Ausgabe 4 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Kunst ist Lebensmittel

Die Brotfabrik feiert Geburtstag

Es ist schon symbolträchtig, wenn das Motto „Kunst ist Lebensmittel" und der Anspruch, ein vielfältiges Kulturangebot jenseits der etablierten Szenen zu schaffen, in einem Haus verwirklicht wird, das für die Lebensmittelherstellung erbaut wurde und etwas abseits der In-Stadtteile Berlins liegt. Diese Ideen charakterisieren die Arbeit des Glashaus – Verein der Nutzer der Brotfabrik e.V. Die Brotfabrik in der Prenzlauer Promenade 3 am Caligariplatz, mittlerweile eine der bekanntesten Kulturadressen Berlins, feiert am 15. Mai ihren 15. Geburtstag – ein erfreulicher Anlaß, die Geschichte des Hauses Revue passieren zu lassen.

Unter einem Dach vereint das Haus eine abwechslungsreiche Mischung aus Kino, Theater, Galerie und Café. Hier kann man mit Filmregisseuren diskutieren, freie Theatergruppen zeigen moderne und klassische Stücke, und die Galerie ist berühmt für die Präsentation mittel- und osteuropäischer Fotografie.

Die Nutzung des 1914 als Brotfabrik Michael Kohler erbauten Gebäudes für kulturelle Zwecke begann bereits 1986. Der von Studenten und Dozenten der Kunsthochschule Weißensee eingerichtete Jugendklub „An der Weißenseer Spitze" erfreute sich mit seinem Angebot von Konzerten, Diskotheken, Ausstellungen, Lesungen, Diskussionen und Theateraufführungen großer, aber leider nur kurzer Beliebtheit. Denn bereits im Mai 1986 wurde der Jugendklub aus politischen Gründen geschlossen. Dann übernahm der Bezirk Weißensee das Haus, und ein Jahr später war es wieder ein Treffpunkt für junge Kunstinteressierte und Künstler. 1989 wurde von den Mitarbeitern und Freunden des Hauses unter dem Namen Brotfabrik dann das erste Konzept für ein basisdemokratisches, soziokulturelles Zentrum entwickelt.

Mit der Öffnung der Mauer fanden auch Künstler aus dem Westen in der Brotfabrik ihr Publikum. So las etwa Max Goldt aus seinen Werken, und Peter Greenaway eröffnete eine Ausstellung und Filmreihe mit seinen Arbeiten. 1991 wurde in den ehemaligen Galerieräumen das erste Ostberliner Programmkino mit immerhin 55 Plätzen etabliert. Es entwickelte sich rasch zu einem wichtigen Spielort in Berlin, so daß 1997 sogar ein zweiter Kinosaal eröffnet wurde, der jedoch schon zwei Jahre später wegen des Besucherrückgangs wieder geschlossen wurde.

Im Brotfabrik-Kino finden Uraufführungen von Filmen statt, die durch ihre radikale Bildsprache oder ihre tabulosen Inhalte an anderen Orten eher mißtrauisch rezipiert werden ­ zum Beispiel die Dokumentation Beruf Neonazi von Winfried Bonengel und die Deutschland-Premiere von Christoph Schlingensiefs Das deutsche Kettensägenmassaker.

Ebenfalls 1991 wurden die Galerie in ihren neuen Räumen und die bekannte Fotogalerie eröffnet. Zusammen mit dem Kulturamt wurde 1996 das Angebot mit einem theaterpädagogischen Studio erweitert, das jedoch schon zwei Jahre später aus finanziellen Gründen wieder geschlossen werden mußte. Jetzt beherbergen die Räume die Jugendmedienetage ­ eine Kooperation mit der ProKultur gGmbH und dem Kulturamt Weißensee ­ mit den Redaktionen zweier Schülerzeitungen, einem Fotolabor und einem Internetcafé.

Die Brotfabrik-Bühne wurde 1997 in einer angemieteten Fabriketage eröffnet. Später folgte der Umzug in das Hauptgebäude. Mit Projekten wie „5 Regisseure/10 Stücke/1 Abend" fördert man den Wettbewerb unterschiedlicher künstlerischer Konzepte. Daneben haben sich Stücke wie Dinner for One oder der 90. Geburtstag vom Theater Puta Madre als fester Bestandteil der Brotfabrik-Bühne etabliert, aber seit einigen Jahren bietet die Bühne auch jungen Gruppen eine kostenfreie Spielstätte für erste Versuche mit professioneller Unterstützung.

Die Programmgestaltung zeichnet sich in allen Bereichen durch die Förderung junger Künstler und Talente aus. So wurde auch gleich die Neugestaltung des Caligariplatzes als Wettbewerb unter Studierenden der UdK, der Kunsthochschule Weißensee und der TU Dresden ausgeschrieben.

Weiterhin werden zahlreiche Projekte mit Kindern und Jugendlichen realisiert. Das 2003 in Zusammenarbeit mit Berliner Schulen gestartete Projekt mit dem zugegebenerweise nicht gerade eingängigen Titel „Alles erlaubt? Gesprächsreihe zur Rolle des Films zur Manipulation von Macht im Vergleich Drittes Reich und heute" erhielt 2004 den Ehrenpreis der Bundesinitiative Aktiv für Demokratie und Toleranz.

Neben einem ausgezeichneten Programm ­ zum zehnjährigen Bestehen 2000 wurde dem Verein der Freiherr-vom-Stein-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung in Hamburg verliehen ­ bietet die Brotfabrik auch die hauseigene Filmsammlung „ex.oriente.lux ­ Experimentalfilmarchiv Ost 1976-1989" an. Darin sind unabhängig produzierte Künstlerfilme aus der Spätphase der DDR gesammelt und für Forschung und Publizistik aufgearbeitet.

Daß die Brotfabrik und ihre Macher ­ Jörg Fügmann Gesamtkoordination, Iris Bauer Marketing, Bert Bredemeyer Brotfabrik-Bühne, Petra Schröck Brotfabrik-Galerie, Claus Löser Brotfabrik-Kino ­ ihrem Anspruch treu geblieben sind, zeigt ein Blick auf das Jubiläumsprogramm. Am 2. Mai wird die in Kooperation mit Pankower Jugendlichen und dem Künstler Sergej Dott entstandene Installation „Kriegskarussell", die das Kriegsende vor 60 Jahren thematisiert, eingeweiht. Die Brotfabrik-Galerie zeigt vom 5. Mai bis zum 12. Juni einen Querschnitt durch die Kulturarbeit des Hauses von der Gründung bis heute. Fotografien, Plakate und andere Exponate lassen Höhepunkte in Kino, Theater und Galerie Revue passieren. Und das Brotfabrik-Kino präsentiert vom 1. bis zum 31. Mai einen Überblick über sein Repertoire.

Sven Großmann

Das Programm der Brotfabrik findet sich unter www.brotfabrik-berlin.de.

 
 
 
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