Ausgabe 01 - 2006 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Von Karpfen träume ich nicht

Im Bethanien wird zu Jagd, Wildnis und Großstadtnatur ausgestellt

Die grunddemokratische Haltung des Kunsthauses Bethanien wird immer wieder ersichtlich, beispielsweise beim Besuch einer Ausstellung dort. Im Jagdsalon konnte ich freudige Ausrufe hören, die zeigten, daß die gezeigten Bilder und Installationen wirklich wahre Kunststücke des Volkes sind. Gelächter, „das ist wirklich beschissen hier", „Platzverschwendung, total peinlich" (aus dem Gästebuch) sowie: „das hätte ich selber (bzw. „hättest sogar du") machen können" (mehrmals gehört – demokratischer geht's also kaum). Die Sachen, die an den Wänden hängen, wurden aber doch nicht bei wildfremden Menschen in Auftrag gegeben, sondern stammen tatsächlich allesamt von ausgebildeten Künstlern.

Tue Greenfort, der sechs Jahre lang in Frankfurt/Main und in Dänemark Kunst studierte, hat in Fischabenteuer und Jagen auf zwei A2-Blättern Collagen hergestellt. Im Katalog heißt es, er thematisiere dabei „die Materialkultur der Jagd", während er gleichzeitig „ironisch" (aha!) „Männlichkeitsideale hinterfragt". Man könnte es aber auch anders ausdrücken: „Guck, so was machst du auch in der Schule, so Bilder ausschneiden und draufkleben" (Mutter zur Tochter). Über die technischen Qualitäten von Guy Allotts Zeichnungen (fünf Jahre Kunststudium in London) von Neandertalern beim Jagen schreibe ich lieber nichts („das ist doch aus Was ist was abgepaust"). Und Nikolaus Brokers Ölbilder von u.a. Ansitzen im Wald scheinen von J.R.R. Tolkien inspiriert zu sein.

Es gab aber einige Gründe zur Freude. In Greenforts Installation wird es interessanter. Ein Angelstuhl ­ gemütlicher als erwartet ­ lädt zum Verweilen ein. Dabei schaut man Dias an: Man wird in die Welt des Anglerbedarfs eingeführt, etwas, was mir vermutlich sonst mein Leben lang verborgen geblieben wäre. Angenehm schlecht belichtete Bilder zeigen die Verkaufsräume von Geschäften, die in Berlin „Fisherman's Friend" bzw. „Fisherman's Partner" heißen. Produkte wie Fischköder namens „Carp Dreams" ­ „mit appetitstimulierender reiner Aminosäure" ­ werden in ihrer schonungslosen Häßlichkeit gezeigt. Warum werden Karpfen mit Aromen angelockt, die man sonst aus Eisdielen kennt? Eine Menge der Köderbälle, fachsimplerisch auch „Boilies" benannt, lagen wie Radieschen auf dem Boden herum.

In einer anderen Kammer läuft auf einem kleinen Fernseher ein Video, Agility. Darsteller: Mitglieder des Gebrauchshundesportverbands Tempelhof. Hundefitneß im Kleinformat. Man sieht die Besitzerinnen, man sieht die Hunde. Aber wer sind diese Menschen, die Leichtathletik mit Waldi und Pfiffi treiben? Warum tun sie sich das selber an, nachts in Lichtenrade unter Halogenlicht hinter und neben ihren Terriern und Pudeln herzurennen? Es sieht verdammt anstrengend aus. Die Gründe ihres Tuns erfährt man leider nicht.

Julika Gittners Bestandsaufnahme ist eine Falle für Kakerlaken, Ratten und Tauben. Als ob sie eigentlich beim Bezirk angestellt wäre, hat sie die „Schädlinge" eines Londoner Parks ermittelt und dann eine Falle entwickelt, die diese Tiere gleichzeitig anlocken, fangen und töten sollte. Hat's geklappt? Keine Ahnung, Kadaver waren nicht zu sehen, aber die Arbeit und was dahintersteckte schon. Die Skizzen, die Zahl der Tiere sowie eine Skulptur der Grünfläche sind auch ausgestellt. Meine Neugier wird nicht gestillt. Ich möchte wissen, warum so viele unerwünschte Tiere in einer Wohngegend aufzufinden sind. Der Ausstellungskatalog informiert, daß Gittner sich für „sozial-ökonomische Aspekte" wie die „wirtschaftliche und soziale Verarmung und Vernachlässigung" der Gegend interessiert, dabei will sie den „Repräsentationscharakter von Kunst auf augenzwinkernde Weise (!) auf die Spitze" treiben.

Mein Hauptproblem mit Jagdsalon ist, daß man nicht erfährt, warum die Künstler gemacht haben, was sie hier als Kunst präsentieren. Vage Lösungsvorstellungen findet man nur gegen eine Zuzahlung von 6 Euro, was für acht Seiten Text ­ und dabei nur ca. vier Zeilen pro Künstler ­ zu teuer ist. Kein Wunder, daß manche Besucher ratlos oder lachend dastehen. Die Erklärungen sind außerdem etwas dürftig und stammen nicht von den Künstlern selber, sondern von der Kuratorin. Ist es so, daß etwas mehr Arbeit in einer Erklärung stecken müßte als in dem künstlerischen Prozeß selber? Und wäre das nicht gutverbrauchte Zeit gewesen?

Wohl wissend, daß die Ausstellung ohne Wollita nicht auf viel Interesse stoßen wird, hat man glücklicherweise mehrere begleitende Veranstaltungen vorgesehen. Die Ein-Mann-Behörde Derk Ehlert, Jagdreferent des Landes, hat schon vor ca. 30 Zuhörern einen unterhaltsamen und informativen Vortrag über Wildtiere in Berlin gehalten. Am 2. Februar um 14 Uhr wird in Kreuzberg auf den Spuren von Wildschweinen, Füchsen, Waschbären und Co. gewandert, und am 19. (16 Uhr) wird über die „rituelle Inszenierung der Schlachtung" referiert, dazu Musik und literarische Texte.

Ich schlage vor, die Veranstaltungen zu besuchen, und falls man noch etwas Zeit übrig hat, auch mal in die Kunsthalle hereinschauen. Falls man das aber nicht mehr schafft, ist es nicht so schlimm.

Matthew Heaney

* „Jagdsalon", noch bis zum 19. Februar im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, Di bis So 12 bis 19 Uhr, Eintritt frei

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