Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Wobei die Betonung eindeutig auf „Schul-" liegt!

X Gründe gegen und fünf Gründe für das Schulmuseum am Köllnischen Park

Tja, das mit der „modifizierten Fortführung" in anderen Mauern hat ja irgendwie nicht so recht geklappt in den letzten 13 Jahren. Wie beim Kultursenator, so hat sich zwar auch beim Schulmuseum der Name geändert, denn seitdem es 1995 zusammen mit der „Arbeitsgruppe Pädagogisches Museum e.V." in der Stiftung Stadtmuseum Berlin aufging, heißt es nun „Museum Kindheit und Jugend". Aber die Örtlichkeiten sind die gleichen geblieben, nämlich das oberste Stockwerk der ansonsten leer und verlassen vor sich hin bröckelnden 3. Gesamtschule am Köllnischen Park in Berlin Mitte. Bedeutet das jetzt aber, daß das ganze Ding nach Meinung der Museumsleitung keinen Zweck mehr hat?

Fast könnte man es vermuten. Auf jeden Fall gilt: Wenn Sie jemanden treffen, der meint, wir brauchen das Schulmuseum nicht, dann erzählen Sie ihm um Himmelswillen bloß nicht, was Sie dort gesehen haben. Denn damit spielen Sie jedem hartherzigen Befürworter der ersatzlosen Streichung des Museums in die Hände.

Seien wir ehrlich! Wer – außer scheinschlag-Autoren von vor 13 Jahren – will sich freiwillig durch fünf ehemalige Klassenräume und einen Flur schleppen, um in Vitrinen zu starren, die vollkommen beliebig zusammengestellte Ansammlungen von altem Kinderspielzeug, Schulranzen, Schreibgeräten und ähnlichem Firlefanz enthalten? Gibt es irgendwen, der tatsächlich das Bedürfnis verspürt, sich Leitz-Ordnerdicke Erlebnisberichte über Einschulungen von 1928 zu Gemüte zu führen? Wen drängt es, dem Vorschlag der Museumsleitung nachzukommen, im sogenannten „Scriptorium" am Ende des Flurs „mit Gänsekiel und Stahlfeder die altdeutsche Schrift aufs Papier zu `zaubern'"? Doch wahrscheinlich nur Sütterlin-umnebelte Harry Potters, die den alten Kaiser Wilhelm wieder haben wollen und es ansonsten lieben, schlechte Ölgemälde und unscharfe Fotos von 100 Jahre alten Kindern in Sonntagskleidchen und Matrosenanzügen zu begaffen. Ein paar Bilder vom eigenen Großvater als frecher Lausbub? Nun gut, meinetwegen, wenn es denn sein muß. Aber irgendwelche Gören, die einem gänzlich unbekannt sind und denen dann auch noch „fiktive Erzählungen" über ihre „Beschäftigungen außerhalb der Schule, ihre Beziehungen untereinander sowie Wünsche und Träume fürs spätere Erwachsensein" angedichtet werden? Na, ich weiß nicht.

Wenn man nicht gerade eine Studie über den systematischen Zusammenhang von Gutmenschentum und Phantasielosigkeit bei Museumspädagogen vorgerückten Alters erstellen muß, gibt es eigentlich keinen ersichtlichen Grund, den von der Museumsleitung angedrohten „Streifzug durch die Kindheit des 19./20. Jahrhunderts von der Geburt bis zum 18. Lebensjahr" wirklich anzutreten. Daß Berliner Proletarier-Kinder Anfang des letzten Jahrhunderts nicht gerade eine rosige Kindheit hatten, war ja wohl schon vorher klar. Daß Mädchen zu Dienstmädchen und Müttern erzogen wurden, konnte man sich auch schon zuvor denken. Daß man Jungen zu Soldaten und Vätern abrichtete, überrascht ebenfalls kaum. Und daß Kinder aus reichem Elternhaus eine bessere Erziehung genossen als Kinder aus armen Elternhäusern, ist eine historische Erkenntnis, die genauso interessant ist wie das „historische Spielzeug aus zwei Jahrhunderten aus den Sammlungen Groß und Scholtz-Mundorf".

Wenn ich, anders als Herr Roloff-Momin, dazu rate, besser nicht zu erwähnen, was man im Schulmuseum sah, falls man auf jemanden trifft, der dieses Museum für überflüssig hält, so liegt diesem Ratschlag natürlich die Überzeugung zugrunde, daß wir das Schulmuseum nichtsdestotrotz ­ ja, geradezu unbedingt ­ brauchen. Dies werden die geneigten und pfiffigen Leserinnen und Leser unschwer erkannt haben. Und nun werden sie sich gewitzt fragen: Woher kann der Autor nur diese Überzeugung nehmen, wo er doch bis jetzt die gesamte Museumskonzeption und mit ihr alle Exponate in Bausch und Bogen der Redundanz und Langeweile geziehen hat? Und die Antwort auf diese wirklich interessante Frage erfolgt prompt, liebe Leserinnen und Leser. Nämlich jetzt.

Das Schulmuseum brauchen wir unbedingt, weil es erstens mit seinem sedierenden Dilletantismus eine der vielleicht letzten subversiven Bastionen gegen die ganze aufgeblasene Kulturscheiße ist, die schlußendlich in so traurigen Sensationen gipfelt wie der kollektiven Begeisterung darüber, mit Harndrang stundenlang in der Einlaßschlange zur MoMa-Ausstellung stehen zu müssen. Nie werden Sie im Schulmuseum Reisebusladungen sogenannter „Kunstbegeisterter" treffen, die auch noch aus dem Warten auf die hehre Kunst ein sogenanntes „Event" machen und dabei ungefragt ihr intellektuelles Rumpfwissen herausposaunen. In das Schulmuseum gehen ungebildete Kinder, lustlose Lehrer und wortkarge Rentner, die sofort freundlich eingelassen werden, bevor die Frau an der Kasse vor Glück heulend zusammenbricht, weil sie diesen Monat schon fünf Besucher zählen konnte.

Das Schulmuseum brauchen wir unbedingt, weil es zweitens mit seiner langsam verottenden deutschen demokratischen Bausubstanz den kühl glitzernden Botschaften und pseudoglamourösen Medien-Klitschen, die rund um den Köllnischen Park entstanden sind, den Spiegel des real existierenden Kapitalismus vorhält. Hier wird nicht blöd über die problematische Veränderung des öffentlichen Raums palavert wie in irgendwelchen Mitte-Galerien, was das Palaver selbst schon wieder zum Bestandteil der problematischen Veränderung macht. Stattdessen wird der auf Hochglanz polierten Botschaft Australiens schlicht die Ruine einer ostdeutschen Serien-Plattenbauschule entgegengeschleudert, die so authentisch derangiert wirkt wie der langzeitarbeitslose Kranführer aus der Danziger Straße gegen die Camouflage-Yuppies aus der Kastanienallee.

Wir brauchen das Schulmuseum unbedingt, weil wir drittens sonst wahrscheinlich nur noch so alberne Ausstellungstitel wie etwa „Global Village" zu Gesicht bekommen würden, nicht jedoch so unvergleichlich Putziges wie „Die große Welt im Kleinen".

Wir brauchen es unbedingt, weil es viertens dereinst als Meisterwerk dadaistischer Ausstellungsarbeit selbst ausgestellt werden wird ­ und tausende „Kunstbegeisterte" mit Harndrang in langen Schlangen anstehen werden, um es endlich sehen zu können.

Und wir brauchen es zu guter Letzt auch deshalb unbedingt, weil es fünftens durch sein Fortbestehen Arbeitsplätze sichert, was heutzutage ja wohl immer und überall als schlagendes Argument gilt.

Thomas Hoffmann

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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