Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Berlin 1905

28. April bis 1. Juni

Der absoluten Objektivität des Gerichtsvollziehers können so ziemlich alle Dinge zum Opfer fallen, die überhaupt einen Namen tragen und einen Wert repräsentieren. Der Versteigerungsgegenstand aber, der heute morgen eine Anzahl von Interessenten in das Amtslokal des Herrn Gerichtsvollziehers Schieritz in der Kulmstraße 14 lockte, war ein so grotesker, daß Ben Akibas uralter Weisheitsspruch diesmal doch auf erheblichen Widerspruch stoßen muß. Ein ausgewachsener indischer Elefant, der augenblicklich in der Blüte seiner 30 Jahre steht, gelangte gegen gleich bare Zahlung an den Meistbietenden zum Verkauf. Um die Sache kurz zu machen – das Tier brachte ganze 185 M., und Ersteherin war die Tierärztliche Hochschule. Außer verschiedenen anderen Vertretern der zoologischen Wissenschaft waren der Direktor unseres Zoologischen Gartens und der bekannte Afrikaforscher C. G. Schillings anwesend, welch letzterer übrigens auch auf den Dickhäuter mitbot. Das erste Angebot betrug nur 50 M., und es waren wirklich Augenblicke höchster Spannung, als in kleinen Beträgen die oben genannte Verkaufssumme schließlich erreicht wurde.

Der große graue Kerl, den man natürlich nicht mit in das Amtslokal hatte bringen können, stand inzwischen im Zoologischen Garten, wo er seines Schicksals harrte, denn der Käufer hatte mit dem Erlegen des Kaufpreises auch zugleich die Verpflichtung übernommen, den Elefanten binnen drei Tagen nach erfolgtem Zuschlag aus dem Zoologischen Garten zu entfernen. Der Elefant, der von der Direktion gekauft werden sollte, ist nämlich krank. Natürlich verweigerte man unter solchen Umständen die Abnahme, der Verkäufer wollte ihn auch nicht zurücknehmen, und so kam er, dessen Wiege an den Ufern des Ganges stand, schmählich unter den Hammer. Sein Riesenkadaver soll Studienzwecken dienen, und so soll er denn nach seinem Tode noch den Zielen der Wissenschaft nutzbar gemacht werden. Die wahre Ursache seines Leidens wird dann die Sektion ergeben.

Das Elefantengeschlecht blickt auf eine ruhmreiche kriegerische Geschichte zurück. Im Altertum verwandte man die gewaltigen Tiere zu Kriegszwecken; Pyrrhus und Hannibal erzielten dieselbe Wirkung mit ihnen, wie wir heute mit den Maschinengewehren. Die Kriegssitten haben sich eben gemildert, man verwendet außer den Pferden nur die sanfte Taube, die Meldungen überbringt, und den Kriegshund, der abgerichtet ist, im Notfalle den nationalen Erbfeind in die Waden zu beißen. Für den Abkömmling eines so kriegerischen Geschlechts ist es natürlich ruhmlos, auf dem Seziertisch zu enden, und heute morgen waren die Gelehrten sich keineswegs darüber einig, auf welche Weise man den armen Delinquenten vom Leben zum Tode befördern soll.

Vom Strangulieren sah man ab; man hat in dieser Beziehung schon sehr schlechte Erfahrungen gemacht; das Riesentier wurde furchtbar gequält, ohne daß der gewünschte Erfolg erzielt wurde. Auch einer subkutanen Injektion, deren technische Möglichkeit sehr stark bezweifelt wurde, war man nicht sehr geneigt, weil eigentlich nur die Rüsselspitze der geeignete Ort zur Einspritzung eines schnell wirkenden Giftes sei, und das hat immer seine Fährnisse. Eine Beibringung von Blausäure ist insofern nicht unbedenklich, als ein solches Quantum erforderlich ist, daß ein Mensch schon durch die Einatmung schwer geschädigt werden kann. Für den Soldatentod durch Erschießen plädierte ganz besonders C. G. Schillings, der sich infolge seiner Treffsicherheit auch dazu erbot, die Exekution auszuführen. Die Herren von der reinen Wissenschaft aber waren gegen diese Prozedur, weil durch den oder die Schüsse für die Wissenschaft wichtige Organe zerstört werden könnten. Er aber, um den sich in der frühen Morgenstunde die ganze Unterhaltung drehte, konnte ruhig von sich sagen: „Qui vivra verra", und wenn ihm die großen Ohren nicht geklungen haben, dann gibt es überhaupt keine Vorbedeutungen mehr.

Die Ausstellung der Courschleppe der künftigen Kronprinzessin im Kunstgewerbemuseum war ganz außerordentlich besucht. Gestern in den Abendstunden gab es eine wahre Völkerwanderung nach der Prinz Albrechtstraße. Tausende von Personen, zumeist junge Damen, strömten herbei, um das schöne Kunstwerk zu besichtigen. Es war nicht möglich, die immer größer werdenden Menschenschaaren auf einmal in das Museum hineinzulassen; Polizeibeamte hielten den Verkehr am Eingangsportal aufrecht und wiesen die sich immer von neuem Vordrängenden zurück. Abends gegen 9 Uhr war das Gedränge vor dem Museum so gewaltig, daß einige ältere Damen, die mitten in das Gewühl hineingeraten waren, ohnmächtig wurden. Für den morgigen Sonntag ist noch ein stärkerer Andrang zu erwarten.

Roland Abbiate

Ein ausgewachsener indischer Elefant, der augenblicklich in der Blüte seiner
30 Jahre steht, gelangte gegen gleich bare Zahlung an den Meistbietenden zum
Verkauf.

Bild: Archiv

 
 
 
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