Ausgabe 07 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Berlin um 2000

Der Bildband Berlin ­ Stadt des Wanderers porträtiert die Stadt mit der Lochkamera

Verschwommene Schwarz-Weiß-Fotos müssen nicht „Berlin um 1900" oder „Die Goldenen Zwanziger Jahre" zum Thema haben. Daß man mit ihnen auch die heutige Welt angemessen darstellen kann, beweist der Bildband Berlin – Stadt des Wanderers. Der Fotograf Marek Po´zniak lebt seit 1989 in Berlin und scheint die Stadt leidenschaftlich zu lieben. Ende der Neunziger machte er sich daran, sie zu porträtieren. Es folgte eine Fotoausstellung in Zielona Góra; eine Auswahl der Bilder ist nun im ex pose verlag erschienen.

Po´zniaks Motivwahl ist sperrig. Einige Bilder zeigen Gesichter, andere Werbetafeln oder ein Fahrrad, wieder andere nur leere Straßen, Bauten oder Natur. Man findet alles versammelt, was einem „Wanderer" in Berlin eben so begegnet, Bedeutsames und Unwichtiges, Auffälliges und Unscheinbares, ja sogar jene Stellen, die eiligen Touristen als „Sehenswürdigkeiten" gelten. Das Thema des Buches scheint nicht die Ordnung seiner Motive zu sein, sondern das Abbilden selbst, genauer: die fotografische Arbeit mit technischen Mängeln, die hier nicht in Kauf genommen, sondern bewußt inszeniert werden. Das Prinzip kennt man von den Dogma-Filmen, die auf Stative oder Filmmusik verzichten; in der Fotografie ist es die primitive Lochkamera, die in Zeiten der digitalen Perfektion als urig und ehrlich verehrt wird und sich zunehmender Beliebtheit erfreut.

Po´zniak arbeitet mit einer Kamera, die weder über ein Objektiv noch über eine richtige Blende verfügt und wenig mehr leistet, als durch eine Linse Licht auf einen Rollfilm zu leiten. Die Folge sind schattige Bildränder, rauhe Flächen, grobe oder seltsam flaue Kontraste. Jede Fotografie hat ihren eigenen Charakter, der das Motiv kommentiert. Kräne, Schornsteine und Hochhäuser verschwimmen im Hintergrund, so daß sie wie Fata Morganas wirken. Büschel von kahlen Zweigen verschmelzen zu grauen Flächen, ein glatter Fußgängertunnel wird zu einer verwitterten Höhle. Die Bilder sind von einer mal sanften, mal unheilvollen Stille; sie wirken wie Nachrufe auf eine traumhafte Vergangenheit, obwohl sie Altes wie Neues zeigen: die Glasfassade am Kranzlereck wie ein Toilettenhaus im Wedding, eine altertümliche Kneipeneinrichtung wie die aktuelle Schuhmode im Schaufenster.

Während die Bilder selbst dazu einladen, immer wieder hinzusehen, hält die Gesamtkonzeption des Bandes dem zweiten Blick nicht stand. Die Gestaltung der Seitenzahlen und Ortsangaben ­ selbst die Porträtfotos sind nach Bezirken geordnet ­ erinnert an eine Senatsbroschüre. Und die Texte, die die Fotos begleiten, sind im Vergleich zu diesen banal. Das mag an einem Umstand liegen, den Po´zniak offen eingesteht: „Wenn mich jemand nach Einzelheiten fragt, verirre ich mich in Verallgemeinerungen." Verlöre er sich wenigstens darin! Aber auch die Übersetzung hakt hier und da.

Aber schließlich geht es um einen Bildband, und als solcher funktioniert das Buch ganz ausgezeichnet. Nimmt man es wie eine Postkartensammlung zur Hand, kann man sich immer wieder überraschen lassen. Und dabei lernen, daß Berlin, das sich in letzter Zeit immer kühler und glatter gibt, in seinem Wesen eine rauhe und altersgraue Stadt geblieben ist.

Johannes Touché

> Marek Po´zniak: Berlin – Stadt des Wanderers. ex pose verlag, Berlin 2003. 14,90 Euro.

 
 
 
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