Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

ditte & menschenkind

Die Thälmannlegende

Was bisher geschah: Der etwa 100jährige Conrath Koch-Kämmnitzsch taucht plötzlich und unerwartet bei Ditte und Menschenkind auf, erzählt dabei u.a. auch von seiner angeblichen Begegnung mit Ernst Thälmann um 1920 in Hamburg, verschwindet dann aber wieder wegen wichtiger Termine in Berlin, Böse-Buben-Bar ...

Markige Gegend! Genau das richtige für einen Provinzpolitiker mit demagogischem Talent.

Immer unter dem Meeresspiegel, das liebt das Thälmannsche Geschlecht, und auch Menschenkind ist ein großer Anhänger vom Souterrain, allerdings hat er es erst bis zur Parterrewohnung geschafft. Umso hingerissener genießt er jetzt die Aussicht auf die strammen Kullerwaden der Hafenarbeiter und die Netzstrümpfe der Gewerbetreibenden im Oberlicht der illegalen Ernst-Thälmann-Gedenkstätte in Hamburg, sagen wir mal in der ohnehin verruchten Gegend, um nicht die Sitte und die anderen Dienste an der Demokratie auf das Schlupfloch aufmerksam zu machen. Der Wohltäter Conrath Koch-Kämmnitzsch, von Ditte inzwischen als CKK abgekürzt, da sie in letzter Zeit soviel von ihm geredet haben, daß der lange Name einfach zuviel Zeit geschluckt hätte, hat die beiden zu einem Lokaltermin nach Hamburg eingeladen, gewissermaßen nahtloser Übergang von der Bösen Buben Bar ins Rotlichtviertel, was er, schelmisch grinsend bei seiner Einladung so kommentierte: „Ich meine das nur ideologisch, und Geld spielt keine Rolle!"

„Aber kein Geld spielt eine Rolle", konterte Menschenkind geistesgegenwärtig, worauf CKK erwiderte, daß er für Reisekosten und Unterkunft uneingeschränkt aufkäme. Die GEMA drücke ja schließlich nur so ab für seine Kompositionen, die sich auf dem Klingeltonsektor großer Beliebtheit erfreuen.

Nun also in der großen Hansestadt Hamburg, diesiges Wetter, leichter Sprühregen, Temperaturen um Plus 4 Grad Celsius und Windstärke 5 bis 6 aus Noord-Noord-Oooost.

Keinerlei Anzeichen von Sturmflut, und in Nullkommanischt mit der flinken Mehdornlinie vom Berliner Zoo in Altona! Keinerlei Kontrolle! Eigentlich wollten die beiden ja im Zug bezahlen, hatten ja das CKK-Geld in der Tasche, aber vermutlich spart der Mehdorn wieder an der falschen Stelle, glaubt, daß, wer mit Laptop in der Ersten Klasse sitzt, kein Schwarzfahrer sein kann. Ein typischer Fall von Denkste!

Sie sind hier im konspirativen subversiven Thälmann-Keller zusammen eingekehrt, und dann ist Ditte sukzessive noch einmal losgegangen, um für die Angehörigen der Kochschen Linie von Thälmanns Verwandtschaft mütterlicherseits, die auch mit CKK genetisch verbandelt ist, etwas zu kaufen, Mon Cheri und so. Schließlich sind sie herzlich eingeladen worden.

Zweiter Auftritt von CKK, der noch was zu Trinken besorgt hat, in der kleinen Gedenkstätte. Auf seine unnachahmliche Art reißt er die Tür auf und kitzelt damit die Windstärke auf eine Steigerung um 100 Prozent, springt die Stufen hinunter, fast auf Menschenkinds Doc Martens, reißt die Arme auseinander und ruft: „Voilà! Willkommen im kleinsten Thälmann-Museum der Welt! Sehen heißt mit den Augen begreifen, schaut euch ruhig um, Kinnings!" Der Raum ist wirklich sehr klein, sehr niedrig und ziemlich halbschattig. Ditte, die mit „Hallo ihr Kämpferherzen, Rotfront!" die Gedenkstätte betritt, bittet um mehr Licht, doch CKK winkt ab. „Also Kinnings, das Licht soll in euch selber strahlen, wozu also Sekundärenergie vergeuden, naja, Strom is nich, aber ich könnte zur Not noch ein Teelicht entzünden." Gesagt, getan. Vor Ditte und Menschenkinds Augen tauchen im Schummerlicht die gesammelten Devotionalien aus der Thälmannzeit auf: eine Art Mostrichglas, dessen Rand wie angeknabbert aussieht; ein verrosteter krummer Nagel und ein Bleistiftstummel. Das war's. CKK bemerkt, daß seine Gäste leicht irritiert sind. „Nun ja, Kinnings, is hier eine minimalistische Gedenkstätte, weniger ist mehr und mehr wäre weniger! Und das ist ja nur der Beweis für gelebtes Leben in Dingform. Laßt uns aufbrechen zu neuen Ufern, die Kochs besuchen. Ihr werdet Bauklötzer staunen!"

Als die Ratten fluchtartig den Keller durch einen Mauerspalt verlassen, jaulen Polizeisirenen auf. „Kinnings, Ruhe bewahren!" sind CKKs letzte Worte ...

(Fortsetzung folgt)

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

* www.rotfront.de

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