Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
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Ohne eigenen Ausdruck, bitte

Ein neuer Anlauf in Sachen „Topographie des Terrors"

Entwurf: Heinle, Wischer und Partner

Es ist keine 15 Jahre her, da gab es schon einmal einen Architektenwettbewerb für den Neubau der Gedenkstätte „Topographie des Terrors". 1993 entschied sich eine mit viel Lokalprominenz besetzte Jury voller Euphorie für einen angemessenen, vor allem würdevollen Entwurf des Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor. Im Erläuterungstext schrieb der Sieger, das Gebäude wolle den Ort sprechen lassen und selbst nur Tragwerk sein, quasi ein schützendes Gerüst, nichts, was die Aufmerksamkeit vom Gelände selbst ablenken würde. Jetzt ist – mit ganz ähnlichen Argumenten – ein zweiter Wettbewerb entschieden worden, der die lange Geschichte vielleicht endgültig zu Ende bringt.

Einen weiteren Skandal könnte das Projekt Topographie nach dieser Geschichte sicher nicht mehr vertragen. Ohnehin tat sich der politische Wille Berlins immer schwer mit diesem unangenehmen, authentischen Ort, der die Täter porträtiert. Und doch ist das Gelände seit den frühen achtziger Jahren erfolgreich erst von einer Bürgerbewegung, dann von einer Stiftung als „Erinnerungsort von unten" gestaltet worden und zieht kontinuierlich fast 300000 Besucher im Jahr an.

Vielleicht lag das auch an den Zielen der Stiftung: Nicht nur die erhaltenen Kellergrundmauern der einstigen Gestapozentrale sollten gezeigt werden, sondern es ging ihr auch um eine Darstellung deutscher Geschichtskontinuität nach dem Ende des Weltkriegs: Das buchstäbliche Verschütten der Erinnerung im Schatten der Berliner Mauer unter den Trümmerbergen, das jahrzehntelange Negieren dieses Ortes gaben der Stiftung ihren beziehungsreichen Namen. Nicht nur die Geschichte, auch der Umgang mit ihr waren und sind das Thema dieser Erinnerungslandschaft.

Es ist diese Authentizität, die den Ort zu etwas Besonderem macht, auch und gerade im Vergleich mit dem zentralen Mahnmal und dem Jüdischen Museum. Daher hatte sich die Stiftung schon im Architektenwettbewerb 1993 ein zurückhaltendes Bauwerk gewünscht, das den Ort als Ort beläßt. Der Zumthor-Bau versprach all dies und konnte es nicht halten; deshalb mußte die Stiftung ihre Büros und Seminarräume in den vergangenen 14 Jahren in drei schmucken Baucontainern auf dem Gelände unterbringen. Der Bau der „reinen Konstruktion" mit ihren extrem schlanken Betonstützen erwies sich letztlich als zu aufwendig, und das Land Berlin wollte die nötigen Gelder für eine Realisierung nicht aufbringen: Erst sollte der Bund zahlen, dann wurde der Architekt entlassen. Die Begründung des Landes, der Architekt hätte sich in den Detailfragen zu unkooperativ verhalten, ließ sich juristisch nicht hinreichend belegen. Schließlich wurde Zumthor schlicht aus dem Vertrag gekauft ­ mit einer Entschädigungssumme, über die bis heute Stillschweigen herrscht.

Inzwischen waren auf dem Gelände drei Treppentürme und ein schreigelber Spezialkran errichtet worden. Es gab im Vorfeld des neuen Wettbewerbs auch Stimmen, die für einen Erhalt dieser drei Betonstelen plädierten, denn auch diese seien inzwischen zu einem Teil der Erinnerungslandschaft geworden. Aber die Bauverwaltung ließ die Treppentürme im letzten Jahr unsentimental abreißen, obwohl sie für einen Neubau zu nutzen gewesen wären.

Im neuen Wettbewerb hat sich ein Entwurf durchsetzen können, dessen Sieg unter den 309 Einsendern nur aus dieser Vorgeschichte erklärbar ist. Erstaunlich liest sich der Erläuterungstext der Architekten: Man habe im Entwurf des Gebäudes versucht, „ohne jegliche Interpretationsversuche der geschichtlichen Orte" und „ohne jegliche Eigendarstellung in der Architektursprache" auszukommen. Ein Siegerentwurf ohne eigenen Ausdruck, stumm, zurückhaltend? Hatte man das nicht schon einmal gehört?

Das Gebäude präsentiert sich als schlichter Kubus, dessen Grundform mit eingeschlossenem Lichthof den benachbarten Martin-Gropius-Bau deutlich zitiert. Der umlaufenden Glasfassade wird ein Metallgewebe vorgehängt, das dem Bau eine „eindeutige Neutralität zum geschichtlichen Geschehen an diesem Ort" geben soll, so die Architektin Ursula Wilms vom Büro Heinle, Wischer und Partner. Das Kellergeschoß wird den abstrakten Metallmantel des Gebäudes etwas über das Geländeniveau anheben, um dieses „Losgelöstsein" vom Gelände noch stärker herauszuarbeiten.

Das täuscht allerdings nicht über den enormen Flächenbedarf des Gebäudes hinweg, das zudem fast mittig auf der Freifläche zwischen Wilhelmstraße und Gropiusbau steht. Ob das abstrakte Metallgitter den Kubus mit einer Seitenlänge von satten 53 Metern wirklich in ein abstraktes, zurückhaltendes Gebäude wandeln kann? Oder wird die flache Metallbox doch zur Dominante des Geländes? Die Beteiligten bemühen sich um eine einheitliche Sprache: Andreas Nachama, Stiftungsdirektor der Topographie, findet das Gebäude „schön", Kulturstaatsminister Bernd Neumann hofft auf einen „würdigen und angemessenen Gedenk- und Informationsort".

Die Entscheidung zugunsten des Siegerentwurfs fiel in der Jurysitzung mit neun zu vier Stimmen nach 13stündiger Diskussion. Da kein dritter Platz vergeben wurde, ist zu vermuten, daß am Ende vor allem zwischen erstem und zweitem Platz eifrig gerungen wurde. Den belegte das bisher wenig bekannte Berliner Büro Ramsi+Kusus mit einem Entwurf, der weite Teile des Geländes frei gelassen hätte und das Gebäude deutlich dichter an den Gropiusbau stellen wollte. Dem Entwurf zum Verhängnis wurde vermutlich die vorgeschlagene Fassade aus weißem Kunststoff ­ niemand traut sich, weitere Risiken einzugehen.

Auch die Bausumme war im Wettbewerb mit 20 Millionen Euro gedeckelt ­ aus den ursprünglichen 40 Millionen hat die Bauverwaltung die mit Zumthor in den Sand gesetzten 18 Millionen bereits abgezogen und verkauft das nun als geschicktes Haushalten. Welches Gebäude diesem Ort wirklich angemessen gewesen wäre und welches Gebäude mit dem Doppelten der jetzigen Bausumme hätte realisiert werden können, das bleibt einer der Berliner Baukonjunktive ­ hätte, wäre, könnte. Der Neubau soll zum 1. September 2009, zum 70. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen, eröffnen. Noch wichtiger aber wäre dann: Einer der wichtigsten innerstädtischen Berliner Gedenkorte zum Dritten Reich hätte endlich ein Dach über dem Kopf.

Florian Heilmeyer

*Vom 10. März bis 17. April werden im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Kreuzberg, sämtliche 309 eingegangenen Entwürfe in Plänen und Modellen gezeigt. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Montag von 10 bis 20 Uhr

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