Ausgabe 04 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Provokante Gesten und sexuelle Räume

Einmal aufgeregt, einmal unaufgeregt: zwei Ausstellungen in Kreuzberg

Sex sells – diese Binsenweisheit gilt auch für die vermeintlich so seriösen Gefilde der Kunst. Längst buhlen selbst große, renommierte Häuser mit Aktbildern um Besucher, so das Städelmuseum in Frankfurt letztes Jahr mit einer reißerisch Nackt! Frauenansichten. Malerabsichten titulierten Ausstellung. Sexualität ist außerdem einer der letzten Bereiche, in dem Künstler heute noch die rebellische Pose des Tabubrechers einnehmen können. Freilich ist das Reservoir möglicher Provokationen weitgehend erschöpft, seit in den neunziger Jahren sexuelle Minderheiten und Abweichungen zum festen Bestandteil aller politisch korrekten Großausstellungen avancierten. Bleibt das, was sich den Vorwurf der „Kinderpornographie" gefallen lassen muß, jene diffuse Grauzone zwischen Calvin Klein-Werbung und Otto Mühl. Nun ist dieses Tabu aber nicht einfach so als letztes übriggeblieben, es wurde vielmehr in den letzten Jahren durch gezielte Skandalisierungen ausgebaut; das Wort vom „Mißbrauch mit dem Mißbrauch" beschreibt den Sachverhalt, und das Spektrum reicht dabei von Gerhard Schröders Wegsperren-für-immer-Populismus bis hin zu Zensurversuchen im Kunstbereich.

Trash und Provokation

Die Posse um die Ausstellung When Love Turns to Poison im Kunstraum Kreuzberg hat nun auch Berlin einen kleinen Skandal beschert. Nachdem ein stadtbekannter Psychopath in der Woche vor Ostern einige Exponate zerstört hatte, schlug die B.Z. Alarm, forderte den Rücktritt von Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer – und lieferte mit ihrer „Berichterstattung" ein Musterbeispiel für die Bigotterie, die im Umgang mit sexuellen Tabus noch immer an der Tagesordnung ist: Dem zeternden Text waren genüßlich ausführliche Bildbeispiele der inkriminierten Exponate an die Seite gestellt, und die Skandaljournalisten schwadronierten von „knallharter Kinderpornographie". Dem Kommentar im Gästebuch, es brauche schon eine seltsame Phantasie, um in der Ausstellung Kinderpornographie zu sehen, ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Was aber ist in der Ausstellung zu sehen, das Kinderschützern ihr Hirn so vernebelt, daß sie von Ermutigung zur Pädophilie halluzinieren? Fotos von Lolitas in transparenten Höschen (Thomas Hauser); naive Bilder, die kleine Mädchen sexuell bedrängt von Polizisten oder Teddybären zeigen (Stu Mead); Videos, die die Pornoindustrie drastisch anklagen, die zur Befriedigung der Kundenwünsche gern auf Kondome verzichten läßt (Mathias Seidel). Daß Seidel sich in einem anderen Video sogar kritisch-anklagend mit Mißbrauch auseinandersetzt, kann man seit dem Skandal auf einer beigefügten Erklärung des Künstlers lesen, hätte das bei genauerem Hinsehen aber auch so feststellen können. Man muß die trashigen Petitessen von Françoise Cactus oder die bissigen Zeichnungen von Frank Gaard für keine große Kunst halten; auch kann man mit der jungen Welt das Überwiegen des männlichen Blicks kritisieren oder sich fragen, ob die Kreuzberger nicht sehr durchschaubar mit Skandal und Voyeurismus kalkuliert haben – daß sich eine solche Aufregung in Berlin überhaupt noch inszenieren läßt, gibt allerdings zu denken.

Ein Raum mit Sexualität

Bricht das Sexuelle oft noch schockhaft in Kunsträume ein, so ist das Schwule Museum ein von vornherein sexualisierter Raum – zudem ein Ort, an dem ein unaufgeregterer Umgang mit Sexualität möglich ist. In der aktuellen Ausstellung zum Thema Zeichnung weist Peter Nansen Scherfig darauf hin, indem er eine Zeichnung des leeren, „schwulen" Ausstellungsraums in eben diesen projiziert. „Faszinierend, daß ein leerer Raum eine Sexualität haben kann", kommentiert er seine Arbeit. Wenn zu der Ausstellung 19 Künstler aufgrund ihrer sexuellen Orientierung eingeladen wurden, ansonsten frei in ihrer Themenwahl, dann drängt sich die Frage nach einer schwulen Ästhetik natürlich auf.

Unter den Zeichnungen findet man sehr traditionelle Arbeiten wie Georg Weises Zeichnungen männlicher Objekte der Begierde oder die bedrohlichen „Berliner Totentänze" von Wilfried Laule, in denen Männer mit Totenköpfen in den Darkrooms auftauchen. Heinz Emigholz, auf der Höhe der Gegenwartskunst, zeigt Teile seiner monumentalen Serie Die Basis des Make-Up, Überblendungen disparatester Bildfunde; Wolfgang Müller berichtet aus dem „unbedeutenden Leben des letzten Goetheenkels Walther", und Rommelo Yu thematisiert hintersinnig das Schicksal der Sexsklavinnen in den Soldatenbordellen der japanischen Armee während des 2. Weltkriegs. Genuin schwule Themen, formal intelligent umgesetzt, bringen hingegen die Arbeiten von Piotr Nathan oder Bas Meerman. Nathan arbeitet mit Fragmenten von pornographischen Bildern aus der SM-Szene, die Körperbruchstücke montiert er zu Bildern eindringlicher Verfremdung; Meerman breitet ein ganzes Archiv tagebuchartiger Bildnotate wandfüllend aus, darunter auch viele Sexszenen.

Die Klammer „sexuelle Orientierung" bei einer derartigen Ausstellung kann wohl nur ein Sammelsurium ergeben und einen Beleg dafür liefern, daß es keine genuin schwule Ästhetik gibt, sondern nur schwule Künstler, die ihre Sexualität thematisieren – oder auch nicht.

Florian Neuner

> „When Love Turns To Poison" noch bis zum 9. Mai im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, Di bis So 10 bis 19 Uhr

> „Zeichnung" noch bis zum 31. Mai im Schwulen Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg, tägl. außer Di 14 bis 18 Uhr, Sa 14 bis 19 Uhr

 
 
 
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