Ausgabe 9 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

scheinschlag 26/92

NACHGEFRAGT

Wie war das Wochenende?

Am Freitag bin ich zu einem Geburtstagsfest in den Wedding eingeladen. In der U-Bahn das Hausbesetzer-Punker-Pärchen. Sie haben es eilig: „Wir müssen uns beeilen. Wir verpassen sonst Aktenzeichen XY ..." Zwei Menschlein, deren Weltbild noch in Ordnung ist. Anders der Alkoholiker auf dem Schwerbehindertenplatz: „Für was ha' ick denn demonstriert? Dat ick'n freieres Leben hab'?! Ha' ick doch jar nich'!" Seine Frau hält ihn zurück. Ihr ist es peinlich, er hat recht.

Nauener Platz. Aussteigen. Zwei original Westberliner Trümmerfrauen stehen unter der Laterne und diskutieren den Lauf der Welt: „Für dieses Pack haben wir nich' aufgebaut!" läßt die eine vernehmen. Bevor klar wird, ob sie über Ossis oder Asylanten spricht, bin ich außer Hörweite. Berliner sind Freunde. Behauptet 100,6.

Bei der Party sind die Zugereisten dann wieder unter sich. Zur Feier des Tages wird dem Alkohol reichlich zugesprochen, Sexualkontakte werden ­ mehr oder weniger erfolgreich ­ angebahnt, die Übriggebliebenen verhandeln Sinn und Form. Am frühen Morgen sind alle lethargisch betrunken. Das Radio läuft. Nachrichten. Keiner hört richtig hin, aber da war doch was ... Aufregung, Hektik.

Wir reimen uns das so zusammen: Es fing an mit: „Wie der Spiegel in seiner kommenden Ausgabe berichtet ..." Und dann: Manfred Stolpe tritt zurück, als herauskommt, daß er seit 15 Jahren KGB-Agent ist. KGB-Agent. Manfred Stolpe. Der Spiegel. Kurzzeitig werden alle wieder munter.

Ich klopfe Bov Bjerg aus dem Schlaf, um ihm die Geschichte zu erzählen. Er hebt den Kopf, die Sensation überrascht ihn keineswegs: Manfred Stolpe? Das sei doch genau so ein Typ wie Ibrahim Böhme. Nach diesem prächtigen Vergleich schläft er wieder weg.

Die Vögel beginnen mit der morgendlichen Lärmfolter, und wir Übriggebliebenen begeben uns zur Ruhe. Am nächsten Morgen gegen zwölf in den Nachrichten: kein Wort! Schade eigentlich. So eine prächtige Geschichte. Und sie ist nicht wahr. Sieben Gestalten hocken in der Küche, sinnlos blubbert die Kaffeemaschine.

Enttäuscht und verkatert breche ich auf. Das Licht ist zu hell, die Geräusche zu laut, die Gesichtsmuskulatur will nicht recht an den Knochen haften und vibriert bei jedem Schritt. Die eigene Wohnung ist nicht geheizt, ich begebe mich an den stillsten Ort der Stadt: das Pornokino in der Kantstraße.

Im Kino, in der Pause, als die 15-Watt-Strahler aufgedreht werden, damit der alte Mann die Flaschen einsammeln kann ­ und die Taschentücher, da läuft vom Band „Hey, hey, Mr. American Pie". Don McLean berichtet davon, daß er und seine Freunde damals „This will be the day, that I die" gesagt hätten, und das Erwachsensein sei damit gemeint gewesen.

So hab ich auch gedacht, vor zehn Jahren. Und jetzt sitze ich hier in der sechsten Reihe und überlege, ob ich recht hatte, damals. „An sich schon", denke ich und grinse.

Samstagabend bin ich überzeugt, daß der Schlaf vor Mitternacht der gesündeste ist und handle danach. Ja, so war das Wochenende.

Hans Duschke

scheinschlag-Aufsteller

 
 
 
Ausgabe 9 - 2005 © scheinschlag 2005