Ausgabe 02 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Bilder statt Bahnen

Die gute Nachricht zuerst: Wer die BVG gar nicht nutzt, der muß auch kein „erhöhtes Beförderungsentgelt" bezahlen. Das stellte noch der letztes Jahr verstorbene Vorstandsvorsitzende Andreas von Arnim klar, wie man auf der BVG-Homepage nachlesen kann: „Bei Personen, die sich nur auf dem Bahnsteig aufhalten, um einen Kiosk aufzusuchen oder andere Fahrgäste zum Zug bringen oder abholen" wird nicht abkassiert. Es ist also weiterhin möglich, den öffentlichen Nahverkehr ungestraft öffentlichen Nahverkehr sein zu lassen, ohne dafür bestraft zu werden. Gründe gibt es dafür bekanntlich genug: Die BVG ist langsam, ineffizient und vor allem: viel zu teuer. Auf Kurzstrecken ist man zu Fuß schneller, auf Fahrten, die einen nicht gerade von Spandau nach Köpenick führen, mit dem Rad. Und ein dem Berliner Durchschnitt entsprechend verdienender Mensch kann sich Bus und Bahn ohnehin schon lange nicht mehr leisten.

Jetzt wird alles noch schlimmer. Nein, um Fahrpreiserhöhungen geht es diesmal nicht. Die sind den Berlinern nicht einmal mehr ein Achselzucken wert und uns keinen Kommentar. Vielmehr steht nach dem letzten, unverschämt als „Metropolenlinien-Konzept" getarnten Kahlschlag jetzt schon wieder der nächste bevor. Diesmal soll es den Straßenbahnlinien im Norden und im Osten an den Kragen gehen, die angeblich zu teuer sind. Nach Rosenthal oder Schmöckwitz kommt man dann möglicherweise gar nicht mehr oder im Zwei-Stunden-Takt mit Bussen. Als Vorwand dienen, wie in jedem ordentlichen deutschen Unternehmen, die Personalkosten.

Man fragt sich schon, wo das ganze Geld hinfließt, das die ständigen Fahrpreiserhöhungen in die Kasse spülen, während das Angebot am laufenden Band ausgedünnt wird. Natürlich in die Gehälter der BVG-Bosse. Aber auch wenn die unverhältnismäßig sind, reicht das als Erklärung noch lange nicht aus. Ein wichtiger Faktor sind natürlich Kontrollen, die im Gegensatz zum Angebot ständig ausgebaut werden und das einzige zu sein scheinen, was im Berliner Nahverkehr zuverlässig funktioniert. Letztes Jahr wurde das Gehalt der Kontrolleure, die von privaten Firmen gestellt werden, erhöht, während die BVGler darben müssen.

Dazu kommen sinnlose Bauprojekte wie der U 55-Stummel zwischen Hauptbahnhof und Reichstag. Damit die neuen Bahnhöfe einer Linie, die niemand braucht, nicht das peinliche Bild menschenleerer Geisterbahnhöfe abgeben, überlegt die BVG, die Mini-U-Bahn kostenlos zur Benutzung freizugeben. Sinnlos und teuer sind auch all die kleinen Behübschungen auf den Bahnhöfen, die häßlichen neuen, bauchigen Plasteschilder an allen Stationen. Und warum Busse und Bahnen ständig ausgemustert und erneuert werden, würde man auch gerne wissen. Meistens tun die Fahrzeuge, die der BVG nicht mehr gut genug sind, dann noch zuverlässig jahrelang in Osteuropa ihren Dienst.

Für den neuen BVG-Chef Andreas Sturmowski haben nicht etwa Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit oberste Priorität, sondern die Videoüberwachung. In einem zunächst auf drei U-Bahnlinien ­ vermutlich U 2, U 6 und U 8 ­ begrenzten Versuch, werden die von den Kameras auf den Bahnsteigen aufgezeichneten Filmchen künftig nicht schon nach sechs Minuten, sondern erst nach 24 Stunden gelöscht. Die Berliner Datenschützer sind eingeknickt und haben den Unfug, der angeblich als Abschreckung dienen soll, abgenickt. Als ob es nicht schon genug Gründe gäbe, die BVG nicht zu nutzen!

Gerüchte, daß auf der Linie M 1 ab Juni wegen explodierender Energiekosten versuchsweise wieder der Betrieb mit Pferden eingeführt wird, konnten bis Redaktionsschluß nicht bestätigt werden.

Hans W. Rust

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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