Ausgabe 09 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Schabernack im Altersheim

Seit Anfang Oktober vermitteln die Arbeitsämter „Ein-Euro-Jobs"

Illu

Während bundesweit immer noch versucht wird, die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Bundesregierung zu Fall zu bringen, wird seit Anfang Oktober der erste Teil davon bereits erprobt: die besonders verrufenen „Beschäftigungsmöglichkeiten mit Mehraufwandsentschädigung", besser bekannt als Ein-Euro-Jobs. 6000 davon soll es bis zum Jahresende allein in Berlin geben. In diesem Jahr sollen sie offiziell noch freiwillig sein, in der Praxis scheint man bei Ablehnung aber umgehend mit anderen Maßnahmen belästigt zu werden. Trotzdem werden die bisher angebotenen Stellen von Berlins Arbeitslosen noch mit äußerster Zurückhaltung angenommen. Von etwas abgelegeneren Gegenden im Nordosten des Landes hört man allerdings das Gegenteil. Ein wenig läßt sich damit ja doch die für viele demnächst noch kargere Stütze aufbessern, und wer zuerst kommt, den trifft es womöglich nicht ganz so schlimm. Mit Beziehungen lassen sich solche Stellen schließlich auch fingieren. Ähnlich geartete „Mitnahmeeffekte" haben bisher noch jeder als „Beschäftigungspolitik" getarnten Disziplinierungsmaßnahme für Arbeitslose die Schärfe genommen.

Mit Beginn des neuen Jahres bedroht man allerdings ausgewachsene Arbeitslose über 25 Jahre mit einer dreimonatigen 30-prozentigen Kürzung ihres Einkommens, sollten sie sich weigern, einem Beschäftigungsangebot Folge zu leisten. Jüngere erhalten dann sogar ebensolange überhaupt nichts mehr. Insgesamt soll es in Berlin im nächsten Jahr 33000 Ein-Euro-Jobs geben, davon 12000 kürzere zur „Arbeitserprobung", in denen man lediglich testet, ob die Betroffenen überhaupt noch morgens aus dem Bett kommen. Diese Maßnahmen sollen wohl in erster Linie dazu dienen, die seit Anfang dieses Jahres ohnehin schon um ein Vielfaches gestiegenen Sperrzeiten weiter zu erhöhen. Weitere 18000 Stellen, die man bei Wohlfahrtsverbänden, kommunalen oder gemeinnützigen Trägern zu schaffen gedenkt, sind auf 30 Stunden pro Woche angelegt und sollen ein halbes bis ein dreiviertel Jahr dauern. Das Gleiche gilt für die 3000 Jobs, die in der Privatwirtschaft geplant sind.

Neu ist solcher Arbeitszwang nicht. Sowohl von ihrem arbeitsrechtlichen Status als auch von der Bezahlung her, die im Gesetz auf ein bis zwei Euro pro Stunde festgelegt ist und in Berlin anderthalb Euro betragen soll, ähneln die Ein-Euro-Jobs der Knastarbeit und vor allem den GzA-Stellen („Gemeinnützige und zusätzliche Arbeit"), die es für Sozialhilfeempfänger schon seit Jahren gibt. Neu ist allerdings die Arbeitszeit, die fast einer Vollzeitstelle entspricht, und das Ausmaß, in dem die Jobs den Empfängern des Arbeitslosengelds II aufgenötigt werden sollen.

Zwar betont man in offiziellen Verlautbarungen stets, die Ein-Euro-Jobs dürften nicht in Konkurrenz zu Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt stehen, sondern müßten der Allgemeinheit zugute kommen und zusätzlich sein, glauben tut dies aber sicherlich niemand im Ernst. Allein das Zulassen solcher Billigjobs in der Privatwirtschaft muß mißtrauisch machen. Aber auch in der Pflege, in der Kinderbetreuung oder in den Gartenbauämtern, wo ein Großteil der Ein-Euro-Jobber eingesetzt werden soll, sind in den letzten Jahren im großen Stil Gelder gekürzt und Stellen gestrichen worden. Hier sollen ganz offensichtlich bereits entstandene Lükken gefüllt und die verbliebenen Festangestellten in diesen Bereichen zum Akzeptieren auch der schlechtesten Arbeitsbedingungen bewogen werden. Deshalb ist die Anti-Hartz-Bewegung inzwischen dazu übergegangen, die Wohlfahrtsverbände zu attackieren und etwa die Zentrale der Arbeiterwohlfahrt zu besetzen, um diese dazu zu bewegen, keine Zwangsarbeitsstellen einzurichten. Tatsächlich gibt es auch Wohlfahrtsverbände, die es ablehnen, Ein-Euro-Jobber einzustellen, wie zum Beispiel das Diakonische Werk der pommerschen Kirche.

Volkswirtschaftlich ist es ohnehin fraglich, ob der geplante massenhafte Einsatz von Zwangsarbeitern wirklich billiger ist als die reguläre Beschäftigung von ausgebildeten Kräften. Bei der Abschaffung der Wehrpflicht in Belgien im März 1995, mit der auch der Zivildienst verschwand, stellte man fest, daß es teurer ist, für dieselbe Arbeit ständig neue Leute anzulernen, die darüberhinaus nicht besonders motiviert sind. Deshalb überlegt man bereits hierzulande, ob man die Arbeitsverpflichtung nicht auf zwei Jahre ausdehnen sollte. Betriebswirtschaftlich stellt sich das Ganze für die einzelnen Träger sowieso anders dar. Die Ein-Euro-Jobber werden schließlich nicht von ihnen bezahlt, sondern aus dem Steueraufkommen. In Berlin werden für jede 30-Stunden-Stelle 500 Euro veranschlagt, von denen der Arbeitgeber 300 Euro dafür erhält, daß jemand für ihn etwas tut. Immerhin noch 200 Euro erhält der vormals Arbeitslose. Die darf er sogar vollständig behalten, womit er ein Einkommen erzielt, das etwa dem einer tarifvertraglich bezahlten Frisöse entspricht. Deshalb und weil Arbeitgeberpräsidenten den Hals nicht voll kriegen können, fordert Dieter Hundt bereits, diese Jobs gar nicht oder doch wenigstens nur mit 50 Cent pro Stunde zu bezahlen.

Trotzdem frohlocken einige linke Aktivisten, die Ein-Euro-Jobs könnten sich noch als Bumerang erweisen, und geloben, sich diesmal nicht in eine selbst gebastelte fingierte Stelle zurückzuziehen, sondern anzunehmen, was das Arbeitsamt anbietet und dort Unruhe zu verbreiten. Allerdings fallen Ein-Euro-Jobber zwar aus der Arbeitslosenstatistik heraus, aber nicht unter das Arbeitsrecht. Wenn sie streiken, wird das als „Verweigerung der Mitwirkungspflicht" gewertet. Andererseits kann sie eine Kündigungsdrohung nicht wirklich schocken, und es steht nirgendwo geschrieben, daß man sich auf der Arbeit besonders geschickt anstellen muß. Da kann schon mal was kaputtgehen oder falsch angemalt werden. Im Gegensatz zu Zivildienstleistenden haben Arbeitslose zumeist eine gewisse Erfahrung darin, sich Anweisungen von Vorgesetzten zu widersetzen oder zu entziehen. Man darf also gespannt sein, in welchem Ausmaß die Ein-Euro-Jobs am Ende tatsächlich eingeführt werden und was das für Folgen hat. Sollten zu diesen Bedingungen wirklich, wie geplant, Lehrer beschäftigt werden, kann man zwar auch die nächsten Pisa-Tests in die Tonne treten, dafür ist die kommende Arbeitslosengeneration zumindest gut ausgebildet, was Tricks und Kniffe im Umgang mit dem Arbeitsamt angeht.

Søren Jansen

Illustration: www.robin-cottage.de

 
 
 
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