Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
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Ein Lobgesang auf den diaphanes-Verlag

Was ist ein Kleinverlag? Ein Verlag mit wenig Mitarbeitern oder ein Verlag mit einem schmalen Programm? Bestimmt man die Größe eines Verlags dadurch, daß man die Zahl der Titel durch die Zahl der Mitarbeiter dividiert, so käme man in den meisten Fällen zu einem Ergebnis, dessen Interpretation folgende Bestimmung nahelegte: Ein Kleinverlag ist ein Verlag, in dem die einzelnen Mitarbeiter Großes leisten.

Diese Definition trifft gewiß auf den 1999 gegründeten Zwei-Personen-Verlag diaphanes zu, der über 65 Titel seit seiner Gründung veröffentlicht hat und mittlerweile sechs Reihen herausgibt. Obgleich diese Zahl an sich schon beeindruckend ist, würde man allerdings die Leistung von Michael Heitz (Verlagsleiter) und Sabine Schulz (Lektorin) kaum angemessen würdigen, beschränkte man sich auf derlei quantitative Informationen. Denn das eigentliche Verdienst ihres „Verlages für Philosophie, Kunst und Theorie" hat zuvorderst etwas mit Qualität zu tun – und dies in mindestens dreifacher Weise.

Zum einen hat diaphanes beachtenswerte Texte vor allem französischer, italienischer und auch russischer Autoren in deutscher Übersetzung herausgebracht, die in der hiesigen Philosophie, Kunsttheorie und Kulturwissenschaft bis dato kaum hinreichend Beachtung fanden. Jacques Rancières Politik der Bilder, Alain Badious Paulus, Jean-Luc Nancys singulär plural sein, Roberto Espositos Communitas, Michail Ryklins Verschwiegene Grenze und nicht zuletzt die Louis-Marin-Werkausgabe sind nur einige Beispiele, die hiervon Zeugnis ablegen. Darüber hinaus werden aber auch die Texte deutschsprachiger Autoren verlegt, die sich im produktiven Wechselfeld zwischen kritischer Genealogie, politischer Stellungnahme und ästhetischer Analyse bewegen. Beispiele hierfür sind etwa Joseph Vogls Kalkül und Leidenschaft oder Burkhardt Wolfs Die Sorge des Souveräns. Man kann diaphanes, ähnlich wie Merve, also durchaus die Rolle eines Impulsgebers innerhalb des deutschen Verlagswesens zusprechen. Das, was die Großverlage aus ökonomischen Gründen der deutschen Leserschaft vorenthalten, wird hier mit theoretischem Weitblick und Liebe zum Detail realisiert.

„Liebe zum Detail" ist auch das Stichwort für den zweiten Punkt, den es mit Blick auf die Qualität des diaphanes-Programms hervorzuheben gilt. Im Gegensatz zu den großen deutschen Wissenschaftsverlagen, die in den letzten Jahren Übersetzungen von teilweise besorgniserregendem Niveau vorlegten ­ man denke beispielsweise an John McDowells Geist und Welt ­ sind die bei diaphanes erschienenen Übersetzungen ausgesprochen gelungen und stilistisch überzeugend.

„Liebe zum Detail" trifft auch den dritten Punkt: Die Bücher selbst sind handwerklich ausgezeichnet gearbeitet, sowohl was Bindung, Papier und Design angeht. Und dies ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt, was jedem einleuchtet, der sich schon einmal durch die Bleiwüsten geizig gesetzter und viel zu kleiner Typen durchkämpfen mußte. Und auch derjenige, dem das Buch nach dem dritten Aufschlagen mit lautem Knacken die Seiten einzeln preisgab, wird die Vorteile einer soliden Bindung zu schätzen wissen.

Solche Qualität hat ihren Preis. Nicht nur für den Käufer, sondern auch für den Verlag. Und der Preis, den diaphanes zur Zeit bezahlt, besteht darin, daß die ökonomische Situation – euphemistisch ausgedrückt – nicht gerade glänzend ist. An alle, die der durchs Land gehende verhartzte Ruck noch nicht vollends nach unten gezogen hat, daher folgender Rat: Kauft diaphanes-Bücher! Und natürlich auch die Bücher all der anderen ähnlich ambitionierten Verlage.

Thomas Hoffmann

 
 
 
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