Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Der ganz alltägliche Terror

Terrorismus von den Brüdern Presnjakow am Gorki Theater

Der Flughafen ist dicht, nichts geht mehr. Drei Koffer stehen herrenlos auf der Startbahn, alles mögliche könnte drin sein. Die wartenden Reisenden machen sich gegenseitig verrückt mit ihren Endzeitphantasien, erörtern hysterisch kreischend vermeintliche Probleme in der Welt. Ein Geschäftsreisender will sich das nicht länger anhören und beschließt, nach Hause zu fahren, zu seiner Frau. Die ist nur gerade mit ihrem Liebhaber beschäftigt, der anfängt sie zu terrorisieren.

Terrorismus heißt denn auch das Stück der Brüder Presnjakow, das in der deutschsprachigen Erstaufführung im Studio des Maxim Gorki Theaters zu sehen ist. Die Autoren verdienen ihr Geld hauptsächlich als Universitätsdozenten an der Universität ihrer Heimatstadt Jekaterinburg. Terrorismus ist ihr zweites Stück und handelt nicht erwartungsgemäß von Anschlägen auf Musicaltheater oder anderen extremistischen Attentaten. Es geht um den ganz alltäglichen Terror, um den tyrannischen Chef, die mißgünstigen Nachbarn, die miesen Kollegen.

In der Regie von Sandrine Hutinet schlüpfen die Schauspieler in verschiedene Rollen, was zuweilen verwirren kann, vor allem, wenn eine Figur nacheinander von zwei Darstellern gespielt wird. Trotzdem entfaltet sich auf der weißen Bühne mit variablen orangen Schaumgummibänken das Panorama des privaten Unterdrückertums.

Der Liebhaber will die Frau nicht losbinden, sondern fesselt sie noch unbequemer an eine Stange. Da hängt sie, während der Ehemann vom Flughafen aus anruft und der Lover mit der Schweinemaske sich ein wenig ausruht. Danach wird sich im Betrieb des Geschäftsmannes eine Sekretärin umbringen, zu groß ist die Schikane ihres Vorgesetzten. Zwei alte Weiber unterhalten sich auf einer Spielplatzbank. Während die eine auf ihren Enkel aufpaßt, ergeht sich die andere in Haßtiraden über alles und jeden und bietet am Ende der Freundin Giftpillen an, die ihren nichtsnutzigen Schwiegersohn ins Jenseits befördern sollen. Bei ihrem Alten hat es schließlich auch geholfen. Danach machen sie Jagd auf die „Brut" des zukünftigen Opfers.

Es geht mitleidlos zu in dieser Gesellschaft, wo Feuerwehrmänner zu ihrem Vergnügen Fotos von abgetrennten Gliedmaßen oder anderen Widerlichkeiten an den Schauplätzen ihrer Arbeit machen. Jede Szene, jedes Vorkommnis ist im Stück mit den anderen durch ein Detail verbunden, sozusagen eine Art Episodenfilm auf der Bühne, short cuts des Terrors.

Ein Teil des Autorenduos Presnjakow ist übrigens Psychologe und kennt sich demgemäß gut mit den Niederungen der menschlichen Seele aus. Und was das Schlimmste ist: Alles ist stimmig. Es ist die ganz normale, geballte Niedertracht im Alltag. Trotzdem gibt es was zu lachen. Am Schluß war vielleicht alles nur ein Traum, wer weiß.

Ingrid Beerbaum

> „Terrorismus" ist am 2., 13., 14., 19. und 27. Mai um 20 Uhr im Studio des Gorki Theaters zu sehen

Foto: Wilfried Böing

 
 
 
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