Ausgabe 10 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Kein leichter Stand

Lokale Agenda 21 (II): „Eine Welt"

Irgendwo auf der Importmesse „Intershop", im hinteren Teil der Halle 12, präsentiert sich ein „Bildungsprogramm". Statt Orientteppichen, litauischem Bernsteinschmuck oder Whirlpools aus den USA gibt es hier Broschüren: fairer Handel mit freien Bauern, Sammeln für Bücherspenden, Informationen zu exotischen Wohnformen. Vor einem Stand hängen Kangas, traditionelle tansanische Wickelkleider. Einer zeigt in leuchtenden Farben eine Art Plattenbausiedlung mit großen Autos und glücklichen Menschen. Es riecht ein bißchen nach Jute, oder kommt einem das nur so vor?

Dritte-Welt-Projekte heißen heute Eine-Welt-Projekte und haben es schwer. Auch wenn die Probleme des Südens brisanter sind denn je ­ Hunger und Analphabetismus nehmen zu, Naturkatastrophen häufen sich, in heftigen Kriegen kollabieren ganze Staaten ­ die Dritte Welt erscheint weiter weg als früher, endgültig abgehängt, fast vergessen.

Einige Initiativen haben eine Art Betroffenheitsbusiness aufgebaut. Die Hochglanzbroschüren zeigen afrikanische Patenkinder, die man „persönlich" per Überweisungsauftrag unterstützen kann; hier bedankt sich die Dorfgemeinschaft für den neuen Brunnen, dort freut sich der Lehrer über das Schulbuch. Und auch die Spender freuen sich, daß sie tatenlos Gutes tun können.

Andere Gruppen suchen Anschluß an den Globalisierungsdiskurs. Es sind kleine Projekte wie die Weddinger „Zugvögel", die Kindern die Nähe fremder Länder begreiflich machen, oder etablierte Organisationen wie das entwicklungspolitische Bildungs- und Informationszentrum (EPIZ). Ihr Ziel ist ein breites Umdenken, weg von der Wohltätigkeit und hin zu der Frage, „was wir hier falsch machen", wie eine Mitarbeiterin des EPIZ sagt.

Manche engagieren sich auch bei den Weltsozialforen und streiten für bessere Handelsbedingungen, gegen den Abbau von Arbeiterrechten in der Dritten Welt oder für einen allgemeinen Schuldenerlaß. Aber wenn die Regierungen schwächer sind als jeder internationale Konzern und alle Entscheidungen mit „Sachzwängen" begründet werden, bleibt unterhalb von fundamentaler Systemkritik nicht viel Raum für politische Forderungen.

In der Politik bewegt sich dementsprechend wenig. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ­ seine Aufgaben bestehen zunehmend in Terrorismusbekämpfung und der Stimulierung des deutschen Exports ­ scheint zwar an Einfluß zu gewinnen. Aber die Bundesländer kürzen ihren entwicklungspolitischen Etat kontinuierlich, insbesondere natürlich das „Entwicklungsland" Berlin.

Für Annette Berger vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER), der ein knappes Drittel der rund 180 Berliner Initiativen vertritt, sind jedoch weder die Mittelkürzungen noch die stagnierenden Mitgliederzahlen entscheidend. „Das Hauptproblem für die Initiativen sind die fehlenden Aktivisten. Wir haben alle einen 60-Stunden-Tag." Die Übriggebliebenen haben immer weniger Möglichkeiten, sich über das eigene Arbeitsfeld hinaus zu engagieren ­ oder sich wenigstens, wie allseits gefordert, untereinander zu vernetzen.

Auch das Fachforum „Eine Welt" der Lokalen Agenda 21 (LA21) ist laut BER nur schwach besucht. Nur eine Handvoll Aktivisten treffen sich regelmäßig und diskutieren, wie man Einfluß auf die Berliner Politik nehmen kann, wie man bei der anstehenden Reform des Berliner Schulgesetzes Eine-Welt-Themen im Lehrplan verankern könnte oder wie man per öffentlicher Beschaffungspolitik die Marktanteile des „Fairen Handels" anhebt. Auch „Berlin als Einwandererstadt" ist Thema; hier arbeitet man mit dem „Landesmigrationsbeirat" zusammen, den der Integrationsbeauftragte und einige Ausländerverbände Ende Oktober gegründet haben.

Einen entwicklungspolitischen Durchbruch erwartet man auch von der LA21 nicht. Die Entscheidungswege sind zu verworren, die Ziele zu unklar und das Vokabular zu beliebig, um ein komplexes Thema wie „Eine Welt" in die Berliner Realpolitik zu transportieren. Eine letzte Chance dürfte sich am 9. Dezember bieten, wenn das Gesamtberliner Agendaforum seine Abschlußkonferenz abhält. Dort soll die Lokale Agenda 21 verabschiedet und dem Abgeordnetenhaus vorgelegt werden. Ob sie es als verbindlicher Maßnahmenkatalog verläßt oder als eine Art politisches Poesiealbum, hängt dann wieder von der Realpolitik ab.

Johannes Touché

Im Rahmen der Lokalen Agenda 21 verteilt das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung für Eine-Welt-Projekte noch Fördermittel. Antragsschluß ist der 16. Februar, Informationen bei fon 803088-44/35 oder unter www.izt.de/projektagentur

 
 
 
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