Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Klassenerhalt

Eine Einführung in den Fußball des Ostens

Fußball verkauft sich. Auch in Büchern. Selten lohnt sich ein Blick. Es gibt überraschende Ausnahmen, diese etwa: Fußball-Land DDR. Anstoß, Abpfiff, Aus. Wenig einladend ist der Titel, doch der Inhalt erweist sich als phantasievolle Fundgrube, als soziologische Wanderung, als amüsanter Rückblick auf die Sportart Nr. 1 der DDR.

Jedes Kapitel des Buches wird mit einem Sachtext eingeleitet. Dafür hat Herausgeber Frank Willmann profunde Kenner des DDR-Fußballs gewinnen können. Sie zeigen 40 Jahre deutscher Sportgeschichte. Manchmal überrascht der Blick, etwa wenn Uwe Karte im Kapitel „An der Basis" den Aufstieg einer Kreisklasse-Mannschaft bis in die DDR-Liga schildert. Motor des Erfolges war Ralf Heine, eine der großen Keeper-Hoffnungen in den Siebzigern, der aber nach der Republikflucht seiner Schwester nicht mehr in der Oberliga spielen durfte. Ihm blieb nichts weiter übrig, als an die Fußball-Basis (Kreisklasse), zur Betriebssportgemeinschaft (BSG) Stahl NW mit nur zwei Bällen („einen zum Training, einen zum Spiel") zurückzukehren.

Im Mittelpunkt des Buches stehen allerdings ganz andere Geschichten, heitere, oft komische und auch satirische. Hier kommen dann so prominente Autoren und/oder Fußballkenner wie Ahne, Matthias Biskupek, Horst Friedemann, Andreas Gläser, Annett Gröschner, Wladimir Kaminer, Edgar Külow, Jochen Schmidt, Torsten Schulz, Mathias Wedel u. a. zu Worte. Schmidt beispielsweise beschreibt, wie er bei einer Fernsehübertragung des BFC Dynamo der Gefahr entging, Alkoholiker zu werden. Biskupek erzählt die „ganze Wahrheit über den FCK", den Fußballclub Karl-Marx-Stadt oder Gorrmorrggsschdodd, wie man das ohne zu „näseldeutschen" ausspricht.

Kuriose, teils komische und auch ganz sachliche Geschichten, originale und originelle Dokumente, Fotos und (eher unoriginelle) Karikaturen, eine ganz bunte Mischung fand der Herausgeber für die neun Kapitel seines Buches. Beispielsweise diese Geschichte: 1950 verhinderte die DDR-Sportführung den Abstieg des VfB Pankow, der mit zwei Siegen und stolzen 29 Niederlagen auf dem letzten Platz der Oberliga, der höchsten Spielklasse in der DDR, landete. Begründung für den Klassenerhalt: Das Berliner Regierungsviertel habe „einen politischen Anspruch auf einen Oberligaplatz". Na prima. Eine Chance für Hertha?

Robert Pille

> Frank Willmann (Hg.): Fußball-Land DDR. Anstoß, Abpfiff, Aus. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2004.14,90 Euro.

Fotos: Knut Hidebrandt

 
 
 
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