Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Fastfood mit Fabeltieren

Lutz Hübner liefert im Gorki Theater ein zeitgemäßes Stück

Was wir nicht erwarten dürften, sei, im Theater brandneue Fakten zu erfahren. Auch den großen Skandal in einer ohnehin skandalisierten Gesellschaft bekomme man nicht serviert. Wohl aber werde man unsere Phantasie entfachen über den Verfall der Zivilität, kündigt der Autor des Bankenstückes, Lutz Hübner, an – ein Versprechen, das er nicht halten kann. Der Einakter, den wir zu sehen bekommen, zerfällt zumindest in zwei: die angedeutete Rekonstruktion des Bankenskandals einerseits anläßlich eines revolutionären Tribunals, das die sogenannten Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen versucht. Die Geschichte eines Volksaufstandes gegen eine immer rigidere Berliner Sparpolitik andererseits, ihr alsbaldiges Scheitern vor der Gewalt rivalisierender Banden, ehe in Gestalt eines in amerikanischer Uniform auf einem amerikanischen Kaugummi herumkauenden polnischen NATO-Soldaten der Spuk ein Ende hat und die sogenannten Verantwortlichen wieder auf ihre Pöstchen rutschen dürfen.

Das Wenige, das dieses sich so nennende Bankenstück seinem Thema gerecht werden läßt, wird vor dem Tribunal ausgesagt, dort erhalten wir die Statements der Bankenmenschen, des Politikers, des Wirtschaftsprüfers und des Bauunternehmers, dort hören wir die verzweifelte Gegenrede eines Subalternen, der das Ausmaß der vollzogenen Plünderung zu verdeutlichen versucht. Die von Hübner hier verwendeten Daten sind genau recherchiert, das Buch von Matthew D. Rose (s. scheinschlag 8/03) hat ihm gute Vorarbeit geleistet. Mag sein, daß sich diese Gründlichkeit der Klagefreudigkeit der Gemeinten verdankt ­ nicht umsonst läßt Hübner den SPIEGEL wissen, jede Zeile sei von Juristen geprüft. Die Vertreter der Macht sind vielleicht auch deswegen allzu stereotyp geraten: Die Banker zwittern zwischen Ackermann und Köhler, mit vorgehaltenem Victoryzeichen. Der Baulöwe tritt als schnörkelloser Macher auf, einer, der auch Boxer gewesen sein könnte und sich keinen Illusionen hingibt. Ein Politiker deutet auf all die schönen Bauten und denkt positiv, in solche Blindheit passen ein Landowsky so gut wie Herr Schröder. Der Wirtschaftsprüfer kommt windig daher, ein blasses Zucken am Rande.

Das Ineinander dieser Gestalten, das Rose noch näherungsweise skizziert, vermag uns das Bankenstück, vom sehr fassbinderhaften Nebentitel Das Geld, Die Stadt und Die Wut flankiert, nicht als dynamisches Ganzes zu vermitteln. Wir bekommen das Geflecht nicht analysiert, das die Entscheider und Leistungsträger in ihren Vorstellungswelten gefangen hält. Der Mechanismus der Abkopplung, des oligarchischen Selbstbetrugs, wird auf den einen Hebel des Geldes reduziert, auch das Belauschen der Herren im Revoluzzerknast entwirft nichts jenseits einer erwartbaren Notsituationspsychologie, die jeder Katastrophenfilm verfügbar hält.

Der Zusammenbruch der Berliner Bankgesellschaft liefert letztlich nur den Aufhänger für eine leidlich phantastische Geschichte, die mit einem Aufstand der Anständigen beginnt und bei den polnischen NATO-Besatzern endet. Die Geschichte ist so phantastisch wie platonische Fabeltiere, die aus Stücken schon vorhandener Lebewesen zusammengesetzt sind. Da trappeln zu Beginn buntgewandete Szenebezirksbewohnerinnen im Musicalschritt, indessen ein bißchen revoltierende Buben sich am Topfschlagsamba versuchen, als wäre Karneval der Kulturen angesagt statt Revolution. Da fliegt der Farbbeutel, den Joschka Fischer schon abbekommen hatte, ins Gesicht einer zur Mäßigung rufenden Tribunalsvorsitzenden. Da schieben sich aus dem Rotlicht etwelcher Dunkelkammern gewaltbereite Damen zwischen die friedliebenden Revolutionsführerinnen, zerren sie an der grünen Toga auf den Boden spracharmer Tatsachen. Da werden den Angeklagten von diesen geldgeilen Ledermädels Autoreifen um die Hälse gelegt, ehe uns von derart haitianischen Vehältnissen ein noch wortverarmteres deutschnationales Alkoholikerkommando befreit, auf der besoffenen SA-Jagd nach Kommunarden.

Alles Versatzstücke mittelmäßiger Berlin-Apokalypsen, die da als mögliche Folgen fehlender Kontrolle und eines Übermaßes an Phantasie in überforderten Entscheiderzentralen projiziert werden, auf die hübsche Bühne des Gorki-Theaters. Allem zugrunde liegt jener das Stück in Gang setzende Aufstand, den anzudrohen von den Geschlagenen ­ womöglich auch vom Erfolgsbühnenautor Hübner selbst ­ immerhin als Chance gesehen wird, die Verantwortlichen an ihre Verantwortung zu erinnern. Wie wahrscheinlich eine solche Revolte wäre, mag sich ablesen lassen an dem Szenenapplaus, den wir am 21. März vernehmen mußten ­ er galt sonderbarerweise der Verteidigungsrede des Vorstandsvorsitzenden, in der jener die Verantwortung auf alle Berliner schob, die Entwicklungen in der Bankgesellschaft als Fortsetzung der Westberliner Selbstbedienungsmentalität brandmarkte, die nun an ihr Ende komme. Nun zähle wieder zu leisten, die Zeit schmarotzender Künstler in subventionierten Ateliers z.B. sei nun vorbei. Der Applaus kam von vielen, Pfiffe dagegen hörten wir nicht.

Ralf B. Korte

> Das „Bankenstück" ist wieder am 4., 14., 17. und 28. April im Gorki zu sehen.

 
 
 
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