Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

scheinschlag 13/93

Rent a Kriegsbild

Widersprüche einer Ausstellung

Im Guckkasten konnte das Sterben betrachtet werden. Es fehlte nur der Schlitz für die Mark, damit die kleinen Figürchen in der Miniaturlandschaft auch wirklich verrecken, schreien und bluten. Einkaufstüten warben mit Bildern vom Krieg statt mit Frosch und Schildkröte.

Provokationen in einer Ausstellung Anfang Juni in den Räumen des Vereins SO 36 im U-Bahnhof Schlesisches Tor, KATO genannt. Die hohen weißen Wände mit den grobgerasterten, grauen Fotos wirken karg. Sie haben etwas von der Kälte, die das Herz beschleicht, wenn man anfängt, nachzudenken über die täglich dosierte Grausamkeit in den Medien. „Miete ein Kriegsbild" nannte eine Projektgruppe der Hochschule der Künste ihren Versuch, Fotojournalismus an den Brennpunkten der Welt, wo das Leben nur noch einen Dreck wert ist, in Frage zu stellen.

Wer braucht noch diese Fotos vom Jugoslawischen Krieg, von Toten, Trauernden, Hungernden? Wen schert noch abgelichtetes Flüchtlingselend? Gab es nicht mehr als genug Massenaufrüttelung in Zeitung und Fernsehen? Je später der Abend bei einer Diskussion mit Fotojournalisten im KATO wurde, umso zugespitzter formulierten Gäste ihre Bedenken. Wie wenig sie sich ihrer Rolle als „Verbraucher" des medialen Schreckensangebotes wohl fühlten, äußerte sich auch in Erregtheiten. Der Eindruck eines Tribunals, vor dem sich die „Macher" der Fotos verantworten sollten, lag nahe. Dabei ließen die drei jungen Männer, die zum Teil sehr lange und mehrmals in Bosnien mit der Kamera unterwegs waren, keinen Zweifel an ihrer eigenen Erschütterung. Sie waren eine zeitlang ebenso Zielscheibe serbischer Artillerie wie die Zivilbevölkerung Sarajevos. Nur, daß sie eine Rückfahrkarte in der Tasche hatten. Aber sie müssen nicht wie wir mit „Bildern aus zweiter Hand" leben, sondern mit ganz anderen im Kopf.

Foto: Hendrik Rauch in scheinschlag 15/94

Es ist zu einfach, rigoros alles abzulehnen, was Zeitungen und TV uns vorsetzen, weil ich allein schon hinter der Auswahl nicht viel mehr als Marktdenken sehe. Und zu einfach, diese Ablehnung auf die Fotografen (als geile Geldjäger) zu übertragen. Zurecht kam der aufgebrachte Einwurf von Fachleuten: Nicht in Bosnien kann die dicke Marie gemacht werden, die gibt's für Pornos und Werbung.

Doch wenn nicht wegen des Geldes: Warum fährt einer los und will sich den Krieg besehen? André Kaiser, der als erster mit einer Fotografie den Beweis für die Existenz serbischer KZs brachte, gebrauchte öfter das Wort „Analyse des Krieges". Er hatte wie auch Pierre Alozie lange die Illusion, Reaktionen bei den Deutschen (Adria-Touristen) provozieren zu können. Auch von der Politik zeigten sich die Fotografen total enttäuscht. Die Art der Reaktionen, die sie von der Welt erwarteten, war ­ für mich verständlich, für andere unerhört ­ radikal. Nur durch militärisches Eingreifen sei der Haß zu stoppen. Ihre Parteilichkeit in diesem Krieg können nur Leute anfechten, die „Objektivität" und „Wahrheit" in der Fotografie suchen. Kein Betrachter aber kann doch entlastet werden, selbst seinen Kopf arbeiten zu lassen.

Warum wieder und wieder Fotos aus Jugoslawien? Warum nicht von einem anderen der über 50 Kriegsherde auf dem Planeten? taz-Bildredakteurin Petra Schrott führte mit ihrer Antwort dann doch wieder nah ran an die D-Mark: Weil anderes den Markt nicht so gut bediene. Sie brachte auch die Überlegung von der „dosierten Grausamkeit". Man könne den Lesern nicht täglich einen unansehnlichen Toten präsentieren ­ weil diese sonst, „um nicht auf den Frühstückstisch zu kotzen", eh nur weiterblättern. Über das Foto von einer verletzt liegenden Frau, über deren Gesicht wie schwarze Fäden Schnittwunden laufen, sei in der Redaktion lange diskutiert worden. Ergebnis: Man mutete es den Lesern großformatig zu.

Abseits von Markt-, Kriegs- und Wirkungsanalysen blieb für mich unbeantwortet, was mir Gänsehaut verursacht: Ist es der „Job", der rechtfertigt, die Kamera auf wehrlose Menschen zu halten? Ein Ohnmächtiger oder Sterbender kann nicht sagen: Nein, ich will nicht in meinem Elend in deutsche Wohnzimmer. Genausowenig kann er sagen: Zeigt es allen, damit ihnen die Bockwurst im Halse steckenbleibt! Er könnte nur hoffen, daß ihm jemand den Schweiß von der Stirn wischt, ihm anders als mit der Canon beisteht. An dem Abend im KATO wurde mehrmals die Fotografin Gisèle Freund zitiert: Eine Verweigerung ist möglich. Ich könnte mich der Philosophie des Nicht-Bildes anschließen.

Ute

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 9 - 2005 © scheinschlag 2005