Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Entspannt trotz Geschrei und Gekotze

Stadt als Beute ­ ein Stadtfilm, der wirklich okay ist

Jegliche kurze Synopsis, wie man sie im Presseheft finden kann (so im Sinne von: „Lizzy, Marlon und Ohboy sind Schauspieler und leben großstädtische Gegenwart zwischen Proben, Rausch und Orientierungsverlust ... Sexappeal Waffe und Körper käuflich ... subtiler Humor ... schräger Realismus"), würde diesem Film nur schaden. Deshalb: lieber mal auf die vermeintliche Zusammenfassung verzichten. Sonst läuft hier gleich wieder alles Gefahr, sämtliche Prater-/Pollesch- und Schauspieler-Vorurteile auf einmal heraufzubeschwören. Und das wäre nicht zuletzt für diesen Film unfair. Denn so ist es ja gar nicht, nicht nur. So ist es nur zum Teil – vermutlich immer nur dann, wenn sich die Schauspieler als Schauspieler spielen bzw. spielen wollen.

Doch schon allein Pollesch als Pollesch zuzusehen ist so, wie man es nicht erwartet. Sicher, hier kommt auch Volksbühne – wie man sie liebt, wie man sie haßt bzw. wie sie einem scheißegal ist. Aber hier kommt auch wirklich ein Stadtfilm, der okay ist. Wirklich okay, überdreht nur da, wo er alle Erwartungshaltungen bis zum Überschlag erfüllen will – und das eben sehr gerne tut. Ja, das bestimmt auch, aber nicht nur. Nein, natürlich, da ist Pollesch, da ist Inga Busch, da ist eine gute alte und eine gute neue Schauspielerriege. Und inmitten des ganzen Gekotzes, Geschreis und Krisengewälzes wird plötzlich bei längerem Zusehen alles angenehm sympathisch und irgendwie entspannt. Julia Hummer spielt einen jungen Pornostar – unglaublich, muß man sehen. Und sie gibt auch Inga Busch gleich mal einen harschen Tip fürs Schauspielerleben: Schön gegen jeglichen Exhibitionismus, als Pornostar, und das mitten rein ins angestrengte „Sich-nach-außen-aber-doch-mitteilen-Wollen". Und auch René Pollesch überrascht: großer Star, großer Mann, großer Verwunderter. Man sollte sich also getrost mit all seinen Prater-Vorurteilen in diesen Film setzen und sich ansehen, wie angenehm sich alle selbst nicht so ganz ernst nehmen bzw. doch, denn „wir wollen ja alle nur leben" – herrje! Bis sie streiten, nun ja – sich auch mal wieder anbrüllen. Aber dann ist auch gut. „Es geht um Strategien, sich hier durchzuschlagen" muß Pollesch irgendwann mal gesagt haben.

Es ist kein Klischee, daß hier ein Klischee ist. So ist nun mal das Theater, der Film, der Porno und das Leben. Wer ist wo, wann, wie die Beute und wer auf Beutezug? Alle immer und permanent im simplen konfusen Stadtleben? Wer hält sich hier wie, wo, weshalb über Wasser? Und wer will das noch? Wer ist leere Hülle und doch auch gefülltes Gefäß? Gibt es das Sony-Center eigentlich wirklich? Oder bildet sich das jeder nur ein? Und wieso macht eigentlich keiner im Sommer ständig eine Brunnenparty dort? Die ferngesteuerten Fontänen sind doch wirklich amüsant! Und wieso erfahre ich wieder als letzte, daß es einen, wenn nicht sogar den deutschen Vincent Gallo gibt: Danke David Scheller! So macht die gefilmte Straße Laune. Und ansonsten geht es natürlich um „Standortpolitik und Stadtentwicklungsthesen". Wie immer. Wir alle sind die Spezialisten! Zumindest für 15 Minuten, einmal im Leben. Oder im Kino.

Tina Kaiser

Der Film „Stadt als Beute" von Irene von Alberti, Miriam Dehne und Esther Gronenborn kommt am 23. Juni in die Kinos.

 
 
 
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