Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Umständliche Lohnerhöhungen

Gewerkschaftsaktionen auf der Berlinale

Während der Berlinale auf dem Potsdamer Platz eine Demonstration zu suchen, gestaltet sich schwierig: Weder die herumstehenden Polizeiwagen noch die allerorts präsenten Kamerateams können den Weg weisen. Doch zu spotten, eine Demo während der Filmfestspiele würde untergehen wie ein Protestzug auf dem Kurfürstendamm am dritten Advent, wäre unpassend: Der kleine von ver.di organisierte „Festivalspaziergang" am 15. Februar fand jedenfalls trotz seiner nur 30 Teilnehmer internationale Beachtung. Vermutlich nur aus Langeweile, vielleicht aber auch, weil sie selbst den Anblick von S`´koda-VIP-Shuttles, wartenden Fans und hastig Mobiltelefonierenden überdrüssig waren, filmten und fotografierten die ohnehin anwesenden Journalisten eifrig die Gewerkschaftsfahnen, Trommler und Flugblattverteiler. Ein englisch sprechender Reporter nutzte sogleich die Gelegenheit, ein ver.di-Mitglied nach seiner Auffassung zu den Hartz-Gesetzen zu interviewen. Ein Filmteam brach die Berichterstattung allerdings recht plötzlich ab, rannte über den Platz und postierte sich eiligst vor dem Eingang des Ritz-Carlton-Hotels. Man hatte wohl aus den Augenwinkeln einen Filmstar entdeckt, dessen müßiges Schlendern in die Lobby unbedingt aufgezeichnet werden mußte.

Aber nicht nur aufgrund des legitimen Wunsches nach Aufmerksamkeit hatte sich ver.di diesen Zeitpunkt, diesen Ort für die Aktion ausgesucht. Der Auftritt hier lag auch deshalb nahe, weil die Gewerkschafter auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Filmbranche aufmerksam machen wollten. Insbesondere die Angestellten der CinemaxX-Kette ­ ein Austragungsort des Festivals ­ mußten im letzten Jahr deutliche Einschnitte hinnehmen, nachdem der Konzern 2003 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und die bisher geltenden Tarifverträge gekündigt hatte. Während sich die Manager der mittlerweile wieder florierenden Kinokette horrende Erfolgsprämien auszahlen, verdienen Neuangestellte mit ihren ohnehin nur auf ein halbes Jahr befristeten Verträgen im CinemaxX gerade mal 6,50 Euro (vorher 7,40 Euro) die Stunde ­ weniger als eine Kinokarte kostet. Außerdem wurden sechs Urlaubstage und das Weihnachtsgeld gestrichen, die Mindestschichtdauer um eine Stunde auf drei Stunden gesenkt und die Arbeitsanforderungen soweit flexibilisiert, daß die Angestellten jederzeit zwischen Kasse, Einlaß und Service hin- und hergeschickt werden können.

Erwartungsgemäß ist die Forderung ver.dis von 25 Cent Lohnerhöhung nicht gerade revolutionär. Der Eindruck, man hätte es mit biederen, arbeiterfernen Funktionären zu tun, verstärkte sich noch dadurch, daß die Versammlung im Anschluß an die Demonstration im Konferenzsaal des edlen Marriot-Hotels unter protzigem Kronleuchter und auf flauschigem Teppich stattfand und sogar ein hoteleigener Lakai die Garderobe der „Gäste" abnahm. Was aber als Informations- und Werbeveranstaltung von ver.di begann ­ ihr Logo wurde mit einem Beamer auf eine Leinwand hinterm Rednerpult projiziert ­ entwickelte sich rasch zu einer offensichtlich längst überfälligen Zusammenkunft der bisher unorganisierten Beschäftigten in den unterschiedlichen Bereichen der Filmproduktion. Kameramänner hörten vom Lohndumping in den Synchron-Studios, Regieassistenten wurden über den Niedriglohn der Ticketverkäufer aufgeklärt, und Filmvorführer informierten sich über die katastrophalen Auswirkungen von Hartz III für Schauspieler und andere am Filmset Arbeitende. Diese müssen mittlerweile 360 Beschäftigungstage in zwei statt vormals drei Jahren vorweisen, um nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu verlieren, was bei durchschnittlich vier, ungefähr einmonatigen Filmprojekten pro Jahr kaum zu schaffen ist. Diesen Mißstand versucht ver.di mit einer Ausnahmeregelung zu beheben, in der wenigstens die Drehtage mit über 12 Stunden als zwei Beschäftigungstage gewertet werden. Im Synchronbereich begnügt ver.di sich zur Zeit damit, Vergütungsempfehlungen auszugeben.

Die weitgehendsten Aktionen führte ver.di zusammen mit den Beschäftigten der CinemaxX-Kette durch. 48 Mal wurde im letzten Jahr an den verschiedenen Standorten in Deutschland gestreikt, berichtet Dietrich Peters, der Medienzuständige im ver.di-Landesbezirk Berlin-Brandenburg. Und als die Konzernleitung daraufhin 50 Prozent Lohnerhöhung für die Streikbrecher versprach, änderte man kurzerhand die Streiktaktik, schickte immer mal wieder zwei Angestellte mit Streikplakaten auf die Straße, während die übrigen den Zuschlag einstreichen durften. Als Lohnerhöhungsmodell allerdings auf Dauer ein wenig umständlich, wie er grinsend hinzufügte.

Katrin Scharnweber

 
 
 
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