Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Von Europa zurück nach Polen

Brandenburg streicht Stipendien für polnische Viadrina-Studenten

Rechtzeitig zum EU-Beitritt Polens am 1. Mai ist es dem Land Brandenburg gelungen, ein bemerkenswert falsches Signal zu setzen: Das ohnehin radikal zusammengekürzte Förderprogramm sozial benachteiligter polnischer und anderer osteuropäischer Studenten soll komplett gestrichen werden. Ungeachtet bestehender Vereinbarungen zwischen dem Brandenburger Kultusministerium und der Hochschulleitung der Europa-Universität Viadrina (EUV).

Die Viadrina in Frankfurt/Oder gehört zu den wenigen vorzeigbaren Einrichtungen Brandenburgs, die durch ihre internationale Ausrichtung für eine deutsch-polnische Annäherung eine wichtige Rolle spielen. Dennoch zeigte sich bereits im vergangenen Jahr, welchen Stellenwert ihr die brandenburgische Landesregierung zumißt: Von ehemals 1,7 Millionen Mark Fördergeldern sind heute noch 150000 Euro übrig. Und selbst diese geringe Summe soll geopfert werden. Damit ist das Ende des seit über zehn Jahren erfolgreichen Förderprogramms MOE (Mittel- und Osteuropa) besiegelt, das vielen osteuropäischen Studenten erst ein Studium in Frankfurt ermöglichte.

Als gesamteuropäischer Mikrokosmos nimmt die Viadrina, zu der auch zahlreiche Berliner Studenten pendeln, bislang eine Sonderstellung unter deutschen Universitäten ein. Knapp 2000 ausländische Studenten aus 75 Ländern, das sind beachtliche 40 Prozent, machen sie zu der deutschen Hochschule mit dem weitaus größten Ausländeranteil. Zusammen mit dem „Collegium Polonicum" im benachbarten S[ubice wird erfolgreich und unter großer internationaler Beachtung grenzüberschreitend zusammengearbeitet. Gut ein Drittel der Studentenschaft der Viadrina kommt aus Polen. Besonders sie mußten im Laufe des letzten Jahres herbe Einschnitte in ihr Budget hinnehmen: Zum Sommersemester 2003 wurde der Semesterbeitrag auf 197,47 Euro erhöht, die Stadt Frankfurt gewährte meist kein Wohngeld mehr und das Studentenwerk erhöhte die Mieten in Wohnheimen. Viele polnische Studenten ziehen infolgedessen zurück über die Brücke nach Polen. Was die gewünschte Annäherung nicht gerade fördert.

Auch daß Sprachkurse statt 40 künftig 95 Euro kosten werden, belastet ärmere Studenten. Wenn nun das besagte Förderprogramm ganz wegfällt, wird den meisten polnischen Hochschülern die Grundlage für ein sinnvolles Studium entzogen. Durch den Ausstieg des Bundes war die Unterstützung ohnehin schon um ein Drittel gekürzt worden ­ auf derzeit 100 Euro.

Befürchtet werden nun nachhaltige Schäden für die ganze Region. Eine ungewöhnlich einmütige Koalition verschiedenster Interessengruppen kämpft deshalb für eine Rücknahme der Entscheidung. Während etwa der AStA eher unspektakulär Unterschriften sam- melte, sorgte eine spontane Aktion von 15 Viadrina-Studenten an der Stadtbrücke über die Oder für einige Aufregung. Mit einem quer über die Straße gespannten Absperrband und Transparenten mit der Aufschrift „Willkommen in der EU ­ jetzt zahlt selbst" legten sie innerhalb weniger Minuten den „kleinen Grenzverkehr" lahm und protestierten bis zum Erscheinen eines polnischen Grenzbeamten medienwirksam gegen die Streichung der Stipendien.

Unerwartete Unterstützung bekamen die Studenten im Frankfurter Rathaus. Die sonst sozialer Gewissensbisse unverdächtige FDP-Fraktion forderte, daß sich Oberbürgermeister Martin Patzelt (CDU) unverzüglich und mit Nachdruck bei der Landesregierung gegen weitere Kürzungen und den Ausstieg des Landes aus dem Stipendienprogramm einsetzen solle. Der größte Trumpf der Studenten im Kampf gegen den Sparwahn aber ist die umtriebige Präsidentin der Viadrina, Gesine Schwan. Seitdem die gebürtige Berlinerin, die lange an der FU lehrte und zur Zeit eine Gastprofessur in Harvard ausübt, vom Kanzler für das Amt des Bundespräsidenten ins Rennen geschickt wurde, hat sie bei Gerhard Schröder gute Karten, die Zukunft „ihrer" Universität zu sichern. Als sich der Kanzler telefonisch ihr Jawort zur Kandidatur bestätigen ließ, bat Schwan unverblümt um die Absicherung ihrer Uni-Projekte, einschließlich der Gewährleistung der Stipendien durch den Bund – was Schröder mit staatsmännischer Geste zusicherte. Vielleicht wäre eine Bundespräsidentin Schwan ein Gewinn für Deutschland – im Falle ihrer wahrscheinlichen Niederlage aber bliebe sie der Viadrina erhalten.

Thomas Gensheimer

 
 
 
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