Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Festungsbaukunst der Neuzeit

Die Angst vor Anschlägen beginnt, das Stadtbild zu bestimmen

In Berlin herrscht erhöhte Alarmbereitschaft. Zur Zeit sind amerikanische, britische, israelisch-jüdische und, nach der Terrorwelle in Istanbul, auch türkische Einrichtungen unter den besonderen Schutz des Staates gestellt. Die Schutzmaßnahmen umfassen vor allem Straßensperren und Patrouillen. Die Hauptgefahr geht, das zeigt das Beispiel in Istanbul, von Selbstmordanschlägen mit sprengstoffbeladenen Fahrzeugen aus. Der beim Bau neuer Gebäude immer stärker in den Vordergrund tretende Sicherheitsaspekt wird künftig das Erscheinungsbild unserer Städte prägen. Waren Sicherheitsmaßnahmen bislang hauptsächlich vorübergehender Natur, so zeigt sich bereits in ersten Ansätzen, daß Anti-Terror-Strategien dauerhafte städtebauliche Auswirkungen haben werden.

Einen Präzedenzfall ist der geplante Neubau der amerikanischen Botschaft am Pariser Platz. Er wird hier, in der „guten Stube der Berliner Republik", spürbar das städtische Leben stören. Nach langen Querelen haben sich die Verantwortlichen auf amerikanischer und deutscher Seite auf einen Kompromiß geeinigt. Das größte Problem war bislang die Einhaltung der geforderten 100 Meter Sicherheitsabstand zur Straße. Man schlug eine Umlegung der Ebert- und Behrenstraße vor, aber auch eine „Nullfunktionsebene" innerhalb des Bauwerks, die als Puffer für die dahinterliegenden Büros dienen sollte. Der bereits 1996 erarbeitete Entwurf von Charles Moore wurde jetzt verändert: Der Bau erhält angemessene Schutzzonen, indem man ihn um sieben Meter hinter die Bauflucht zurücksetzt und zusätzlich einen weiträumigen Gürtel aus Stahlpollern schafft. Deutsche Polizisten werden hier patrouillieren, da nur sie die Rechtsgewalt im öffentlichen Raum innehaben, und über den Eingängen der Botschaft werden sich moderne Varianten von Schießscharten befinden. Die Straße muß aber trotzdem verlegt werden, und von einer Rekonstruktion der einstigen Blockkanten kann kaum noch gesprochen werden.

Der Bau der Botschaft soll 2004 beginnen und bis 2006 abgeschlossen sein. Im kleinen werden die geplanten Sicherheitsvorkehrungen aber bereits erprobt. So erfuhr das vertraute Bild der Synagoge in der Oranienburger Straße im Frühjahr eine deutliche Veränderung. Ungeschlachte Betonquader, entlang der Gehwegkante aufgereiht, hemmten den Verkehrsstrom und ließen einen unwillkürlich an Autobomben denken. Inzwischen geht es diskreter zu. Die Quader sind verschwunden, und das Diktat der Sicherheit äußert sich in einer engen Palisade von Stahlpollern, ähnlich wie es für die amerikanische Botschaft geplant ist. Die Poller markieren den zukünftigen Verlauf des Gehwegs: weg von der Synagogenwand, hinausgeschwungen in den Straßenraum und dabei einen Sicherheitsstreifen am Gebäude aussparend.

Straßensperren aus Stahlpollern richten sich vor allem gegen die Gefahr, die von sprengstoffbeladenen Autos ausgeht. Sie stellen eine halbdurchlässige Grenze dar, die von Fußgängern ohne große Probleme überwunden werden kann. Hier macht die Geschwindigkeit des Angriffs und das Zerstörungspotential, das mit einem Fahrzeug zum Ziel transportiert werden kann, den Unterschied aus. Solche Maßnahmen bergen jedoch die Gefahr, ein potentielles Angriffsziel nur zu verschieben und andernorts neue Schwachstellen entstehen zu lassen. Wenn der öffentliche Verkehr von bestimmten Flächen verdrängt wird, verdichtet er sich an anderer Stelle. Hier soll kein apokalyptisches Bild eines durch zahlreiche No-go-areas an den Rand des Verkehrskollapses gedrängten Berlins gezeichnet werden. Dennoch sind große Ansammlungen von Menschen traditionelle Anschlagsziele.

Gegen Angriffe durch Fußgänger werden in Berlin schwerbewaffnete Sicherheitsbeamte, sogenannte Raum- und Objektschützer, eingesetzt. Hierbei erleichtern geräumte und klar definierte Zonen eine schnelle Reaktion. Genau gekennzeichnete Flächen, die nicht betreten werden dürfen, schaffen auch eine juristische Handlungsgrundlage. Mit dem Betreten einer Abstandsfläche offenbart ein Angreifer seine zerstörerische Absicht, bevor er tatsächlich Schaden verursachen kann.

Die Notwendigkeit des Schutzes gefährdeter Institutionen wie Synagogen und Botschaften bleibt außer Zweifel, und doch drängt sich die Frage auf, wie wirkungsvoll die genannten Mittel sind. Können sie wirklich auf alle möglichen Ziele von Terroristen ausgedehnt werden? Es wird in Berlin in nächster Zeit deutlich mehr türkische Religions- und Kulturinstitutionen geben: Ist bei all diesen Gebäuden eine gesicherte Abstandsfläche zu verwirklichen? Und wenn nicht, wer trifft dann die Entscheidung zwischen schützenswert und vernachlässigbar? Ist ein mit Maschinenpistolen allein nicht mehr zu kontrollierender Straßenraum überhaupt noch öffentlich nutzbar?

Die Anschläge in Istanbul haben deutlich gezeigt, daß nicht so sehr einzelne Gebäude, als vielmehr die vorauszusehenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft Ziel der Terroristen sind. Der Zeitpunkt wurde mit großer Präzision gewählt, die Anschläge treffen die Wirtschaft am Beginn einer zaghaften Erholungsphase. Statt Sicherheit im Stadtraum zu simulieren, die, will man die Offenheit der modernen Stadt nicht völlig in Frage stellen, ohnehin nur beispielhaft sein kann, sollte sich eine „Festungsbaukunst" der Neuzeit eher darauf konzentrieren, die weltweiten Märkte zu stabilisieren – sofern man nicht willens ist, offenkundige Ursachen für den Extremismus in der arabischen Welt zu bekämpfen.

Tim Janowitz

 
 
 
Ausgabe 10 - 2003 © scheinschlag 2003/04