Ausgabe 2 - 2005 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

 

Ditte und Menschenkind

Reizüberflutung (und immer pitzt die Nase)

Ditte, deren Nase immer pitzt, ja, diese bekennende Optimistin, hat es erwischt – sie nimmt übel. Groll auf die Gesellschaft. Heute Morgen war ein Flyer in Dittes Briefkasten. Nichts Besonderes auf den ersten Blick. „Veränderung" war er überschrieben. Nun ja, so etwas kommt öfter vor zwischen ihren unerwünschten Postwurfsendungen. Als aber der Dackel von nebenan auf sie zuging und nicht wie sonst mit dem Blick streichle mich seinen Kopf hob, sondern knallhart sein Bein, und sie gerade noch, die Lektüre unterbrechend, Schlimmeres verhindern konnte, hatte sie gelesen: „Sie als ALG II-Empfänger sollten am um bei uns vorsprechen. Wir suchen dann die paßgerechte Wohnung für Sie gemeinsam aus. Falls Sie Ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkommen, weisen wir Ihnen eine angemessene Wohnung zu (50 Quadratmeter). Lassen Sie es bitte nicht zur Zwangsräumung kommen und erscheinen Sie bitte am um."

Dittes Lebensumstände waren zwar auch abenteuerlich ­ jeden Morgen staubte sie ihre Kunstblumen ab, von denen sie sich zu ernähren pflegte ­ aber sie empfing kein ALG II. Manchmal dachte sie, drum schade aber. Dieser Wohnungsbau-Wisch und Waldis gehobenes Bein!

„Was, warum, womit habe?" „Weiß nicht ..." „Alter, ay!" „Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern!" Menschenkind kann Ditte nicht trösten mit solchen Sätzen. Er sitzt neben ihr im Foyer der Wohnungsbaugesellschaft, überlegt, wo er sich eine Karo anstekken und einen Bahlsen-Cake runterschnurpsen kann, und tätschelt seine Freundin jovial.

„Bleib mir vom Leib mit deinen maritimen Sprüchen. Die sind so na ja angesichts des Elends in Südostasien oder wo, oder?" Menschenkind jetzt. Schlägt Ditte aufmunternd auf die Schulter und ergänzt sein Stimmungsbild: „Guck dich doch mal um. Denen hier steht allen noch nicht das Wasser bis zum Hals. Keinerlei Tsunami. Alles im Lot." Ditte schüttelt sich. „Wer hinter einem solchen Schriftstück steckt! Ich will in das verdammte Gesicht sehen!" Ach, seine Weltverbesserin, diese unglaubliche Ditte. Wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hat ... Entweder Menschenkind zieht jetzt mit oder er setzt auf ein anderes Pferd. So greift er zur Lektüre, während sein linker Nachbar beginnt, sich die Nägel zu feilen. Ditte schaut ihm auf die Finger, als sähe sie bei der Arbeit zu.

„Hier!" Menschenkind schlägt eine Beule in die Zeitung. „´Der afghanische König wird eine wichtige Aufgabe spielen.' Das ist von ich weiß nicht wann. Soviel Wasser ...", mit einem strafenden Seitenblick stoppt Ditte Menschenkinds Bilderflut, „hm ... Soviel Zeit ist schon vergangen. Hast du irgendwas davon gemerkt? Außer daß ich meine Freude am Freudschen habe – das wunderbar schiefe Bild: ´wird eine wichtige Aufgabe spielen' ist doch wie ein Geschenk! Der afghanische König ist irgendwie nicht besetzt worden auf der weltpolitischen Bühne in seiner Rolle, wichtige Aufgabe spielen und so. Gar nicht in Erscheinung getreten. So wird es dir auch mit dem Gesicht gehen, in das du schauen möchtest. Es wird eine wichtige Aufgabe spielen und mit alledem nichts zu tun haben. Als altgedienter Pessimist wage ich diese Prognose."

Für Ditte öffnet sich die Tür. Ein Allerweltsgesicht, sympathisch und etwas müde, wendet sich ihr zu. „Bitte!" Menschenkind freut sich, jetzt draußen eine rauchen und seinen Cake runterschnurpsen zu können. Aber daraus wird nichts. Er wird sanft am Ärmel gezupft und genötigt, Ditte zu begleiten. „Ich brauche einen glaubwürdigen Zeugen." Da muß Menschenkind aber lachen, noch immer muß er lachen, als sie dem Pressesprecher der Wohnungsbaugesellschaft gegenübersitzen, und dieser, in die Lektüre des Faltblattes vertieft, endlich befreit atmend aufsieht, Ditte mitten ins Gesicht, ja, ihr sogar in die Augen schaut, länger, als Menschenkind das schicklich findet in so einem amtlichen Gespräch, und ihr die Hand zu schütteln beginnt.

„Danke, daß Sie mich auf dieses Papier aufmerksam gemacht haben. Das ist eine infame Fälschung. Unser Flyer ist dieser hier." Menschenkind läßt seinen Cake fallen. „Wir bieten für jeden das passende Zuhause", wiederholt er die ersten Zeilen des amtlichen Schriftstücks. Hm. Klingt auch nicht schlecht. Aber auch nicht gut. Und Dittes Nase pitzt schon wieder.

Brigitte Struzyk/Dieter Kerschek

 
 
 
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