen Austausch, so daß ein Problem von den immerselben Personen in wechselnden Funktionen bearbeitet werden könne. Darüber hinaus erschwere die unklare Gemengelage von transnationalen Beteiligungen eine demokratische Steuerung. So fliege z.B. der Regierende Bürgermeister regelmäßig nach Paris und London, um dort mit den neuen Eigentümern der Wasserbetriebe über die Berliner Wasserpolitik zu befinden. Deshalb plädierte auch Passadakis dafür, die Eigentumsfrage neu zu stellen und Bürgern die Kontrolle und Mitbestimmung zu ermöglichen.

Wenn das Land seine Versorgungsbetriebe verkauft, fließt dem Haushalt zunächst ein erklecklicher Betrag zu, doch eine ehrliche Bilanz wird selten aufgemacht. Profitabel sind derartige Deals für die neuen Eigentümer, die die Gewinne des Versorgungsunternehmens abschöpfen oder es zu einem weit höheren Preis wieder veräußern. Auf der Verliererseite finden sich sowohl die Bürger wieder, für die die Gebühren steigen und die Versorgungsqualität abnimmt, als auch die Betriebsangehörigen, die um der Profitrate willen auf die Straße gesetzt werden. Als „Enteignungsökonomie" bezeichnete Gerlinde Schermer vom „Donnerstagskreis" der SPD diese Struktur.

Den Verantwortlichen seien diese Zusammenhänge durchaus bekannt, erklärte Schermers Parteifreund Hans-Georg Lorenz. Aber ein Großteil der Bevölkerung habe offensichtlich keine Probleme mit der Privatisierungspolitik des Senats. Nicht einmal die Gewerkschaften stünden auf der Seite der Linken. Die Teilnehmer des Kongresses seien eine kleine Minderheit. Um besser in die Öffentlichkeit hineinwirken zu können, müsse man deshalb eine griffige Formel entwickeln, die breiten Kreisen verständlich sei. „Die Linke muß aus ihrer analytischen Stärke herauskommen", forderte Lorenz, und dabei müsse die Menschenwürde permanenter Bezugspunkt sein.

Lorenz erhielt Unterstützung von Schermer, die ebenfalls anregte, kommunizierbare Argumente zu erarbeiten. Wenn die Leute demnächst ihre Betriebskostenabrechnung bekämen, müßten sie wissen, welche Forderungen und Botschaften sie protestierend auf die Straße tragen könnten. Als Vorbild erwähnte sie die Proteste gegen Hartz IV. Auch die Handwerker müßten angesprochen werden, denn sie „sind eigentlich unsere Verbündeten ­ sie müssen es nur begreifen". Am Beispiel der Wasserprivatisierung lasse sich die Thematik, die weiterhin aktuell bleiben werde, sehr anschaulich verdeutlichen.

Zur Ermutigung der Teilnehmer konnte Philipp Terhorst (Loughborough University, England) vom Beispiel Grenoble berichten, wo Bürger die Privatisierung einer kommunalen Einrichtung vollständig rückgängig gemacht hätten. Dazu habe es jedoch eines sehr langen Atems und der Unterstützung durch die Gerichte bedurft. Inzwischen aber unterliege die Wasserversorgung echter öffentlicher Kontrolle. Um in Berlin etwas zu ändern, müsse ausreichender öffentlicher Druck erzeugt werden, man müsse sich vernetzen und dabei auch Kontakte zum parlamentarischen Raum pflegen. Wie Zeller plädierte auch Terhorst dafür, zuerst Strategien zur Befriedigung der Bedürfnisse zu formulieren und danach die Eigentumsfrage zu stellen.

„Zehn Jahre Privatisierungspolitik in Berlin sind genug!" lautet das Resümee der von der Konferenz verabschiedeten Resolution. Auf dieser Grundlage soll nun ein Bürgerbündnis, in dem sich bis jetzt vor allem Aktive aus Gewerkschaften, attac und Parteien zusammengefunden haben, den Schritt von der Analyse zur Praxis vorbereiten.

Benno Kirsch

* Kontakt: Berliner Mietergemeinschaft e.V., fon: 2168001

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