Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Berlin bleibt unplanbar

Das Planwerk Innenstadt ist letztendlich gescheitert

Fünfzehn Jahre scheinschlag, neun
Jahre Planwerk Innenstadt. Als der scheinschlag im Dezember 1996 gemeinsam mit der taz eine Sonderbeilage dem von Senatsbaudirektor Hans Stimmann forcierten Regelwerk zur „Kritischen Rekonstruktion" Berlins widmete, steckte dessen Umsetzung noch in den Kinderschuhen. Daß es jetzt nicht ganz so schlimm aussieht, wie u.a. Uwe Rada und Wolfgang Kil damals vorhersagten, liegt an einer simplen Tatsache: Das Planwerk Innenstadt ist an seinem totalitären Planungsanspruch gescheitert. Berlin lebt, wird leben; nicht dank, sondern trotz des Planwerks.

„Im ersten Schritt ging es darum, der Berliner Öffentlichkeit den beklagenswert zerrissenen Ist-Zustand des Zentrums mit seinen Autobahnfragmenten, Mauerstreifen, überbreiten Magistralen, undefinierten Freiräumen und den unterschiedlichen Fragmenten der städtebaulichen Moderne als Problem nahe zu bringen." (Planwerk Innenstadt: Planungsprozeß)

Das Planwerk hat die reale Stadt nicht nur abgelehnt, es hat sie gehaßt. Die Wunden des fragmentierten Berlins der Neunziger, die Krieg und Teilung mehr als in den meisten anderen Städten hinterlassen haben, sollten verschwinden. Der Anspruch an Berlin war die schnelle Rückkehr zur „Normalität", zu der erträumten „heilen Stadt". Die visionäre Triebkraft hinter der sogenannten Kritischen Rekonstruktion war in ihrem Kern reaktionär. Das Planwerk träumte unverschämt laut von einer musealisierten Stadt, eingefroren in einer erfundenen Vergangenheit, verständlich und unbespielbar, primär touristisch, konsumierbar, leicht verdaulich. Das Diktat dieser erzwungenen Normalität erzeugte eine kreuzbiedere Mittelmäßigkeit, die nicht kritisch, sondern tragisch zu nennen ist: die Neue Kommandantur in ihrer unbeholfenen, künstlichen und spätestens auf der Rückseite vollkommen lächerlichen Fassadenhaftigkeit. Der holprige Baublockklotz an der Leipziger Straße, wo vorher das denkmalgeschützte Ahornblatt stand: wiedererrichtet auf einem historischen Grundriß der Kaiserzeit, der hier schon lange nichts mehr zu suchen hat. Verloren gegen die Hochhäuser der Fischerinsel und den vorbeidonnernden Mahlstrom der Leipziger Straße, versehen mit einer Nutzungsmischung aus Hotel, Supermarkt und etwas Wohnen und letztlich nicht einmal historisch wertvoll. In diesem Sinne freue ich mich bereits auf den Leipziger Platz.

„Das Planwerk steht in der städtebaulichen Tradition der europäischen Stadt und bezieht sich auf die verschütteten historischen Spuren des zerstörten Berliner Stadtgrundrisses, ohne dabei die Geschichte dieser Zerstörung zu verleugnen. Ziel ist nicht die nostalgische Rückkehr zum unwiederbringlich Verlorenen, sondern dialogische, auch spannungsvolle Ergänzung des als unzulänglich bewerteten Bestandes (häufig Ergebnisse der städtebaulichen Nachkriegsmoderne), orientiert an gegenwärtigen Bedürfnissen nach städtischer Aufenthalts-, Wohn- und Lebensqualität." (Planwerk Innenstadt: Anlaß + Ziel)

Das wirklich Charakteristische an Berlin ergab sich damals wie heute aus den innerstädtischen Brachen und Ruinen und den Gestaltungsspielräumen, die sich in diesen fanden. Billige Mieten für Wohnungen, Ateliers und Läden sind ein stärkeres Argument für die viel gerühmten jungen Kreativen als kommerzielle Flaniermeilen. Das Planwerk entwarf in der Panik der Nachwendezeit allzu starre Richtlinien für eine Stadt, die voller ungezügelter Dynamik war. Erstaunlich war auch die Arroganz den Kritikern gegenüber, denen ebenso schlicht wie pauschal Ahnungslosigkeit unterstellt wurde. Simone Hain hat das in der Beilage 1996 die erträumte „Pastoralmacht" der Protagonisten und ihrer Vollstreckungsgehilfen (Hans Stimmann, Klaus Hartung, Dieter Hoffmann-Axthelm, Peter Strieder) genannt: „die Fürsorgemacht eines ‚guten Hirten', der die ‚Herde' aus einem tiefen Sendungsbewußtsein zu ihrem Glück führt". Der Traum vom starren Gesamtkunstwerk Berlin mußte scheitern, er ist gescheitert.

Was Wolfgang Kil als die Stärken Berlins beschreibt, hat gesiegt: das Diverse, das Polyzentrale, das Guerillahafte, die Unberechenbarkeit. Berlin ist kein verlängertes Unter den Linden geworden und kein neues Bonn. Das war damals zu befürchten, aber es hat sich als undurchführbar herausgestellt. Das Planwerk war (und ist) eine nun schon neun Jahre dauernde Verschwendung von Ideen, Geldern und Emotionen. Es gibt keine Markthalle vor dem Roten Rathaus, keine Hochhäuser von Kollhoff und erst recht kein flächendeckendes System an „definierten Freiräumen". Auch die letzten Berliner Scharmützel um das Kulturforum und das Stadtschloß verdecken nicht mehr, daß das Planwerk Innenstadt das Ende war; das Ende eines Glaubens an die hauptsächlich ästhetische Auffassung von Städtebau, das letzte Zucken einer Planung, der die Fassade wichtiger ist als der Mensch. Was bleibt, ist das Gefühl der verpaßten Chancen. Nicht nur in bezug auf innovative Architektur und Städtebau, auch der Umgang mit alternativen Formen der Stadtnutzung hätte, weniger preußisch reglementiert, eine wahrhaft zukunftsfähige Stadt erzeugen können. Vielleicht zieht ein neues Möglichkeitszeitalter herauf, wenn mit Hans Stimmann nächstes Jahr der letzte Reaktionär in den Ruhestand tritt ... Wir hoffen.

Florian Heilmeyer

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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