Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Media Spree ­ zu nah am Wasser gebaut?

Von Schildkröten und anderen Filetstückchen

Am Ostbahnhof plant die Standortvermarktungsfirma „Media Spree", eine sogenannte Info-Box – in Form einer Schildkröte. Darin sollen die Immobilienplanungen rechts und links der Spree angepriesen werden. Die „Spree-Box" werde eine ähnliche Anziehungskraft entwickeln wie dazumal die „Info-Box" am Potsdamer Platz, läßt man schon mal öffentlich verkünden. So vermessen diese Hoffnungen der Marketingleute sind, so treffend erscheint doch die Idee, dem Werbelädchen eine Schildkrötenform zu geben. Denn gemessen an den euphorischen Immobilienboom-Vorstellungen der frühen neunziger Jahre könnte nichts die zur Zeit träge dahinkriechende Entwicklung des Gebiets zwischen Friedrichshain und Kreuzberg besser versinnbildlichen als jenes sich langsam durch Salatblätter kauende Tierchen.

„Moment mal!" möchte da vielleicht jemand einwenden. Schließlich hat der Spreeraum östlich des Alex in letzter Zeit recht oft von sich hören lassen. Da waren die neue ver.di-Bundeszentrale an der Schillingbrücke, das Energieforum am Ostbahnhof, Universal Music an der Oberbaumbrücke und MTV am Osthafen. Es gab halbjährliche Ankündigungen, mit dem Bau der großen Sport- und Veranstaltungsarena zwischen Ostbahnhof und Warschauer Straße würde jetzt aber wirklich bald mal begonnen, und vorsorglich wurde das Gelände des Ostgüterbahnhofs schon dem Erdboden gleichgemacht. Es entstanden auch eine ganze Menge „angesagter" neuer Spreeufer-„Locations" wie z.B. der Oststrand. Obendrein setzte der Wandel eines ganzen Straßenzugs ein, der Schlesischen Straße vom verlotterten Mauerblümchen zum Eldorado der trendigen Ladenflächen-Umnutzung. Prenzlauer Berg läßt leise grüßen, und die Oberbaumbrücke gibt dazu ein attraktives Hintergrundbild ab.

Filet mit spröder Beilage

„Media Spree", das ist zunächst eine seit 2001 bestehende Marketingfirma im Auftrag mehrerer Grundstückseigentümer und Immobilienentwickler. Das Unternehmen versucht, Investoren für eini-ge Grundstücke zwischen Michael- und Oberbaumbrücke zu gewinnen ­ Grundstücke, für die Anfang der neunziger Jahre mal sehr viel Geld bezahlt worden ist. Das Gebiet, in dem die Grundstücke liegen, soll durch Werbemaßnahmen in einem besseren Licht erscheinen. Dazu gehört auch, die Einzelprojekte als ein zusammenhängendes Großprojekt zu präsentieren und die Bezeichnung „Media Spree" als Name für das Gebiet durchzusetzen.

Die Veränderungen der letzten Jahre rund um die Oberbaumbrücke haben den Eindruck erweckt, nun sei „Media Spree" ganz groß im Kommen. Doch weit gefehlt: Die stark umworbene Medienbranche greift zwar gerne bei originellen alten Gewerbebauten zu, hat aber gar kein Interesse an Neubauprojekten. Und so bleiben die meisten Pläne der Immobilienentwickler in den Schubladen, manche wurden auch schon wieder aufgegeben und eingestampft. Die Grundstücke liegen brach oder werden genutzt wie so viele ehemalige Industrieareale: als Lagerflächen, für den Gebrauchtwagenhandel oder als Bauwagenplätze. Diejenigen Entwickler, die Anfang der Neunziger zu schnell gebaut haben, bleiben auf ihren Büroflächen sitzen. Manchen ist es dabei nicht zu peinlich, dafür die noch nicht umstruktu-rierte Nachbarschaft verantwortlich zu machen. So zerrte eine Immobilienfirma den Wagenplatz Schwarzer Kanal vor Gericht, weil er ihrer Meinung nach eine „Verslumung" der Nachbarschaft und eine Wertminderung des leerstehenden Bürogebäudes bewirke.

In den letzten Jahren hatte die Marketinggesellschaft Media Spree versucht, das Gebiet von seinem spröden Brachflächen-Image zu befreien und durch Werbemaßnahmen für die Ansiedlung von Unternehmen interessanter zu machen. Es wurde ganz dreist zum „zentralen Berliner Medienviertel" erklärt, man pries „Filetstücke in toller Wasserlage" an. Dann kam zuerst der Börsencrash der sogenannten New Economy und anschließend, im Schlepptau des 11. September, das Kriseln der Medienbranche. Die realisierten Neubauten blieben einzelne Objekte in der Weite des Gebiets. So ist es kein Wunder, daß eine gigantische Sporthalle zum Flaggschiff eines „Medienviertels" erklärt wurde. Denn sonst hätte es nicht viel Neues zu melden gegeben.

Staatlich bezahlte Werbewelten

Nachdem die Senatsverwaltung für Wirtschaft die Unternehmen Universal Music und MTV aus anderen Städten an die Spree abgeworben hatte, macht man bei Media Spree nun einen neuen Anlauf: Er nennt sich „Regionalmanagement" und wird größtenteils aus den Wirtschaftsfördertöpfen von Bund und Land bezahlt. 200000 Euro gibt es pro Jahr, und die Immobilienfirmen müssen 40000 Euro dazulegen. Standortvermarktung und das Anwerben von Investoren stehen nach wie vor im Mittelpunkt der Arbeit. Die Immobilienentwickler müssen es sich theoretisch zwar gefallen lassen, daß man ihnen beim Ausgeben der öffentlichen Gelder hineinredet. Doch praktisch sind von Seiten des zuständigen Bezirks kaum Widerstände zu erwarten. Denn über alle Parteien hinweg scheint man sich einig zu sein, daß es zunächst mal „schnell voran" gehen müsse. Wohin die Entwicklung führt, ist kein Thema, da jeder erdenkliche Neubau in Berlin als Arbeitsplatzmaschine gefeiert wird. „Die Bezirke rollen überall den roten Teppich aus", sagt der im Gebiet tätige Immobilienentwickler Jürgen Kilian.

Doch wie wird man den armseligen Brachflächeneindruck eines Gebiets los, das als „zentrales Medienviertel" verkauft werden soll? Es gibt fieberhafte Vergleiche mit dem Potsdamer Platz, in dessen Erfolgsgeschichte man sich sonnen will. Die zahlreichen in den Schubladen wartenden Einzelprojekte als großen zusammenhängenden Plan zu präsentieren, soll beeindrucken und überzeugen. Das Winken mit der Medienbranche steht für Innovation und Kreativität. „Media Spree" gibt dem Kind einen Namen, der bestimmte Bilder hervorrufen soll: Funkelnde Bürogebäude erfolgreicher Medienfirmen reihen sich, durchsetzt von spektakulären „Signature Buildings", gleich einer Perlenschnur entlang des Flusses auf. Die dazugehörigen Jung-Unternehmer spiegeln sich von ihren Luxus-Appartments herab im glitzernden Hauptstadtgewässer. Mit einem schicken Wassertaxi läßt man sich zu einem spannenden „Kultur-Event" oder zum schwimmenden Restaurant chauffieren. Später trifft man am extravaganten Badeschiff noch ein paar aufregende Leute, um gemeinsam in einen dieser angesagten Zwischennutzungs-Clubs zu gehen. Ein Leben voller Stil und Flair also. Wer will das nicht?

Tücken der Entwicklung

Franz Schulz, Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, sieht jedenfalls keine Probleme: „Niemand würde sagen, keine Aufwertung zu wollen." Natürlich weiß auch Schulz, daß längst nicht alle Betroffenen mit der geplanten Umstrukturierung einverstanden sind. Aber das muß man ja nicht in aller Öffentlichkeit sa-gen. Vielleicht sollte man zu Risiken und Nebenwirkungen nicht unbedingt den nächsten Baustadtrat fragen. Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer geht mit abweichenden Meinungen schon subtiler um, wenn sie sagt, daß „die Planungen nicht nur Freude, sondern auch Ängste hervorrufen" würden. Interessen, die der angestrebten Aufwertung entgegenstehen, werden so als irrational hingestellt, als Angst vor jeglicher Veränderung. Der allgegenwärtige Mythos, daß niemand ernsthaft etwas gegen die geplante Entwicklung haben könne, wäre gerettet.

Es soll ja noch Leute geben, die ihre Eckkneipe nicht von einer Cocktailbar ersetzt sehen wollen. Neben einer solchen kulturellen Inbesitznahme des Stadtraums durch die jung-dynamischen Kreativlinge dürfte es auch noch handfestere Auswirkungen der Umstrukturierung geben. Die meisten Beschäftigten sich ansiedelnder Unternehmen werden nicht unbedingt in Neubauten an der Spree wohnen wollen, sondern in den Kiezen Friedrichshains und Kreuzbergs, wo das wirkliche Leben spielt und der Altbau lockt. So wird die schleichende Gentrifizierung und Verdrängung in diesen Stadtteilen weiter vorangetrieben werden, wo billige Wohnungen schon längst Mangelware sind. Am meisten werden diejenigen betroffen sein, die auf niedrige Mieten angewiesen sind, wie z.B. Erwerbslose, Alleinerziehende und viele der Migranten im Wrangelkiez.

Spree adé

Direkt betroffen sind auch die Bewohnerinnen des Wagenplatzes Schwarzer Kanal. Das Projekt am östlichen Rand des Bezirks Mitte gibt es nun schon seit 15 Jahren, es ist älter als alle Neubauplanungen im Gebiet. Sie mußten bereits vor zweieinhalb Jahren ihren alten Platz an der Schillingbrücke verlassen, weil dort vom Baukonzern Hochtief die neue Bundeszentrale der Gewerkschaft ver.di errichtet wurde. Man einigte sich auf den Umzug auf ein Ersatzgrundstück des Konzerns, nur wenige hundert Meter flußabwärts, an der Michaelbrücke. Seitdem kommen Wagenplatzbewohner und Grundstücksbesitzer ganz gut miteinander aus. Das liegt auch daran, daß es in absehbarer Zeit keine Investoren für das Grundstück geben wird.

Der Berliner Senat provoziert jetzt aber eine Vertreibung der Bewohner. Dem Baukonzern wird eine Strafe von 8 Mio. Euro angedroht, wenn er den Wagenplatz weiter als Mieter dulde. Denn dies sei als ungenügende Suche nach Investoren zu werten. Man hatte schließlich vor Jahren vertraglich eine baldige Bebauung vereinbart. Franz Schulz hat für alle Fälle schon mal verlauten lassen, sein Bezirk werde sich nicht um einen Ersatzplatz für die Wagenbewohner bemühen, da es bereits einige Wagenplätze im Bezirk gebe. Sollen sich doch andere darum kümmern. Nun kann das neue Regionalmanagement Media Spree ja mal vorführen, ob es nur Erfüllungsgehilfe der Einzelinteressen seiner Mitgliedsfirmen ist oder nicht. Es gibt ja so viele freie Grundstücke der beteiligten Immobilienunternehmen, da müßte sich doch etwas arrangieren lassen. Hoffentlich können die Marketingleute mit einer solchen Aufgabe überhaupt umgehen. Nicht, daß sie am Ende die Schildkröte spielen, die auf den Rücken gefallen ist ...

Tobias Höpner

 
 
 
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