Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Den Teufel austreiben ­ oder auslachen?

Grenzstadt Berlin: Polnische Migration

im Spiegel der Berliner Presse (IV)

Foto: K. Hildebrandt
Foto: Knut Hildebrandt

Wie polnische Migration nach Berlin sich in der Presse spiegelt, war Thema einer scheinschlag-Serie in vier Teilen, die mit diesem Beitrag endet. Medienbilder bedienen Stereotypen, so viel wurde deutlich. Polen tauchen hier im wesentlichen als Diebe auf, als Prostituierte und windige Händler auf unkontrollierbaren Basaren. Schmutz, Schmuddel, Chaos und Schwarzarbeit sind häufige Assoziationen. Ins Positive gewendet sind die Polen Überlebenskünstler und liebenswerte Improvisateure. So schreibt taz-Redakteur Uwe Rada von einer „Überlebensökonomie" und von „Glücksrittern der neuen Zeit." Magorzata Irek beschreibt in Schmugglerzug (1998) die Improvisationskunst „polnischer Reisender".

„Polnische Wirtschaft"

Die Stereotypen von Deutschen über Polen sind jedoch weit älter als jene Medienbilder. Es sind Zuschreibungen wie die sprichwörtliche „polnische Wirtschaft", gleichbedeutend mit Desorganisation und Chaos. Der Ursprung dieser Wendung geht auf Reiseberichte zur Zeit des Untergangs der polnischen Adelsrepublik zurück, deren Wirtschaft sich in desolatem Zustand befand und die in Preußen mit „Anarchie" und „Trägheit" gleichgesetzt wurde. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verselbständigte sich die Wendung zum Ausdruck für Unordnung und ineffektives Verhalten im allgemeinen. In Gustav Freytags Roman Soll und Haben (1855) wird schließlich die „polnische genial-liederliche Wirtschaft" mit der „siegreich hervorbrechenden Tüchtigkeit" der Deutschen konfrontiert.

Heute weiß kaum ein west- oder ostdeutscher Bürger viel über diese polnische Adelsrepublik. Nicht einmal den Ausdruck „polnische Wirtschaft" kennen alle Deutschen. Dennoch gibt es offenbar die Bereitschaft, die vor Urzeiten vorgetrampelte Spur aufs neue auszulatschen.

Andererseits verweist die einschlägige Literatur stets auch auf den „Freiheitskämpfer" als gängiges Polenbild. Doch bei den Befragungen, die wir in Berliner Kneipen durchführten, sah kein Mensch die Polen als Freiheitskämpfer ­ abgesehen von einem Franzosen. Geschichtliche Vorlage für dieses Bild sind die Aufstände nach den polnischen Teilungen, die deutsche Liberale begeistert mit „Polenliedern" besangen. Aber offenbar ist dieses Bild hierzulande vergessen, das von der „polnischen Wirtschaft" nicht.

Wahrnehmungsmuster

Wenn über „Stereotypen" geschrieben wird, könnte man den Begriff oftmals durch das Wort „fiese Schmähung" ersetzen, ohne daß der Sinn des Textes sich wesentlich ändern würde. Daneben finden sich schulmeisterliche Warnungen, daß man diese Stereotypen bitteschön vermeiden möge. Doch Stereotypen sind zunächst schlicht soziale Wahrnehmungsmuster, die der Orientierung dienen. Sobald eine Gruppe so groß wird, daß deren Individuen nicht mehr einzeln zu erfassen sind, bedient man sich notwendigerweise der Stereotypen. Sie sind stets verallgemeinernd, immer wertend, mitunter nekkisch, stilisierend oder abschätzig. Soweit ist dies kaum dramatischer als etwa die Tatsache, daß der Schwabe den Badenser gern „Gelbfüßler" nennt, und der Badenser über den Schwaben spottet, jedoch einräumt, daß er ihn zum Arbeiten braucht.

Doch Stereotypen werden regelmäßig dann zu Kampfgeschützen, wenn heterogene Gruppen mit Gewalt homogenisiert werden sollen, um Nationalstaaten emotional zu stützen, um Grenzen zu rechtfertigen oder Kriegsbereitschaft zu erzeugen. In Kriegs- wie in Friedenszeiten werden Stereotypen gezielt propagandistisch eingesetzt.

So wurden im Fall Polens Negativstereotypen wie die „polnische Wirtschaft" in der Zeit vor der deutschen Reichsgründung massiv verbreitet. Preußische Blätter schrieben nach 1848 Polen-Feuilletons, die heutige „politisch korrekt" sensibilisierte Leser staunen lassen: Die polnischen Männer gleichen wandelnden Baumstümpfen, dumpf und besoffen. Die Burschen: hitzig, aber feige und erfolglos. In der Leipziger Zeitung Grenzbote von 1851 gleicht der polnische Bauer dem Grase, das sich mit Füßen treten läßt und jedes Jahr neue Halme treibt. Die Polen, die für ihren Nationalstaat „preußisches" Gebiet beanspruchen, werden zum Negativbeispiel eines Volkes, das zur Nationwerdung weder fähig noch würdig ist.

Die nächste Station des aggressiven Einsatzes von Negativstereotypen ist die deutsche Kriegspropaganda nach dem Überfall auf Polen 1939, beispielsweise im Propagandafilm Heimkehr von 1941.

Ungeliebte Opfer

Heute ist das Verhältnis von Deutschen gegenüber Polen widersprüchlich. Schuldbewußt, ja ­ aber nicht so wie gegenüber den Juden. Der Pole ist kein geliebtes Opfer. Überlagert ist die Schuldposition bei der älteren Generation ja auch von der Erfahrung von eigenem Leid und Verlust. Zumal man seit Günter Grass die Vertreibung „aufarbeiten" darf, ohne als revanchistisch zu gelten. Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel beschreibt in Die Mitte liegt ostwärts (2002) den Verlust des alten Mitteleuropa und der deutschen Ostgebiete als einen blinden Fleck im kollektiven Gedächtnis, von der Kriegschuld verstellt. Der naive Aufbruch in den Osten sei das Vorrecht einer Generation, „die den Alptraum noch nicht absehen konnte".

An der jüngeren Generation geht diese Schuld und Aufarbeitungsfrage seltsam vorbei. „Polen sind im deutschen Bewußtsein eher marginal", sagt Heinrich Olschowsky, Professor für westslawische Literatur an der Humboldt-Universität. Bei einer Umfrage unter Deutschen von 1999 hätten auf die Frage, was ihnen zu „Polen" einfalle, erstaunlich viele gesagt: nichts.

Auf der inneren Karte westdeutscher Schüler spielte Polen lange kaum eine Rolle. Der Feind war der Russe. Zum ersten Mal erschien Polen im westdeutschen Fernsehen zur Solidarnos´c´ -Zeit ­ und verblüffte die Zuschauer: Da streikten Leute mit dem Papst ­ und gegen den Sozialismus. Bald danach sah man die ersten Fiat Polski, und die Zeitungen schrieben über Polenmärkte. Viele Deutsche hätten zu dieser Zeit gesagt, daß sie vorher überhaupt keine Vorstellung von „den Polen" hatten, und nun eine vage.

Den DDR-Bürgern lag Polen zwar näher, aber das Verhältnis war belastet. Polen galt als arm, verfolgte eine andere, mißtrauisch beäugte Politik, und seit Solidarnos´c´ betrieb die DDR-Regierung Antipropaganda nach bewährtem Muster. Die Polen streikten, statt zu arbeiten, seien daher faul und anarchistisch, sie bräuchten eine starke Hand.

Da die Vorstellung jüngerer Deutscher von Polen insgesamt schwach ist, können neue Medienbilder, die an ein vage erinnertes Ressentiment gegen die Polen anknüpfen, umso besser greifen. Das Bild vom Polenmarkt und einer Invasion von Habenichtsen, die auch auf dem Arbeitsmarkt unsere zivilisatorischen Standards bedrohen, war ein starkes Bild. Es wirkte so sehr, daß, als 1991 die Visumfreiheit für Polen kam, polnische Busse an der Grenze mit Steinen beworfen wurden. Mittlerweile hat sich die Siuation etwas entschärft. Deutsche Zeitungen schreiben zwar weiterhin über polnische Schwarzarbeiter auf Baustellen, jedoch auch über eine vergleichsweise erfolgreiche Wirtschaft in Polen.

Den Polen dagegen ist Deutschland viel präsenter. Sie besitzen vom Nachbarland sehr viel mehr und aktuelleres Alltagswissen ­ was schlicht mit praktischen Interessen zusammenhängt. Für Polen ist es interessanter, in Deutschland zu arbeiten, als umgekehrt. Polen haben eher Verwandte im Nachbarland, sprechen deutsch und haben Reiseerfahrung.

Kongresse für die Normalität

Wie sieht es in Berlin aus? Kurz vor Polens Eintritt in die EU erstrecken sich Polens Handelsbeziehungen noch immer viel eher nach Westdeutschland als nach Berlin. Auch lernt an Berliner Schulen kaum jemand polnisch, obwohl Polnischkenntnisse mittlerweile in der Wirtschaft nachgefragt werden. Und kaum einem Berliner ist bewußt, daß Polen in Berlin die zweitgrößte Minderheit stellen.

Es ist vor allem ein schlechtes Gewissen für die eigene Tatenlosigkeit, das Politiker derzeit ständig über das deutsch-polnische Verhältnis reden läßt. In Berlin werden mehr Kongresse zum deutsch-polnischen Verhältnis abgehalten, als es praktische Schritte zur Zusammenarbeit gibt. Auf solchen Tagungen wird dann, wie etwa auf einem Symposium für interkulturelle Kommunikationsstrategien, über das alte Bild der „polnischen Wirtschaft" debattiert oder über „Geostereotypen", gegen die man eine kluge Strategie „der interkulturellen Kommunikation" einsetzen könnte. Bei einer Konferenz Das Wirken und das Überwinden gegenseitiger Stereotype im polnisch-deutschen Verhältnis forderte ein Deutschland-Korrespondent aus Posen schlicht „mehr Normalität". Er sei sich keineswegs sicher, ob man die Klischees bekämpfen solle. Denn es gebe in Deutschland ja ebenso gut stereotype Bilder von Franzosen oder Engländern. Kaum jemanden beschäftige jedoch die Frage, wie man diese Bilder bekämpfen solle. Vielleicht weil sie lange schon keine wichtige Rolle mehr spielten. Weil beispielsweise zwischen Deutschland und Frankreich Austausche, Reisen und Kontakte zwischen Firmen selbstverständlich seien. Diskussionen über Vorurteile zwischen Deutschen und Polen müßten zurückgehen zugunsten solcher über Grenzübergänge, Kooperationen und wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Der Ruf nach Normalität besticht durch seine Lebensnähe. Ein lange überfälliger Antrag zur Tagesordnung. Ein Einwand bleibt lediglich: daß die Forderung nach einer Normalisierung der Beziehungen nicht zu naiv daherkommen darf. Denn auch selbstverständliche Alltagsbeziehungen schützen nicht unbedingt vor einer erfolgreichen Negativpropaganda, die mit Stereotypen arbeitet. So pflegte man in Deutschland in den dreißiger Jahren vor den Judendeportationen durchaus viele alltägliche, auch geschäftliche Beziehungen zu Juden. Virulente Negativstereotypen konnten dennoch sehr schnell und erfolgreich mobilisiert werden.

Soll man nun in der Presse versuchen, dem Bild der Polen als Desperados der Schattenökonomie ein positives Bild entgegenzusetzen? Den Blick etwa bewußt auf die polnischen Intellektuellen in Berlin richten? Statt in solcher Weise zu versuchen, Vorurteile zu verdecken, scheint es eher geboten, das Tier bei den Hörnen zu packen. Wenn Ressentiments auf der Ebene von Bildern funktionieren, sind es ebenso Bilder, die man ummünzen kann, etwa indem man sie bewußt ironisiert. Daß ein „Club der polnischen Versager" in Berlin Erfolg hat, ist ein Zeichen dafür, daß dies bereits geschieht. Und daß Polen sich Witze erzählen, die beides karikieren: den deutschen Perfektionismus und das polnische „Scheitern". Sitzen ein Deutscher und ein Pole im Knast. Beide bekommen zwei Stahlkugeln in ihre Zelle und sollen beweisen, was sie damit anstellen können. Tags danach hat der Deutsche das Unmögliche geschafft, die beiden Kugeln aufeinander zu stellen. „Und ­", fragt der Wärter den Polen. „was hast du mit den Kugeln zuwege gebracht?" „Nichts", sagt der Pole. „Die eine habe ich verloren. Die andere ist kaputtgegangen."

pisp

Anmerkung des Netzmeisters: Ich bedaure außerordentlich die möglicherweise unkorrekte Darstellung der im Text vorkopmmenden polnischen Schriftzeichen.

 
 
 
Ausgabe 10 - 2003 © scheinschlag 2003/04