Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ornament und Schweinesystem

Kritik am Bau (VIII & Schluß): Altbausanierung

Foto: Knut Hildebrandt

Die Architekten befürchten schon lange, daß Altbausanierung die Bauaufgabe der Zukunft sein könnte. Deutschland schrumpft, der Altbau ist in Mode – wozu etwas Neues bauen? Im Gründerzeithaus ist für alle Platz. Wo früher Dame, Herr und Hausmädchen oder drei frisch eingewanderte Arbeiterfamilien wohnten, kann sich heute ein Akademikerpaar seine Atelierwohnung einrichten, eine Großfamilie, eine WG hausen oder wieder ein Dutzend Arbeiter, die jetzt nicht mehr aus Westpreußen, sondern eher aus dem Kosovo stammen und als Illegale schon die Räume trockenwohnen, während die Sanierung noch im Gang ist.

Die Vielseitigkeit der Grundrisse mit ihren Korridoren und etwa gleich großen Zimmern, die schwere Konstruktion, die Veränderungen weder erlaubt noch benötigt, all das ist praktisch, aber für die Architekten ärgerlich. Sie haben nichts zu tun. Selbst eine Wohnküche finden viele Nutzer schon zu modern, sie wollen Zwischenwände und dieselben kleinen Arbeitsküchen und Eßzimmerchen, die man gerade wegsaniert hat. Kein Wunder, daß die Architekten ihren Gestaltungswillen ganz auf die Straßenfront richten.

Ein Beispiel: Danziger/Ecke Schliemannstraße. Was für ein Trash! Bei der Sanierung wurde die Fassade zerschnitten, und das auch noch diagonal. Links unten, zur Danziger Straße hin, hat man das historizistische Original wiederhergestellt, mit viel Stuck und cremigen Farben; rechts oben, die Schliemannstraße hinauf, ist sie – bis auf einzelne Fenster, die von bunten, dem Rokoko nachempfundenen Fresken umschnörkelt werden – flammend rot, aber schmucklos. Selbst die Balkone sind teils originalgetreu restauriert, teils in Neunziger-Jahre-Manier mit Lochblech verkleidet. Nur das Dachgeschoß mit seinen schweren, halbkreisförmigen Gauben ist komplett neu und sieht auch so aus.

Diese groteske Collage sollte in jedem Reiseführer stehen. Während normale Sanierungen dem guten Geschmack entgegenkommen und von Kompromissen und Abstufungen wimmeln, werden hier die Prinzipien der Altbausanierung vorgeführt: Erstens die denkmalschutzgerechte Restaurierung, die den Urzustand zum Ziel hat. Zweitens die modische Überformung und Ergänzung, die sich je nach Marketingkonzept aus dem Formenschatz mal der Gründerzeit, mal der Moderne bedient. Und drittens die unbefangenen, „freien" Formen und Farbenspiele, mit denen Selbsthilfeprojekte gerne ihre Individualität betonen. An der Schliemannstraße sind es Rokokofenster; woanders wuchernde Balkonbrüstungen, irgendwas zwischen Jugendstil und punkiger Schweißerkunst, oder wandhohe Fresken in warmbunten Tönen und weichen Formen. Auch die Schlachtengemälde an manchen alten Besetzerhäusern gehören im Grunde dazu. Wenn die Hausgemeinschaft beginnt, die Schrift auszubessern, wird selbst ein „Nieder mit dem Schweinesystem!" zum Ornament.

Ob nun der Denkmalschutz es vorschreibt, der Markt es fordert oder die Hausgemeinschaft es sich aussucht – ein bißchen Schminke gehört dazu. Die brutale Fassadenbereinigung der Moderne hat jede Form von Schlichtheit in Verruf gebracht, und was noch schlimmer ist: Seit der DDR sind alle Altersspuren verpönt. Die schmucklose Fläche gilt als traurig, roher Putz als Zeichen des Verfalls und jedes Grau als kalt, ja gar nicht erst als Farbe. Egal, was der Architekt zu sagen hat, er muß es mit Zierat und bunter Tünche tun.

Das war nicht immer so. Ende des 19. Jahrhunderts stritten sich die Theoretiker, wie mit Altbauten umzugehen sei. Gerade hatten regierungsamtliche Neuromantiker die meisten architektonischen Perlen des Landes „stilbereinigt". Sie hatten die Ein- und Umbauten herausgerissen und schrubbten sich ein idealisiertes Original zurecht, das freilich eher romantischen Klischees als belegbarer historischer Wahrheit folgte und immer seltsam steril blieb. Damit wollten die Neuerer Schluß machen. Der Zustand direkt nach der Errichtung sei nur eine von vielen Episoden, sagten sie; erst mit seinen Abnutzungen, Ausbauten und Zerstörungen erzähle der Bau die ganze Geschichte, und auf die komme es an.

Manche komplexen Projekte, wie etwa die Museumsinsel, verfolgen immer noch diese Ideen. Bei der massenhaften Wohnhaussanierung in den Gründerzeitvierteln hingegen haben sich wieder naivere Vorstellungen durchgesetzt. „Historisch" ist vor hundert Jahren, befinden fachkundig die Denkmalschützer, die Bauherren ergänzen: Hauptsache, es glänzt im Verkaufsprospekt. Die Architekten mühen sich, außer vereinfachten historizistischen Ornamenten auch mal zeitgenössische Baukunst unterzubringen, und beladen die Fassaden mit gläsernen Vordächern und besagten Lochblech-Balkonen. Die Ex-Besetzer bedecken die Wände mit Zitaten ihrer wilden Vergangenheit oder mit esoterischem Kitsch. Und allen zusammen ist es gelungen, ganze Viertel von den Verunreinigungen der Geschichte zu befreien. Sie dulden weder Kriegs- noch Gebrauchsspuren, weder die billigen Kippfenster, die irgendein Mieter eingesetzt hat, noch Satellitenschüsseln oder wuchernde Rankpflanzen. Ist das Putzsucht oder Nostalgie?

Gleich neben dem Eckhaus, eine Hausnummer die Danziger hinauf, hat eine Fassade neue Balkone bekommen. Die Brüstungen sind gemauert und dezent blaßoliv. Das Erdgeschoß haben die Ladenbesitzer weiß gestrichen; der Rest der Fassade blieb DDR-farben, ungestrichener, sandiger Putz eben, aber weitgehend intakt. Das Haus ist schweigsam, nicht schön und nicht häßlich, dafür billig. Und es ist alt. Die Gebäude der Nachbarschaft werden erst in vielen Jahren wieder so aussehen.

Johannes Touché

 
 
 
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