Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Großer Architekt bei billigem Rotwein

Was tut die Baukunst ohne Baustellen?

1995, als diese Artikel erschienen, waren die Großprojekte der Nachwendezeit schon in Arbeit oder schon gescheitert. Noch wurden weiter Pläne geschmiedet, beworben und angefeindet, aber man ahnte schon, daß sie am Ende nicht finanzierbar sein würden. Heute weiß man es mit Sicherheit, aber weil, wie Kollhoff richtig erkannte, die Linke „zum Entwurf nicht mehr fähig ist", werden auch keine anderen, besseren Pläne gemacht.

Planlos wie wir sind, überlassen wir die Großprojekte der Prominenz, die sie einweiht, und den DuMont-Touristen, die sie besuchen, und ziehen Bilanz. Immerhin: Die Ausstellungen der Kunst-Werke nobilitieren nicht mehr die Hauptstadtarchitektur, sondern die RAF und die „Schrumpfenden Städte". Im Lustgarten „schwebt" kein Riegel, sondern wächst das Gras. Und ein Großteil von Kollhoffs Projekten kam nur in Holzmodellen zur Ausführung; die füllen nun die Foyers der Behörden. Bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung steht das größte, alle Hauptstadtarchitekten vereinende Gesamtmodell und erinnert Hanno Kleins Nachfolger an die historische Tragweite ihres Tuns. Viel zu tun haben sie nicht. Auf den Schreibtischen liegen noch die Projekte aus den Neunzigern, keine Schecks oder Briefbomben mehr, auch kaum noch Anfragen, weder von Investoren noch von Journalisten.

Das eine Mal, als ich vor einem solchen Schreibtisch saß, sprach der Planer dahinter von Kollhoffs Alexanderplatz. Er erzählte von Konzernen, amerikanisch, sehr solvent und mit geheimen Namen, die bald schon die ersten Türme errichten würden. Er würde ihn noch erleben, den fertigen neuen Alex, seine „Vision". Er wirkte dabei weder brutal noch markant, sondern eher müde vom vielen Visionieren, wie einer, der von seinem Trip nicht runterkommt. Von all den Türmen hat man seitdem nichts mehr gehört, nur zwei der Sockelgebäude werden demnächst dort stehen, isoliert und gerade mal groß genug, um die Ensemblewirkung des alten Alex zu zerstören. Immerhin, wird auch der Planer hinter seinem Schreibtisch denken, wenn er nun bilanziert.

Die Stadtentwicklung döst, aber die Architektur liegt schon im Koma. Die Architekten finanzieren ihre Büros selber; damit ihr Geschäft läuft, reicht kein Geraune vom reichen Onkel aus Amerika. Sie brauchen echte Bauherren mit Namen und Bankbürgschaft, und das nicht einmal pro Legislaturperiode, sondern immer wieder aufs neue, mehrmals pro Jahr. Der letzte Jahreskatalog der Architektenkammer war voll von Einweihungen, Projekten von gestern also, aber angesichts der Auftragslage von heute wirkte er fast schüchtern. „Über die Vereinbarkeit von Bauen und Architektur", hieß es fragend im Titel, und dieser Ton zog sich auch durch die Beiträge.

Schön, wenn die Architekten nachdenklich werden. Gerade unter ihren Strategen, den großen, den Stararchitekten, war das bislang unüblich. Hier wurde nicht reflektiert und erklärt, sondern geglaubt und mystifiziert. Und das auch noch widersprüchlich: Einerseits pries man die Architektur als Kunstgattung mit allem drum und dran, mit Altmeistern und Avantgarde, einer Heiligenschar aus hundert Jahren, einem Zitatenschatz aus drei Jahrtausenden und einem ewigen zivilisatorischen Auftrag: dem Volk Schönheit und Fortschritt zu zeigen und somit, wie man richtig lebt. Andererseits zeigte man dem Volk aber auch das Gegenteil, nämlich, wer der Boß ist. Immer deutlicher profilierten sich die großen Architekten gegenüber gewöhnlichen Städtern als schneidiges Herrenvolk, gegenüber ihren Bauherren aber als zuvorkommende Diener, pardon: Dienstleister. Die Bahn plant lieber Büroviertel als Zugfahrten? Wir liefern die Perspektiven, mit so vielen wehenden Schlipsen und kurzen Kostümchen, wie nur draufpassen. Die demokratische Regierung will in einer Zitadelle residieren? Wir sorgen dafür, daß das Modell transparent und pluralistisch wirkt. Daimler-Benz will den längsten haben? Wir vergolden ihm noch die Spitze. Ein Dienstleister zu sein ist keine Schande, und kein Dienstleister kann sich seine Auftraggeber aussuchen, selbst dann nicht, wenn er ein Stararchitekt ist. Aber mit Kunst und Avantgarde, Schönheit und Fortschritt hat das nichts zu tun.

Nun brauchen die Investoren keine Dienstleister mehr, und an die „Götter in Schwarz" glaubt nur noch DuMont. Die kleinen Architekten machen Jobs und die großen warten. Es ist die Chance zum Müßiggang. Die großen Architekten könnten die Stadt durchwandern (Zeit haben sie ja) und mit den Einwohnern sprechen (Lächeln nicht vergessen!). Jetzt, wo kein Projektmanager mehr danebensteht und Notizen macht, wären die Leute auch offener. Und wenn die großen Architekten dann abends im kleinen, leeren Büro den etwas billigen Rotwein trinken, könnten sie Idealentwürfe fertigen. Daß nichts davon gebaut wird, sollte sie nicht stören – auch den Futurismus, die sowjetische und die französische Revolutionsarchitektur gab es nur auf dem Papier, genau wie van der Rohes Berliner Glashochhaus oder auch Speers Große Halle, die dennoch jeder Berliner Zeitungsleser kennt. Selbst Kollhoffs neo-neoklassizistischer, herrischer, mal ehrlich: schlichtweg faschistischer Alex ist uns vertraut, obwohl er nur eine „Vision" ist. Nichts gegen Visionen! Visionen sind gut! Man sollte sie nicht den Kollhoffs überlassen.

Johannes Touché

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
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