Ausgabe 03 - 2004 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

„Wahlalternative" in Berlin geplant

In Berlin zeichnet sich die Gründung eines linken Wahlbündnisses ab, das zur nächsten Wahl des Abgeordnetenhauses im Herbst 2006 antreten will. Nach der Großdemonstration gegen den Sozialabbau am 3. April in Berlin will man mit dem Vorhaben an die Öffentlichkeit treten.

Auf dem geplanten stadtpolitischen Kongreß des Sozialbündnisses im Juni soll mit dem Entwurf eines „Manifests für eine andere Stadt" eine Art Wahlprogramm verabschiedet werden. Das Programm des Kongresses deutet darauf hin, daß man u.a. sehr detailliert über Fragen der Haushalts- und Wirtschaftspolitik debattieren wird.

Die Nachricht über das Berliner Wahlbündnis wurde im Zuge des Medienechos auf die mögliche Gründung einer linken Partei auf Bundesebene bekannt. Fast zeitgleich waren einige Tage vor dem Sonderparteitag der SPD am 21. März diesbezügliche Überlegungen zweier Gruppierungen in Berlin an die Öffentlichkeit gelangt. Angesichts des derzeit schlechten Ansehens der Sozialdemokraten wurde von einer drohenden Spaltung der SPD gesprochen. Die Meinungen diverser Wahlforscher, Gewerkschafter und anderer Experten tendieren insgesamt in Richtung „keine Chance für eine neue Linkspartei". Wobei die meisten der bislang befragten Experten den Parteien SPD oder Grüne nahestehen.

Eine der Berliner Gruppen, die „Initiative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit", offenbar von der Resonanz überrascht, nahm sich selbst den Wind aus den Segeln und verschob ihre Parteigründung. Die andere Gruppe, die „Wahlalternative", hatte sich erstmals Anfang März in Berlin getroffen. Sie setzt sich aus rund 30 Personen zusammen, ehemaligen Parteimitgliedern von PDS und Grünen, attac-Aktivisten sowie Gewerkschaftern. In einem mehrseitigen Positionspapier legte sie ihre Analyse über die Notwendigkeit und die Möglichkeiten einer neuen Partei vor. Um den sozialen Protesten in der bundesdeutschen Parteiendemokratie eine Stimme zu verleihen und den herrschenden Parteien auf ihrem Terrain zu begegnen, brauche es ihrer Meinung nach eine neue parlamentarische Opposition. Die PDS wird als politische Option ausgeschlossen, da sie am sozialen Kahlschlag mitwirke und in Westdeutschland irrelevant sei. Die Politik von SPD und Grünen wird als neoliberal und „den Kapitalinteressen unterstellt" bezeichnet. Sie unterscheide sich kaum von den politischen Zielen der CDU und FDP.

Sollte sich tatsächlich in den nächsten Monaten auf Bundesebene eine neue Partei formieren, hätte dies entscheidende Bedeutung für ein ähnlich ausgerichtetes Wahlbündnis in Berlin. Schließlich wäre damit ein großes öffentliches Interesse an einer neuen parlamentarischen Opposition geweckt. Gleichzeitig könnte ein lokales Bündnis in Berlin auf bundesweite Unterstützung hoffen. Noch ist unklar, wer sich von einer Wahlalternative angesprochen fühlen soll. Innerhalb des Berliner Sozialforums und des Bündnisses gegen Sozialabbau ist man sich über den Sinn eines Wahlbündnisses nicht einig. Während etwa gewerkschaftsnahe Aktivisten in der parlamentarischen Opposition eine Chance sehen, sich gegenüber der Kürzungspolitik der SPD-PDS-Regierung zu positionieren, lehnen undogmatische linke Gruppierungen eine parlamentarische Opposition ab.

In Berlin will neben sozialen Initiativen auch die Gewerkschaft der Polizei ein Volksbegehren anschieben, um den Rücktritt des Senats einzuleiten. Dann könnte es mit Hilfe der Polizei in Berlin zu vorgezogenen Wahlen kommen. Gegen das Wahlbündnis spielt also auch die Zeit.

Lorenz Matzat

Informationen unter www.socialforum-berlin.org, www.wahlalternative.de und www.initiative-asg.de

 
 
 
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