Ausgabe 09 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Die Zeit der Rebellen ist vorbei

Autoren lesen Autoren: ein Streifzug durch die literarische Zeitschriften-Landschaft

Collage: St. Schuhmann

Collage: Steffen Schuhmann

Literaturzeitschriften, so möchte man meinen, dienen vor allem einer schnellen Verbreitung von Texten. Oft ohne Budget und mit einfachen Mitteln verfertigt, wollen sie niedrigschwellige Publikationsmöglichkeiten sein. Hier kann der Lyriker auf Interesse hoffen, dessen Gedichte von den Herausgebern der manuskripte oder der Akzente mit Standardschreiben abgelehnt werden, von Verlagen ganz zu schweigen. Nach dieser Logik müßte sich das Zeitschriften-Zeitalter eigentlich seinem Ende zuneigen, bietet das Internet doch eine konkurrenzlos große Verbreitung bei konkurrenzlos geringen Kosten. Obwohl viele Literaturzeitschriften mittlerweile Werbung auf einer Webseite machen (intendenzen, Macondo), Appetithäppchen ins Netz stellen (Kult) oder sogar alle Texte (perspektive), entscheidend bleibt doch das gedruckte Wort. Reine Netzzeitschriften wie sofa oder gangway sind im deutschsprachigen Raum eher die Ausnahme. Für den hiesigen Sprachbastler, insbesondere den Lyriker, bedeutet eine vollwertige Veröffentlichung immer noch Papier.
Literaturzeitschriften gibt es in großer Zahl und wird es wohl auch weiterhin geben, weil es so viele Schreibende gibt, die sich gerne gedruckt sähen. Selbst eine Redaktion wie die scheinschlag-Redaktion, die sich ja nun gar nicht um Lyrik kümmert, geschweige denn zur Einsendung von short stories aufruft, wird häu&Mac222;g mit lyrischen Ergüssen oder Kurzgeschichten beglückt. Und wer einmal in der Redaktion einer Literaturzeitschrift gearbeitet hat, wird mit Kopfschütteln registriert haben, wie viele Autoren ihre Werke einfach überallhin schicken, ohne sich auch nur einen Moment lang darum zu kümmern, welches Pro&Mac222;l die von ihnen belästigte Zeitschrift eigentlich hat. So wird viel Papier verschwendet und auch viel unnötiges Geld in Porto investiert.
Allerdings fällt es bei vielen dieser Druckerzeugnisse auch recht schwer, so etwas wie ein Pro&Mac222;l festzustellen. Sie drucken Lyrik, (Kurz-)Prosa und Essays (nicht immer), häu&Mac222;g Graphik, attestie-ren sich ein „außergewöhnliches Layout“ (Muschelhaufen) oder „Risikobereitschaft“ (intendenzen), wollen häu&Mac222;g junge Talente entdecken (EDIT) – und erregen häu&Mac222;g doch in erster Linie mit gewollt originellen Namen Aufsehen (Eberstädter Donnerkeil, Coitus Koitus, Kopfzerschmettern). Zu solchen Namen rät auch Hadayatullah Hübsch in seinem Buch little mags (Berlin 2001), in dem er Handreichungen für Zeitschriften-Gründer gibt. Er emp&Mac222;ehlt außerdem, die potentielle Leserschaft mit bekannten Namen für die neue Literaturzeitschrift zu interessieren. „In der Regel jedoch“, so Hübsch, „braucht es entweder sehr gute Gründe oder freundschaftliche Beziehungen, einen erfolgreichen Autor davon zu überzeugen, dem honorarfreien Abdruck eines Beitrags zuzustimmen oder vielleicht sogar einen noch unveröffentlichten Text zur Verfügung zu stellen.“ Eine Ausnahme scheint da Friederike Mayröcker zu sein, die offenbar noch nie die Anfrage einer kleinen Literaturzeitschrift abschlägig beantwortet hat und immer gerne ein Gedicht schickt, kaum ein „little mag“ ohne Mayröcker.
So unterschiedlich die Namen und teilweise die Aufmachung, so verwechselbar andererseits der Autoren-Cocktail, den die meisten Zeitschriften anbieten. Vor allem Lyriker sind in der Lage, ihre Produktion breit zu streuen und tanzen auf vielen Hochzeiten, wenn sie nicht sogar selbst als Herausgeber ihre Kollegen drucken (z.B. Renatus Deckert, Ron Winkler). Denn Literaturzeitschriften, auch das läßt sich feststellen, werden hauptsächlich von Autoren gelesen. „Es scheint bei weitem mehr Verfasser von Gedichten und Geschichten zu geben als Literaturzeitschriften-Leser“, bemerkt Hübsch in little mags. Das liegt wohl zu einem nicht unwesentlichen Teil an der Selbstbezüglichkeit und geringen Kon&Mac223;iktfreudigkeit der Autoren wie auch der Zeitschriften-Macher. Mal eben so für sich Texte zu produzieren und zu publizieren, reicht einfach nicht, um jemand anderen als die üblichen Verdächtigen dafür zu interessieren. In diesem Zusammenhang ist besonders das Ende von Impressum vor vier Jahren zu beklagen. Herausgeber Josef Wintjes begriff seine Zeitschrift als eine Plattform zur Vernetzung der Szene, als Diskussionsforum und Pressedienst für Autoren und Verleger. Etwas Vergleichbares gibt es heute nicht mehr.
Betrachtet man die Zeitschriften-Szene von vor etwa zehn Jahren, so fällt die Dominanz einer Ästhetik auf, die sich an den Punk-Fanzines der achtziger Jahre orientierte: Kopierer und Schere waren die Grundlage für ein eigenwilliges und experimentelles Layout (wie etwa herzGalopp oder Labyrinth & Minenfeld, nur zwei Beispiele unter vielen), was wohl zum großen Teil, aber nicht nur am Aufkommen von Social Beat lag, einem literarischen Phänomen dieser Zeit, deren Protagonisten ihre Wurzeln im Punk sahen. Mit den neuen technischen Möglichkeiten veränderte sich auch die Gestaltung, einzig das fröhliche wohnzimmer aus Wien scheint dieser Ästhetik treu bleiben zu wollen. Es kann aber nicht nur an der Technik liegen, daß viele Zeitschriften-Neugründungen der letzten Jahre erstaunlich, ja erschrekkend brav und gediegen daherkommen, so Der Dreischneuß aus Lübeck oder die Losen Blätter aus Berlin – und häu&Mac222;g Forum für eine Literatur sind, die auch nichts mehr wagt, Literatur, die ohne etwas zu wollen vor sich hin brabbelt und in ihrer Belanglosigkeit Gähnen verursacht: „In anwachsender Ruhe/ breitet sich Vertrautheit aus./Sie sprechen/von jenem/von diesem./ In Wahrheit ist’s Liebe/von der sie reden./Die Worte gehen/von Mund zu Mund.“ (Renate Gleis im aktuellen Dreischneuß-Heft).
Mittlerweile hat sich Social
Beat totgelaufen und konnte wenig literarisch Bedeutsames hinterlassen. Die Literaturzeitschriften-Szene präsentiert sich wieder deutlich überschaubarer. Bedauerlich ist eigentlich nur, daß der rebellische Impetus, von dem sich die Social Beat-Vertreter tragen ließen (und mag er auch allzu oft kaum mehr als Attitüde gewesen sein), fast vollständig unter den Machern von Literaturzeitschriften verschwunden zu sein scheint und sich die Bewohner der Poesie-Schrebergärten gegen jede soziale und politische Realität, auch die des Literaturbetriebs, abzudichten scheinen.

Jörn Luther/Florian Neuner

 
 
 
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