Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Schön!

Baukultur und Baukunst in Adlershof

­ „Kultur wird derzeit klein geschrieben, Baukultur etwas größer." ­

In Berlin-Adlershof sind, dem zögerlichen Wachstum der „Wissenschaftsstadt" zum Trotz, in den letzten Jahren viele sehenswerte Neubauten entstanden: Ein schwarzer, beeindruckend harscher Block beherbergt die Zentralbibliothek; das Institut für Physik hat eine Front wie ein Kiefernwald; das für Chemie bildet in demonstrativer Bescheidenheit nach außen nur seine inneren Funktionen ab. Bunt schillert und schlingert das Photonikzentrum, dessen „Amöben"-Grundriß Ende der Neunziger befürchten ließ, daß auch Berlin bald von Blobs und Bubbles heimgesucht würde; kaltgrau das riesige Rund der Elektronenbeschleunigungsanlage; das Zentrum für Umwelt-, Bio- und Energie-Tech hat Fotovoltaik-Paneele vorm Eingang, senkrecht und fast ohne Sonneneinstrahlung; die „Deutsche Gesellschaft für zerstörungsfreie Prüfung e.V." sitzt hinter einer aufgeregt vor- und aufspringenden Klinkerverkleidung. Nicht zu vergessen die Streik-Mensa vom letzten Studentenaufruhr, die provisorisch aus Holz zusammengezimmert wurde und nun rottend auf das Ende der Semesterferien wartet. Alles zusammen ein Spektakel von Formen und Materialien, das einem die Sprache verschlägt.

– „Baukultur kann nicht am guten Endprodukt, am `schönen Haus' gemessen werden. Baukultur geht uns alle an." – „Baukultur schafft Lebensqualität und bestimmt entscheidend den kulturellen, sozialen und ökologischen Standard in unserem Land." –

Wie soll man von Baukunst sprechen? Die Banausen reden von Schönheit. „Ist doch schön", sagen die Dreisten, die Bescheideneren schränken ein: „Also mir gefällt's." Kenner hingegen erörtern die Qualität von Baukunst, ohne über Geschmack zu streiten. Es sind zum einen jene Krämerseelen, deren Interesse eigentlich nicht der Betrachtung der Architektur, sondern der Vermarktung der Immobilie gilt. Zwanghaft ersetzen sie „schön" durch „attraktiv", was sie damit meinen, soll jetzt mal egal sein. Die anderen sind die Architekten selbst. Wenn sie von Architektur sprechen, hört sich das so an: „Ich denke, es ist einer der besonderen Aspekte dieses Projekts, daß räumliche, virtuelle und gesellschaftliche Aspekte gleichzeitig entwickelt und integriert werden können", erläutert etwa Ole Scheren vom internationalen Erfolgsbüro OMA gegenüber der Detail seine Arbeit. Hätte er gesagt, er strebe nach Schönheit, hätte er sich lächerlich gemacht.

­ „Minister Szymanski: Architekten sind Garant für Baukultur." ­ „Die HOAI ist Garant für Baukultur." ­ „Ein klares Ziel als Garant für eine wirtschaftliche Baukultur!" ­

Machen wir es einmal anders herum und reden wir von etwas Schönem, etwas nur Schönem, nur mal so probehalber. Mitten in der Wissenschaftsstadt stößt man auf ein Ensemble, das neugieriger macht als alle grünverglasten Institute und Forschungszentren zusammen: der „Aerodynamische Park". Hinter dem sympathisch unbeholfenen Namen verbirgt sich so etwas wie der Pandakäfig des Architekturzoos Adlershof. Verwaiste Zweckbauten aus den Dreißigern, purer Beton, stil- und zeitlos, ohne Bezug auf irgendetwas außer auf ihre frühere Funktion. Sie wurden errichtet, um direkt am Flughafen Johannisfeld Luftfahrtforschung zu betreiben. Heute sind es zweckfreie Großskulpturen.

­ „Bei Umfragen zum Thema ,Baukultur' fiel den meisten nur der Kölner Dom ein und das Zeltdach des Münchner Olympiastadions." ­ „Konferenz Baukultur: Stadtkultur, Lebenskultur. Location: Germany." ­

Der bekannteste Teil der Anlage ist der „Große Windkanal". 8,5 m mißt seine Windröhre an der schlankesten Stelle, lediglich 8 cm stark soll die Schale sein, doch sie sieht aus wie ein schwerer Rüssel aus Beton. Genau mittig tritt sie aus der quadratischen Fassade der Meßhalle, wuchtet sich kantig, bei jeder Ecke anwachsend, im Kreis, schmiegt sich dann, zwölf Meter hoch, an den dreigeschossigen angrenzenden Labor- und Büroriegel und rauscht endlich von der anderen Seite wieder in das Meßgebäude hinein. Rumms! Beton auf Beton. Im Dachgeschoß des Meßgebäudes, von wo früher die Testobjekte ­ Tragflächen, Flugzeugmodelle oder auch KdF-Wagen ­ in den Wind hinuntergehangen wurden, hält UniLab, eine Initiative der HU-Physik Schülerseminare ab. Ab Sommer soll auch die Röhre für das Publikum geöffnet und später als „wissenschaftliche Galerie" nutzbar gemacht werden. Die Außenform bleibt zum Glück unangestastet, der wilde Schwung der Gesamtfigur erhalten.

­ „These 11: Baukultur in Gewerbegebieten soll verstärkt als Thema von Forschungsarbeiten aufgegriffen werden." ­

Ein Stück weiter der „schallgedämpfte Motorenprüfstand", eine liegende, gedrungene Betonröhre auf C-förmigem Grundriß, in der Propeller getestet wurden. Oft explodierten sie dabei, weswegen die Röhre schwer gepanzert ist. An den Enden schwingt sie sich, die Panzerung durchstoßend, nach oben und bildet zwei runde, 15 m hohe Türme aus. Sie erinnern an massige ägyptische Säulen. Dazwischen klemmt mittig ein unscheinbarer Geschoßbau mit zwei Freitreppen ins Obergeschoß, wie rechts, so links. Von vorn erinnert das vollsymmetrische Objekt mit den Säulen und der weihevollen Treppenanlage an einen Tempel, von der Seite sieht er eher aus wie eine etwas langhalsige, dafür kopflose Sphinx. Eines Tages soll hier eine „kulturell-gastronomische" Nutzung einziehen. Ob das eine gute Idee ist, hängt wohl vom Betreiber ab.

­ „Baukultur, Rendite und Nachhaltigkeit sind miteinander vereinbar." ­ „Wie erfolgreich das Land auch in der Gegenwart an seine Baukultur anknüpft, zeigen eindrucksvoll der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche und der Neubau der einst von Gottfried Semper entworfenen Synagoge." ­ „Baukultur bringt Geld in die leeren Kassen der Kommunen." ­

Höhepunkt des Aerodynamischen Parks ist ­ wiewohl in seiner Wirkung eher statisch ­ der senkrecht stehende „Trudelwindkanal". Eine Wucht! Ein Riesenfingerhut von wohl 25 Metern Höhe, eine Symbiose aus Hinkelstein und Obelix. Während die anderen Windkanäle mit Rippen versteift und um Anbauten ergänzt sind, ist dieser nichts als pure, perfekte Form, vollendet maßstablos bis auf eine unscheinbare Treppe, die den Hinkelstein umrundet. Auf einem Drittel der Höhe beult der Beton aus, dort sieht man einen kreisrunden Eingang. Er ist auf ewig verschlossen: Für den Trudelturm ist noch niemandem eine Nachnutzung eingefallen.

­ „Der Kommunikationsprozeß der Städte und Gemeinden, insbesondere der kleinen und mittleren, zur gemeinsamen Vermarktung ihrer baukulturellen Qualitäten wird zunehmen müssen." ­ „Baukultur ist in diesem Kontext ein bedeutender Baustein dieser Städteprofile." ­ „Insoweit ist Baukultur ein wichtiges Segment unserer Kulturwirtschaft." ­

Kurz vor dem S-Bahnhof verabschiedet sich die Adlershofer Baukunst mit einem denkwürdigen Bild: Zwei haushohe Blechkugeln schweben da auf fein dimensionierten V-Stützen. Es handelt sich um „thermokonstante Kugellabore" aus den Sechzigern, wird man von Passanten belehrt, die auch gleich den unvermeidlichen Spitznamen mitliefern: „Der Busen von Adlershof". Wenn man den Busen von hinten betrachtet, drängt sich eine andere Assoziation auf. Zwischen den beiden Kugeln rutscht sacht ein bescheiden geratener Betonschwanz auf den Boden. Es ist eine überdachte Treppe, die zu den Kugeln ­ ein OMA-Architekt hätte sie wohl „Balls" getauft ­ hinaufführt. Der Eingang ist notdürftig verrammelt; die Balls sind schon seit Jahrzehnten funktionslos. Was haben sie hier noch zu suchen? Die Sekretärin des obersten Adlershofer Developers, der Wista-GmbH, zuckt mit den Achseln: „Das steht halt unter Denkmalschutz." Sie scheint unbeeindruckt von der konstruktiven Logik, der skulpturalen Kraft und inspirierenden Vieldeutigkeit der Balls von Adlershof.

– „Die Initiative Architektur und Baukultur führt daher Verantwortung zusammen. Sie will anhand von Beispielen und Diskussionen eine Standortbestimmung vornehmen und zu einem neuen Verständnis von Architektur und Baukultur als wichtigen Schrittmachern und Standortfaktoren kommen." –

Otto Witte

Fotos: Knut Hildebrandt

 
 
 
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