Ausgabe 09 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Störmanöver und Kontrollverfahren

Ein Gespräch mit Ralf B. Korte, Mitherausgeber der Graz-Berliner Literaturzeitschrift perspektive

Seit wann gibt es perspektive?

Seit 27 Jahren, das hat als Zeitschrift österreichischer Schüler begonnen, die das als Studenten weiterführten. Zu Anfang ging das quer durch den Garten, es gab Inputs aus dem linksalternativen Spektrum von Hausbesetzerlyrik bis zu schulterklopfenden Briefen von Erich Fried, dann auch die thematisch und formal zugespitzteren Texte.

Einen wirklich ausgeformten Anspruch, wie ihn perspektive heute hat, gab es damals nicht?

Davon abgesehen, daß man das ungefähr als linksalternativ bezeichnen konnte, eigentlich nicht. Es war ein Sammelbecken für diejenigen, die es noch nicht in die avancierteren Magazine geschafft hatten. Man hatte eine gewisse Frontstellung gegen die schon arrivierten, ebenfalls in Graz erscheinenden manuskripte, damals die wichtigste österreichische Literaturzeitschrift. Allerdings hat sich perspektive damals begnügt zu sagen: Die dort haben schon was erreicht, und wir sind die, die noch was erreichen wollen. Es gab immer ein heimliches Schielen hinüber, bis in die äußere Nachahmung mit einfacheren Mitteln. Und ein freudiges Überlaufen, wenn es denn möglich war. Vor 14 Jahren gab es dann eine Art Palastrevolution, ab diesem Zeitpunkt gab es eine Orientierung auf das experimentelle Schreiben, auf die Frage, wie kann man Avantgarde neu definieren. Die drei „Rebellen", zu denen ich später hinzugestoßen bin, wollten das stärker literarisch orientieren, wollten das etwas festgefahrene Experiment, das sich an die Wiener Gruppe, an Jandl, Mayröcker und Nachfahren koppelte, neu aufmischen. Man wollte etwas eigenes dagegen formulieren, was nicht nur einfach das Spiel weiter spielt. Damit kam es auch zu einer Konsolidierung in der Redaktion; in den Jahren zuvor hatten ja bestimmt 40 Leute die Redaktion durchlaufen. Seitdem läuft das in einer kleineren Redaktion relativ stabil. Seitdem ist es auch kein österreichisches Projekt mehr, mittlerweile kommen zwei Drittel der Autoren nicht aus Österreich.

Wie sieht eure Arbeit aus?

Wir kooperieren intensiv als Gruppe, das unterscheidet uns von den meisten anderen Literaturzeitschriften, die ja fast immer Herausgeber-Zeitschriften sind und Einzelliteraturen präsentieren. Wir verstehen uns als Autorenprojekt, d.h. ein wesentlicher Teil dessen, was wir als „gruppe p" gemeinsam erarbeiten, wird neben den Literaturen anderer Autoren, die durchaus gegensätzliche Ästhetiken vertreten können, im Heft präsentiert. Was wir immer wieder neu versuchen: in gruppeninternen Prozessen kollektiv zu produzieren und so auch den Punkt des Einzelautors zu überschreiten, klassische Grenzen aufzulösen, so etwa auch in einem Textkontinuum, das „kontrollverfahren" heißt. Die dabei entstandenen Kooperationen wurden bis vor kurzem auch dargeboten, ohne daß kenntlich gewesen wäre, was von wem geschrieben wurde, oder wann und wie der eine mit den Stellen des anderen gearbeitet hat. So entsteht ein dynamisches Textgewebe, das man gemeinsam präsentiert, das für das Ganze steht. Man muß den Lesern die Namen, die Gesichter der Autoren nehmen, um sie in den Text zu holen, in die Sprache. Gerade läuft das leider anders, das „kontrollverfahren" muß derzeit weit divergierende Standpunkte markieren und gegeneinander austragen, dabei auch personifizieren.

Etwas anderes ist, die ­ insbesondere in Österreich entwickelten ­ experimentellen Verfahren wieder mit Leben zu füllen. In Österreich ist das Experiment zum Schulstoff verkürzt worden. Es gibt eine eigene Traditionslinie, in die man sich einträgt, man orientiert sich oft epigonal an den bekannten Namen. Die ursprünglichen politischen und betriebskritischen Implikationen, die mit Avantgarden verbunden sind, werden dabei weitgehend gelöscht.

Was meint perspektive, wenn sie von Avantgarde spricht?

Avantgarde ist ein eigentlich militärischer Begriff aus dem Feld der Auseinandersetzung um Herrschaftskonzepte, bezeichnet da vorgeschobene Positionen, zugleich Verfahren der Auflösung und Störung. perspektive versucht auch im Blick zu halten, wie der Betrieb Kriterien für literarisches Arbeiten „findet". Wir betrachten jede Form als gebunden an Produktionsverhältnisse.

Hältst du das österreichische Fördersystem für einen Vorteil? Oder ist es ein Instrument, durch das Künstler korrumpierbar werden?

Verschulung ist auch ein Ergebnis von Förderung. Die Sondersituation in Österreich – in der Bundesrepublik und selbst in der Schweiz gibt es kein entsprechend gefördertes Verlagsnetz, und Zeitschriften wie perspektive sind noch immer recht gut alimentiert – ermöglicht, auch in der Kleinverlagsszene, mit kleineren Preisen, Stipendien irgendwie zu überleben, mit einer Literatur, mit der man in der Bundesrepublik nicht reüssieren kann. Das bringt andererseits Autoren hervor, die einander nichts zuleide tun, die sich in ihren verschiedenen Organen gegenseitig publizieren. Man pflegt keine Auseinandersetzung, hält diffus zusammen. Das ist alles schon von ängstlicher Gemütlichkeit geprägt. Man nimmt, was man noch kriegen kann, hält das Weiterschreiben schon für Widerstand. Das versuchen wir mit perspektive kritisch zu beleuchten, insofern auch der eigenen Praxis mit Skepsis zu begegnen, da wir ja auch gefördert werden.

Inwieweit hat perspektive eine Relevanz für den gesamten deutschsprachigen Raum? Eine Diskussion über Avantgarde, über experimentelle Literatur gibt es vielleicht in Österreich, aber in Deutschland ja so gut wie gar nicht ...

Österreich ist eine Art Refugium avancierter Schreibweisen, die in Deutschland nur von wenigen Autoren gepflegt werden. Das ist der lange Schatten der Gruppe 47, die in Deutschland eine moralisch gesättigte Literatur, die sich an der realistischen Erzähltradition orientierte, zur Schulung und Bildung brachte, eine mäßig emanzipatorische Literatur mit mäßigem Formbewußtsein. In der deutschen Literatur ist die Sprache meist nur Vehikel zum Transport von Geschichten, in Österreich gibt es eine sprachskeptische und sprachkritische Tradition, ein Mißtrauen der erzählenden Form gegenüber, durchaus auch den Ideologieverdacht: daß diese Form letztlich doch den bürgerlichen Schein aufrechterhalte und nicht zum Wesen der Sache, der Sprache und ihren Funktionsprinzipien, vorstoße; daß man das aber leisten müsse, um die der Sprache eigenen Hierarchieverhältnisse und die mit ihr herstellbaren Hierarchien durchbrechen zu können. Bei einem derartigen Vorgehen besteht natürlich die Gefahr eines sich totlaufenden Formalismus, einer Literatur-Literatur, die den sozialen Blick verliert.

Gibt es eine Zusammenarbeit mit anderen literarischen Gruppen oder Zeitschriften?

Hin und wieder. Es gab das „sprachlos"-Heft, in dem versucht wurde, die Prenzlauer Berg-Literatur im Hinblick auf das eher Experimentelle zu sammeln. Da gab es auch eine punktuell darüber hinausgehende Zusammenarbeit. Es gab eine Auseinandersetzung mit der Szegediner Gruppe „Dekon", die Standpunkte haben sich dann zwischen Gulasch und Schnaps auf dem Lande verloren, bei einer etwas eigentümlichen Konferenz im Südosten Ungarns. Es gab Begegnungen mit Kölner Autoren um Norbert Hummelt, Marcel Beyer u.a. Letztlich waren das aber immer nur phasenweise Annäherungen.

Zeitweise gab es in perspektive ein von dir verantwortetes Layout, Textzeilen rutschten ineinander, Zeilen machten ulkige Loopings auf dem Blatt. Was war der Grund, eine solche Gestaltung ein- und dann wieder auszuführen?

Das war Teil einer Strategie, den Autoren die Texte „wegzunehmen", um sie ganz im Gesamtzusammenhang von perspektive aufgehen zu lassen. Das perspektive-Konzept sollte zentral sein, die Texte sollten nur Bausteine sein. Das hat naturgemäß zu heftigen Einsprüchen seitens der Autoren geführt, die von Unlesbarkeit sprachen. Wir haben einige Hefte so gemacht, dann einen erneuten Wechsel vollzogen Richtung „Standard-Layout", also jene gemäßigte Moderne, die von den meisten für lesbar gehalten wird. Demnächst wird sich das aber wahrscheinlich erneut ändern, wieder hin zu experimentelleren Layout-Formen.

Ich habe den Eindruck, daß perspektive vor der Palastrevolution finanziell wesentlich schlechter bestückt war als heute, die Zeitschrift war dünner usw.

Das war meist so: Eine Zeitschrift wird als studentisches Projekt gegründet, man rennt zur nächsten Sparkasse und sammelt ein bißchen Geld für eine Anzeige ein, steckt noch was von der Oma dazu, dann entstehen ein paar Hefte, dann liest man für ein Glas Bier und macht das, bis man von jemandem erfährt, man könnte ja mal bei der Stadt fragen, ob die was dazutun. Und wenn man lang genug existierte, kriegte man, zumindest früher, auch irgendeine Förderung. Das begann bei perspektive nicht allzu lang vor der Neuformierung, steht damit aber in keinem Zusammenhang.

Gab es bei perspektive nie den Gedanken, finanziell unabhängig zu arbeiten und sich damit dem herrschenden Literaturbetrieb zu verweigern?

Der Zufluß von Staatsmitteln gewährt uns größere Unabhängigkeit als Sponsoren zu haben, die eine bestimmte Art der Verbreitung, eine bestimmte Art der Orientierung auf den Markt hin verlangen. Es ist andererseits nicht so, daß wir, die Redakteure, davon leben könnten, es ist nur so, daß der Bestand des Heftes gesichert ist. Die Autoren bekommen für den Abdruck ja auch kein Geld, nur für die Lesungen.

Wie siehst du die Zukunft von Literaturzeitschriften?

Die Zeit unabhängiger Literaturzeitschriften ist wohl vorbei. Sie finden zu wenige permanente Leser, die bereit wären, so ein Heft jahrelang zu abonnieren, zu begleiten. Was du jetzt am Markt hast, das sind größtenteils von großen Verlagskonzernen gesponserte Geschichten, keine Literaturzeitschriften im klassischen Sinne. Eine Literaturzeitschrift, wie wir sie verstehen, ist ja immer auch ein von Autoren selbst verantwortetes Instrument, das versucht, Literaturen, die nicht direkt am Markt reüssieren wollen, zu publizieren. Früher gab es noch eine literarisierte Öffentlichkeit, aber beides verschwindet: Öffentlichkeit mündet in die Banalität des reproduzierten Privaten, Literarizität reduziert sich zu Alphabetisierung. Das kann bedeuten, daß man eine Zeitschrift mit einer Auflage von vielleicht 100 herausbringt, wo 30 Exemplare an die Autoren gehen und die restlichen 70 zu sehr hohen Preisen den Druck wieder reinholen müssen. Man muß zukünftig mit sehr kleinen Auflagen rechnen oder man geht ins Netz, das ist natürlich ein anderer, nicht zu unterschätzender Weg, den wir parallel dazu beschreiten, weil eine Homepage mit ein paar MB ins Netz zu stellen allemal billiger ist als eine Printvariante.

Interview: Sabine Goes

In Kürze erscheint das Doppelheft 48/49 „systeme & miniaturen", www.perspektive.at

Collage: Steffen Schuhmann

 
 
 
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